Wahlkampf auf den Philippinen

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Weltwoche_duterte«Gott wird weinen»

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Claude Cueni

Auf den Philippinen, der ältesten Demokratie Südostasiens, stehen Wahlen an. Der Favorit für das Präsidentenamt rühmt sich, Teil von Todesschwadronen gewesen zu sein. Andere Kandidaten versprechen, mit Ausserirdischen zu kooperieren. Bericht aus einem Land, in dem Recht und Ordnung zusammengebrochen sind. Von Claude Cueni

Jose Larry Maquinana, 41, ist einer von aktuell 130 Kandidaten, die sich für das Amt des philippinischen Staatspräsidenten bewerben. Maquinana hält seine Wahlkampfreden in einem Hakenkreuz-Shirt und verspricht den knapp 100 Millionen Filipinos die stärkste Armee der Welt. Nicht minder irritierend ist Romeo John Ygonia, 51, der sich «Erzengel Luzifer» nennt und von einem mysteriösen Meister erkoren wurde, sein Land zu retten. Einer seiner Konkurrenten ist Allan Carreon, 43, Grillmeister bei der Fastfood-Kette «Wendy’s». Er verspricht, Kontakt zu Ausserirdischen aufzunehmen und sich von diesen beraten zu lassen. Psychiatrische Betreuung würde auch Arturo Pacheco Reyes, 65, brauchen, der sich als Nachkomme Moses sieht, der nun seine Landsleute ins gelobte Land führen wird. Hat ihn etwa Angela Merkel eingeladen?

Von den 130 Bewerbern hatten anfangs nur gerade vier ernsthafte Chancen: der amtierende Innenminister und Investmentbanker Mar Roxas II., Vizepräsident Jejomar Binay, Medienfachfrau Grace Poe und Rodrigo Roa Duterte, der seine Kandidatur erst in letzter Minute einreichte und laut Umfragen bereits in Führung liegt. Die Financial Times nennt ihn «Dirty Harry», Al-Dschasira spricht von ihm als «The Punisher». Duterte, 70, ist Rechtsanwalt und Politiker, arbeitete für Staatsanwaltschaft und Polizei, war 22 Jahre lang Bürgermeister von Davao City und verwandelte während seiner sieben Amtszeiten die kriminellste Stadt der Philippinen in die sicherste Stadt des Landes. Er war noch erfolgreicher als der New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani III, der in seiner Amtszeit (1994–2001) mit seiner «zero tolerance»-Strategie die Kriminalität um 57 Prozent senkte. Duterte verspricht, die gesamten Philippinen von Korruption und Kriminalität zu befreien, mit Methoden, die Demokraten erbleichen lassen. Aber ist die älteste Demokratie Südostasiens überhaupt ein funktionierender Rechtsstaat?

Manndeckung bei Stimmabgabe

Die Stimmabgabe in den ländlichen Provinzen erinnert eher an die römische Antike, als die Kandidaten auf dem Forum ihre Tische aufstellten und den Bürgern ihre Stimme abkauften. Auf der Insel Negros kostet eine Stimme 250 Peso, also rund 5 Dollar. Der Captain des Barangay, der Gemeindepräsident, geht mit einem Kumpel von Haus zu Haus, verteilt Peso-Scheine und ringt jedem das Versprechen ab, für ihn zu stimmen. In den verarmten Provinzen mit ungenügender Strom- und Wasserversorgung nimmt man das Geld gerne an. Keiner würde es wagen, sein Versprechen am Wahltag zu brechen, bei der Stimmabgabe herrscht enge Manndeckung.

Eigentlich hätten die Filipinos gerne den abtretenden Präsidenten Benigno S.  Aquino III., behalten, aber das Gesetz verbietet eine zweite Amtszeit. Aquino III. ist der Sohn der vom Volk verehrten früheren Präsidentin Corazon Aquino II., die wiederum die Witwe des 1983 auf dem Flughafen erschossenen Oppositionsführers Benigno Aquino Jr. ist. Die Präsidentschaft des abtretenden Aquino III. lief unter dem Motto «Daang Matuwid» – der aufrechte Gang. Er hatte sich vorgenommen, während seiner Regierungszeit die Korruption zu bekämpfen. Gemäss einem früheren Finanzminister beträgt sie 50 Prozent des Staatshaushalts. Im Korruptionsindex von Transparency International belegen die Philippinen Rang 85. Zum Vergleich: Die Schweiz liegt auf Rang 5. Korruption ist auf den Philippinen Lifestyle, daily business. Der Familienclan steht über den Gesetzen, denn verlassen kann man sich nur auf die Familie. Symptomatisch war der «pork barrel»-Skandal im Jahr 2013, der zu landesweiten Demonstrationen führte. Viele Abgeordnete hatten Billionen Peso an Staatsmitteln Scheinorganisationen überwiesen, die wiederum die Billionen Peso diskret an die Abgeordneten zurücküberwiesen. Eine Filipina, die in einem Callcenter in Manila arbeitet, sagt: «Wir nennen unsere Abgeordneten ‹tongress men›: bestechliche Männer. Es ist denen egal, ob wir nichts zu essen haben. Niemand interessiert sich für uns.»

