#chronos (1950)

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chronos_1950_cueni1950 kam der im Vorjahr in den USA in ­Schwarz-Weiss abgedrehte Spielfilm «All The King’s Men» in die Kinos des zerbombten ­Deutschlands. Der Film basierte auf dem Roman des Pulitzerpreisträgers Robert Penn Warren. Das Politdrama war ein Plädoyer gegen Diktatur und Terror. Der deutsche Titel war «Der Mann, der herrschen wollte».

Herrschen, aber gleich über den ganzen ­Planeten, wollte auch der erfolgreiche Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard. Er publizierte 1950 seine neue «Lehre und Technik zur ­Manipulation menschlichen Verhaltens» unter dem Titel ­«Dianetik». Er schrieb: «Dianetik ist eine ­Ingenieur-Wissenschaft, sie enthält daher keine Meinung über Religion, denn Wissenschaften basieren auf Naturgesetzen.» Vier Jahre später erkannte der notorische Hochstapler und ­praktizierende Satanist die wirtschaftlichen und steuerlichen Vorteile von Religionsgemein­schaften, benannte sein Hauptquartier in ­«Scientology-Kirche» um und bezeichnete fortan seine ­Aussendienstmitarbeiter als «Geistliche». Das Akquirieren von Kunden in Lebenskrisen bezeichnete er jedoch weiterhin als ­«herzustellende ­Produkte der Produktions­maschine Scientology».

Mit ganz anderen Problemen beschäftigte sich Doktor Ernst Gräfenberg in seiner Praxis. Er entdeckte eine erogene Zone in der Vagina der weiblichen Kundschaft und nannte sie «Gräfenberg-Zone», obwohl seine Kollegen nach aufopfernden Feld­versuchen bestritten, und teilweise immer noch bestreiten, dass es einen G-Punkt, ­G-Spot oder eine G-Zone gibt. Es wird weiter geforscht.

Forschungen anderer Art betrieb eine Couch-Potato im Ingenieurbüro der Firma Zenith Radio Corporation. Sie entwickelte 1950 das Gerät «Lazy Bones» (Faulpelz), die erste ­Fernbedienung, die noch über Kabel mit dem Fernseher verbunden war. Nachdem der Tüftler mehrmals über sein eigenes Kabel gestolpert war, wurde das Gerät aus dem Handel genommen und sechs Jahre später durch den kabellosen «Space Commander» ersetzt. Mit der inflatorischen Zunahme neuer TV-Kanäle kam Zapping in Mode, das ungeduldige Hin- und ­Herschalten mit verminderter Aufmerksamkeit. «Zapped» bedeutete übrigens im Wilden Westen abgeknallt, und so denken sich heute TV-­Programmentwickler alles mögliche aus, damit ihre Sendung nicht abgeknallt wird.

1494 teilte Papst Alexander VI. (Borgia) mit dem Vertrag von Tordesillas die Welt zwischen den beiden Seemächten Portugal und Spanien auf, 1950 teilten die Siegermächte die Welt erneut und starteten ein ruinöses Wettrüsten zwischen Ost und West. Es begann die Epoche des Kalten Krieges und der gegenseitigen Abschreckung. Auch Deutschland war nun in zwei deutsche Republiken aufgeteilt.

Während sich die demokratische ­Bundesrepublik Deutschland mit ihrer sozialen Marktwirtschaft in den nächsten Jahrzehnten zu einer der stärksten Volkswirtschaften der Welt entwickelte, scheiterte die realsozialistische ­Parteiendiktatur, die sich zum Marxismus-­Leninismus bekannte, wie üblich an der Realität und an der Natur des Menschen. 1990 wurde der Unrechtsstaat aufgelöst.

Der Kalte Krieg führte 1950 zum ersten ­Stellvertreterkrieg auf fremdem Boden. Das einst von Japan annektierte Kaiserreich Korea war nach Hitlers Niederlage von den USA und der Sowjetunion in Nord- und Südkorea aufgeteilt worden. Nachdem der Norden den Süden ­angegriffen hatte, griffen die USA und China in den Konflikt ein. Die USA erwogen erneut den ­Einsatz von Atombomben, die Welt befürchtete bereits den nächsten Weltkrieg.

Und Frank Sinatra sang: «I’ll Never Smile Again».

Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel.

© Basler Zeitung; 17.07.2015

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