#chronos (1962)

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chronos19621962 sangen die Marvelettes immer noch ihren Ohrwurm «Please Mr. Postman», der im Dezember 61 die US-Hitparade gestürmt hatte. Auch John F. Kennedy wartete auf den Postmann. Er wollte endlich, per Präsidentenerlass, das verschärfte Handelsembargo gegen Kuba unterzeichnen. Aber zuvor musste sein Pressesprecher noch die 1200 kubanischen Zigarren für seinen Privatkonsum bestellen. Kennedys legendärer Satz: «Fragen Sie nicht, was Ihr Land für Sie tun kann – fragen Sie, was Sie für Ihr Land tun können», ist oft missverstanden worden. Er bezieht sich nur auf die Steuerzahler. Für Staatschefs gilt Spinoza: «Der Nutzen ist das Mark und der Nerv aller menschlichen Handlungen.»

Während die Sowjetunion Mittelstrecken­raketen auf Kuba stationierte und die Presse wieder einmal debattierte, ob es angesichts des bevorstehenden Atomkrieges noch Sinn machte, das Zeitungsabo zu verlängern, frühstückte Audrey Hepburn nach den Anweisungen von Truman Capote bei Tiffany und Sean Connery observierte als Agent 007 eine junge Schweizerin aus Ostermundigen, die in einem weissen Bikini aus dem Wasser stieg: Ursula Andress, das erste Bondgirl.

Mehr Zuschauer hatte der Strassenfeger der 60er-Jahre, der sechsteilige TV-Krimi «Das Halstuch» von Francis Durbridge. Die Einschaltquote betrug 89 Prozent. Wer keinen Fernseher hatte, erhielt für eine Stunde Asyl beim Nachbarn. Ein ganzes Land fragte sich: Wer ist der Mörder? Die Mutter des TV-Schurken verriet es während der Maniküre der Mutter des Kabarettisten Neuss … «Vaterlandsverrat», konstatierte Bild.

Nachdem Kennedy Fidel Castro mit einem atomaren Gegenschlag gedroht hatte für den Fall, dass die Sowjetunion auch nur eine einzige Rakete von Kuba aus abfeuert, richteten die beiden Grossmächte eine Hotline ein und sandten den Satz: «The quick brown fox jumps over the lazy dog.» («Der schnelle braune Fuchs springt über den faulen Hund.»). Da dieser Satz alle Buchstaben des Alphabets beinhaltet, konnte die Zuverlässigkeit der ­Übermittlung geprüft werden.

Verständlicher war hingegen der Satz der Sexikone der 60er-Jahre: «Wenn ich immer alle Regeln befolgt hätte, hätte ich es nie zu etwas gebracht.» Marilyn Monroe starb 36-jährig an einer Überdosis Medikamente und beeinflusste anschliessend die Mode mehr als die Pariser Haute Couture. Sterben mussten in diesem Jahr auch Hermann Hesse und der weltberühmte Schweizer Tiefseeforscher Prof. August Piccard, der in Hergés Comics Pate stand für die Figur des zerstreuten Professors Tryphon Tournesol («Professor ­Bienlein»).

1962 erteilte Decca Recording den Beatles eine Abfuhr: «Wir mögen den Sound nicht und ausserdem ist Gitarrenmusik sowieso am Aussterben.» Vorläufig erfolgreicher war Bill Ramsey mit «Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett», bis ihn Dany Mann mit dem Song «Ich lese abends keinen Krimi» ablöste.

Auf Tahiti und in Französisch-Polynesien wurde mit der «Meuterei auf der Bounty» der vielleicht spektakulärste Film der 60er-Jahre an Originalschauplätzen abgedreht. Der erste ­Meuterer am Set war jedoch Carol Reed, den Marlon Brandos Starallüren zum Wahnsinn trieben. Entnervt übergab er die Regie (mitsamt der Liste an Sonderwünschen) an Lewis Milestone, der stillschweigend zusah, wie sich Marlon Brando am Set in seine exotische Filmpartnern Tarita Tumi Teriipaia verliebte und den Film erfolgreich zu einem finanziellen Desaster machte.

Captain Bligh zu Fletcher (Marlon Brando): «Suchen Sie sich die dreckigste Ecke der Welt, den verlassensten Winkel, den Sie finden können. Ich werde dort auf Sie warten, mit dem Strick in der Hand.»

Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. www.cueni.ch

Erschienen in der Basler Zeitung vom 24. April 2015

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