Aufgrund eines korrupten Staatsapparates, fehlender Rechtssicherheit und des Mangels an Sozialsystemen vertrauen Filipinos lieber dem Gesetz von «utang na loob», der gegenseitigen Dankbarkeitsschuld. «Tust du mir – oder der Cousine des Onkels meiner Schwägerin – einen Gefallen, ist es meine Pflicht, mich zu ‹revanchieren›.» So wäscht eine Hand die andere, wie das auch in Griechenland zum alltäglichen Durchwursteln gehört. Irgendwie ist jeder im Kommissionsgeschäft tätig. Selbst Polizeibeamte fühlen sich «utang na loob» mehr verpflichtet als dem Eid, den sie einst abgelegt haben.

Im November wurde publik, dass Flughafenangestellte in Manila beim Check-in Gewehrpatronen in die Koffer von Touristen schmuggeln und diese dann als Terrorverdächtige abführen. In einem Hinterzimmer kann man, ganz unbürokratisch, das Lösegeld entrichten. Ein Dauerärgernis sind auch die Zollbeamten, die sich immer wieder in den über siebzig Zentimeter grossen Balik-bayan-Boxen bedienen, die Expats nach Hause schicken.

Vor zwei Jahren wurden im Rahmen der Kampagne «Faule Eier in Uniform» 49 Polizisten der National Capital Region (NCR) gefeuert und 67 vom Dienst suspendiert. Vorgeworfen wurde ihnen Autodiebstahl, Erpressung von Drogendealern, Beschlagnahmung von Autos für den Privatgebrauch, Erpressung von Touristen, schwere Körperverletzung gegen Frauen und Kinder, Vergewaltigung, Totschlag und Auftragsmorde. Ein Killer in Uniform kostet gemäss einer Tageszeitung auf Cebu 45 Dollar. Nicht umsonst nennt man das Land den «Wilden Westen Asiens».

Die Philippinen sind heute ein verarmtes Drittweltland. Das war nicht immer so. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Philippinen nach Südkorea die zweitstärkste Wirtschaftsmacht Südostasiens, bis Ferdinand Marcos 1965 Präsident der Philippinen wurde und ab 1972 das Land als Diktator mit blutiger Hand zu regieren begann – worauf das Volk ihn 1986 zum Teufel jagte. Die USA flogen ihn nach Hawaii aus. Im Handgepäck hatte er 30 Milliarden Volksvermögen. Imelda kam als Witwe nach einigen Jahren zurück und lebt heute in Manila in einer der teuersten Attikawohnungen der Philippinen. Einem Reporter sagte sie: «Ich bin der Star und der Sklave der kleinen Leute, und es kostet mich weit mehr Arbeit und Zeit, mich für einen Besuch in den Elendsvierteln zurechtzumachen als für einen Staatsbesuch.»

Laut Unicef zählen die Philippinen zu den zehn Ländern weltweit, die die höchste Anzahl fehlernährter Kinder unter fünf Jahren haben. 22 Millionen Menschen sind täglich von Hunger betroffen, fast die Hälfte der Einwohner verdient weniger als einen Dollar pro Tag.

Feudale Strukturen

Das ist erstaunlich, denn eigentlich könnten die Philippinen mit einer BIP-Wachstumsrate von über 6 Prozent eine florierende Volkswirtschaft sein. Doch der Reichtum erfasst nicht die breiten Schichten: In der Landwirtschaft leben  45 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze. Der jährliche Vermögenszuwachs der vierzig reichsten Familien entspricht 76 Prozent des Bruttoinlandprodukts (im Vergleich zu Japan mit 3 Prozent). Es sind noch immer die feudalen Strukturen, die die spanischen Konquistadoren nach der Landung Magellans im Jahre 1521 installiert hatten, die das politische Bild prägen. Die Spanier hatten die Verwaltung der neuen philippinischen Kolonie lokalen Häuptlingen anvertraut und sie auf diese Weise in die Herrschaft eingebunden. (Mit Hilfe keltischer Fürsten hatte bereits Cäsar Gallien kolonialisiert.) Aus dieser einheimischen Spezies entstand die Principalía, eine einheimische Führungsschicht, verwöhnt mit Privilegien und Ländereien, die bis heute von Generation zu Generation weitervererbt werden. Als Geldeintreiber boten sich spanische Missionare an: Sie schwärmten in alle Landesteile aus, lernten die einheimischen Dialekte, predigten das Christentum und zogen Steuern ein.

Heidnische Christen

Heute regieren immer noch achtzehn weitverzweigte Familienclans mit spanischen Wurzeln die hundert Millionen Filipinos im fünftgrössten Inselstaat der Welt. Die Einheimischen begegnen diesem Umstand mit Gleichgültigkeit und wählen aus den Reihen der Principalía oft Schauspieler, Schlagersternchen, Sportler und sogar die Witwe Imelda Marcos und ihre Kinder in staatliche Ämter. Gemeinsam bilden sie die alten und neuen Kolonisatoren und geniessen den Schutz der mächtigen Bischöfe. Siebzig Prozent der Abgeordneten entstammen diesen Familiendynastien.

Aber wer vertritt die Menschen, die auf Müllhalden wie denen von Smokey Mountain oder Payatas leben? Tausende von minderjährigen scavengers (Aasfresser, Müllsammler) stochern mit Eisenhaken in den bis zu vierzig Meter hohen Müllbergen, um am Ende des Tages 50 Peso (ca. einen Dollar) verdient zu haben. Als eine kleine Filipina Papst Franziskus anlässlich seines Besuches weinend fragte, wieso Gott das alles zulasse, sagte er: «Lasst uns mit diesem Mädchen weinen.» Er hätte Thomas de Maizière zitieren können: «Ein Teil meiner Antwort würde dich nur verunsichern.»

Der wohl grösste Feind der Philippinen ist die katholische Kirche. Sie landete mit den spanischen Konquistadoren auf der Insel Mactan und startete hier die Christianisierung Südostasiens. Die meisten philippinischen Stämme (bis auf die Sippe des Nationalhelden Lapu-Lapu) nahmen die neue Religion achselzuckend an und beteten insgeheim weiterhin zu ihren Göttern, auch wenn diese nun andere Namen und Gesichter hatten. Ähnlich arrangierten sich auch die Kubaner nach dem Einfall der spanischen Konquistadoren. Die aus Afrika importierten Gottheiten wurden christlichen Heiligen zugeordnet. Nicht umsonst nennt man diese Christen «heidnische Christen», da ein Patchwork aus animistischen Religionen, Geistern, Aberglauben und Christentum ihren Alltag bestimmt. Die Religion ist, ähnlich wie im Nahen Osten, wo ein vorislamisches Religionsverständnis gelebt wird, der grösste Hemmschuh für Aufklärung und Innovationen. Zivilisatorische Fortschritte müssen stets gegen die Religion erkämpft werden. Wie viele Erfindungen der letzten 300 Jahre stammen aus nicht säkularisierten Ländern?

Es ist das Verdienst des abtretenden Präsidenten Aquino III., dass er sich gegen den erbitterten Widerstand der katholischen Bischofskonferenz durchsetzte und im drittgrössten katholischen Land der Welt das «Reproductive Health Law» einführte. Dieses erlaubt Sexualaufklärung an Schulen und den erleichterten Bezug von Verhütungsmitteln. Obwohl die Bischöfe wie üblich mit der Exkommunikation aller zustimmenden Kongressabgeordneten drohten, setzte sich die Regierung durch. Infolge Armut, religiöser Indoktrination und mangelhafter Bildung leiden die ländlichen Gegenden unter einer unkontrollierten Bevölkerungsexplosion. Arbeitslose Familien mit zehn Kindern sind keine Seltenheit. Die Kinder werden an Verwandte oder Nachbarn abgegeben, im schlimmsten Fall an die Sexindustrie ausgeliehen, oder sie fristen in den Städten ein armseliges Dasein als Strassenkinder ohne Zukunftsperspektive.

Für viele ausländische Investoren sind die Philippinen ein rotes Tuch: Sie dürfen lediglich 40 Prozent an einem Unternehmen halten und sind oft Nötigung oder Erpressung durch Polizeikräfte ausgesetzt. Geschichten von Polizeibeamten, die westliche Firmengebäude betreten und zwei Laptops, einen Flachbildschirm und vier iPhones einfordern, sind keine Seltenheit. Bis vor einigen Jahren exportierte das Land Reis. Nachdem die EU und die USA ihre eigene Reisproduktion subventionierten, brachen die Preise auf den Philippinen zusammen. Heute müssen die Philippinen teuren Reis importieren, und die Verursacher schicken «Entwicklungshilfe»; die Hälfte versickert wie üblich in den Taschen korrupter Politiker. Wenigstens der Tourismus könnte eine bedeutende Einnahmequelle sein, verfügen doch die Philippinen über paradiesische Sandstrände und Naturlandschaften von unglaublicher Schönheit. Aber Korruption und Kriminalität sind omnipräsent.

Wirtschaftliche Impulse kommen vorwiegend aus den Zentren in Manila und Cebu City, wo internationale Grosskonzerne für Arbeitsplätze sorgen. Allein der indische Branchengigant Aegis People Support beschäftigt in seinen Callcentern Tausende Filipinas. Im Zeitalter der Globalisierung gibt es immer ein Land, das noch billiger ist. Im Gegensatz zu den Inderinnen sprechen Filipinas das verständlichere amerikanische Englisch. Das kommt daher, dass sie die amerikanische Kultur lieben und konsumieren, sie wachsen mit US-Serien, US-Charts und Fastfood auf. Die Sympathie mag verblüffen, haben doch die Amerikaner während des Philippinisch-Amerikanischen Kriegs (1899–1902) rund eine Million Zivilisten getötet. Unter dem Kommando von 26 Generälen, die noch an den blutigen Indianerkriegen teilgenommen hatten, ermordeten sie 20 Prozent der philippinischen Bevölkerung. Oberbefehlshaber General Jacob H. Smith, ein Veteran des Wounded-Knee-Massakers, wollte die ganze Inselgruppe in eine «heulende Wildnis» verwandeln: «Ich wünsche keine Gefangenen. Ich wünsche, dass ihr tötet und niederbrennt; je mehr getötet und niedergebrannt wird, umso mehr wird es mich freuen.» No bad feelings. Diese Gleichgültigkeit gegenüber den Widrigkeiten des Schicksals prägt noch heute die philippinische Kultur, die wenig Interesse für Vergangenes zeigt: «Wieso soll ich mich für Geschichte interessieren, das ist ja schon vorbei.»

«Ich bin Teil der death squads»

Ohne die monatlichen Überweisungen der etwa zehn Millionen Menschen zählenden Diaspora könnten viele Grossfamilien nicht überleben. Während die Männer meistens auf See anheuern oder sich auf arabischen Ölfeldern verdingen, arbeiten die Frauen als Haushälterinnen in Asien, im Nahen Osten oder als Krankenschwestern in Europa und den USA. Die jährlichen Geldüberweisungen von knapp 20 Milliarden Dollar machen heute 9 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus. Ein ehemaliger Chefarzt eines Schweizer Universitätsspitals sagt: «Filipinas gehören zu den zuverlässigsten Mitarbeiterinnen, man findet sie heute auch in Operationssälen und Führungspositionen. Bei den Patienten sind Filipinas äusserst beliebt.» Jene Filipinas, die in muslimischen Ländern wie Katar oder Saudi-Arabien arbeiten, nehmen sogar in Kauf, dass sie vom ganzen Clan jahrelang vergewaltigt werden und im Falle einer Anzeige auf dem Polizeiposten wegen ausserehelichen Verkehrs ins Gefängnis kommen. Glücklich sind jene, die in freie, säkularisierte Gesellschaften auswandern. Befragt man sie nach ihrem ersten Eindruck, erhält man stets ähnliche Antworten. Vier Genfer Filipinas, die einen Take-away-Stand betreiben, sagen: «Am Anfang war es ein Kulturschock. Hier ist alles sauber und geordnet. Es ist grossartig, wie ihr mit der Zeit umgeht, alles ist perfekt organisiert, hier fühlt man sich sicher.» Vielleicht sollte man ab und zu das eigene Land durch die Augen der Expats betrachten, um die Vorzüge eines funktionierenden demokratischen Rechtsstaates gebührend zu schätzen, denn «die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben» (Alexander von Humboldt).

Eine ewige Baustelle bleibt die Insel Mindanao im Süden der Philippinen. Sie ist seit dem 14. Jahrhundert muslimisch. Hier treibt ein chaotischer Haufen durchgeknallter philippinischer und indonesischer Terrorjunkies sein Unwesen. Sie nennen sich Abu Sayyaf, Moro National Liberation Front, Moro Islamic Liberation Front, Bangsamoro Islamic Freedom Fighters, legen Bomben in Warenhäusern, entführen Schmetterlingsjäger und Biologielehrer und solidarisieren sich abwechselnd mit al-Qaida und dem Islamischen Staat – und berufen sich stets auf den Koran. Immer mehr glauben, dass nur Rodrigo Roa Duterte all diese Probleme lösen kann. Wer also ist Duterte? In einem TV-Interview konfrontierte ihn die Moderatorin mit den Vorwürfen der Justizministerin Leila de Lima, die behauptet, er sei in Davao City für Hunderte von Morden der dortigen Todesschwadronen verantwortlich.

«Wie nahe stehen Sie den death squads?», fragte sie. «Ich bin Teil von ihnen», antwortete Duterte gelassen. Die Moderatorin hielt die Antwort für einen Scherz und fragte nach, ob es ihm ernst sei mit dem, was er da soeben gesagt habe. «Ja», sagte Duterte, «wir haben Davao gesäubert. Wenn einer in meine Stadt kommt und ein Kind vergewaltigt, erschiesse ich ihn.» – «Haben Sie selber Menschen getötet?» – «Ja», sagte er emotionslos, «wenn ich an der Reihe bin, dann gehe ich raus.» – «Sie kandidieren für das Amt des Staatspräsidenten. Falls Sie gewählt würden . . .» – «Dann würde ich nicht 500 töten, sondern 100 000. Und die korrupten Politiker in Manila werde ich auch töten und ihre Leichen in die Manila Bay werfen, um die Fische zu füttern, so dass die Fische fett werden. Gott wird weinen, falls ich Präsident werde.» Mit solchen Aussagen ist er Kult geworden. Man sagt, er sei ein «Mann mit Eiern», gradlinig, absolut unbestechlich, kompromisslos, ein «Dirty Harry» eben.

Zwei Freundinnen

Laut der letzten Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts SWS vom 28. November liegt Duterte mit 38 Prozent in allen Landesteilen und Einkommensschichten in Führung. Ein Konkurrent nach dem andern gerät ins Straucheln: Vizepräsident Jejomar Binay ist in einen Korruptionsskandal verstrickt, Grace Poe wurde nachträglich von der Wahlkommission ausgeschlossen, weil diese «plötzlich» Zweifel an ihrer reinrassigen Herkunft hatte. Dutertes letzter Konkurrent ist der vom amtierenden Präsidenten favorisierte Innenminister und Investmentbanker Mar Roxas II. Er liegt mit 15 Prozent weit abgeschlagen auf dem letzten Rang und schmiedet angeblich fleissig Intrigen. Kürzlich wurde Duterte vorgeworfen, er sei gleichzeitig mit zwei Frauen verheiratet und habe erst noch eine Freundin. Duterte antwortete, das sei nicht wahr, er habe zwei Freundinnen, und versprach: «I will not be like other presidents.»

Carlos Conde, Verantwortlicher für die Philippinen bei Human Rights Watch, bezeichnet Dutertes Popularität als Folge des Zusammenbruchs von Recht und Ordnung. Bei einer Wahl Dutertes fürchtet er einen Abbau der Menschenrechte. Dan Mariano, ein Politanalyst und Kolumnist in Manila, schreibt, dass die Kriminalität im Land am meisten Ängste schüre. Er traue dem «Punisher» zu, ein «game changer» zu sein. Über den weiteren Spielverlauf entscheiden die Philippinen am 9. Mai 2016.

Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. In seinem  im Herbst erschienenen Roman «Pacific Avenue» beschreibt er  zwei Reisen auf die Philippinen, eine im Jahre 1521 an Bord von Magellans «Trinidad» und eine im Jahre 2015 zu seiner  philippinischen Verwandtschaft (Wörterseh. 440 S., Fr. 36.90).

© Die Weltwoche; 17.12.2015

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