Highnoon im Wilden Westen Asiens

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Besser lesbarer Text escheint nach dem Zeitungsausschnitt.


 



Am 9. Mai 2021 wählen die Philippinen einen neuen Präsidenten. Rodrigo Duterte kann kein zweites Mal antreten. Die »election period« beginnt am 9. Januar 2022 und endet am 8. Juni 2022. In dieser Zeit ist das Tragen von Feuerwaffen verboten. Aus einem guten Grund. Im Wilden Westen Asiens wurden in den bisherigen Wahljahren jeweils zwischen 120 und 310 Menschen erschossen.


Blick – 06. Dezember 2021

CLAUDE CUENI

Alle grossen Männer haben viele Feinde», lacht Ferdinand Marcos Jr. (64) in die Kamera, als ihn die Schauspielerin Toni Gonzaga in ihrer TV-Show «Toni Talks» fragt, wie er das Kriegsrecht unter seinem Vater, dem Diktator Ferdinand Marcos (1917– 1989), erlebt hat.

«Viele Feinde» – das sind wie viele? Spätere Regierungen haben 75 000 Verbrechen dokumentiert, 70 000 Menschen wurden in Militärlagern interniert, davon 34 000 gefoltert, 3240 ermordet und einige Tausend sind spurlos verschwunden.

Marcos Jr. ist in den sozialen Medien omnipräsent. In bisher 188 Videoblogs schwärmt er gut gelaunt von seinem grossartigen «Dad». Wir erfahren, dass er die gleiche Kleidergrösse hat wie sein Vater, die gleiche Stimme, und dass er und sein «Dad» praktisch identisch seien. Bereits als 23-Jährigen ernennt ihn sein Vater zum Vizegouverneur der Heimatprovinz Ilocos Norte, sechs Jahre später zum Gouverneur. Als Strohmann der Telekommunikationsfirma Philcomsat bezieht er ein für die damalige Zeit astronomisches Jahresgehalt von rund 1,16 Millionen Dollar.

Dass er nun für das Amt des philippinischen Staatspräsidenten kandidiert, hat praktische Gründe. Es ist für den Marcos-Clan die letzte Möglichkeit, den Malacañang-Palast zurückzuerobern.

2016 kandidierte Marcos Jr. für das Amt des Vizepräsidenten. Er unterlag knapp. Rodrigo Duterte (76) wurde Präsident und bezeichnete Marcos als seinen fähigsten Nachfolger für die Wahlen 2022. Auf den Philippinen ist nur eine einzige Amtsdauer möglich, sie dauert sechs Jahre.

Wo Duterte draufsteht, steckt der Marcos-Clan drin, eine Oligarchen-Dynastie, die seit Generationen die Provinz Ilocos Norte beherrscht. Bereits Duter-tes Vater Vicente diente unter dem Diktator. Die Marcos finanzierten 2016 einen Teil des Wahlkamps von «Dirty Harry», wie die «Financial Times» Duterte nennt. Als Gegenleistung durften sie nach dessen Wahlsieg den einbalsamierten Leichnam des Diktators auf dem Heldenfriedhof begraben. Seit 1993 war der Patriarch auf dem Familienanwesen in einem Glassarg aufbewahrt. Die «National Historical Commission of the Philippines» und zahlreiche Opfer protestierten vehement gegen die Verlegung. Vergebens.

Auf den Philippinen gilt «utang na loob», die gegenseitige Bringschuld. Was im familiären Umfeld die Bande stärkt und das fehlende Sozialsystem ersetzt, fördert in der Politik die Korruption. Diktator Marcos hatte bereits 1965 nach seinem Einzug in den Malacañang-Palast mit der gezielten Plünderung des Landes begonnen und bei ausländischen Banken Konten eröffnet. Auch bei der damaligen Schweizerischen Kreditanstalt (heute Credit Suisse), die nach dem Sturz des Diktators 700 000 Franken an die neue Regierung zurücküberwies.

Bei seinem Amtsantritt hatte Marcos noch ein Vermögen von 30 000 Dollar deklariert, als Präsident verdiente er jährlich 63 000. Als er 1986 aus dem Land verjagt wurde, hatte er bereits zehn Milliarden Dollar geraubt, nach heutigem Wert etwa 50 Milliarden Dollar. Egal, ob Japan Kriegsreparationen leistete, die Weltbank ein Darlehen überwies oder jemand eine Baubewilligung beantragte, «Mister 15 Prozent» zweigte jedes Mal eine Provision ab. Als er 1972 das Kriegsrecht erklärte, galten die Philippinen als das zweitkorrupteste Land der Welt.

Der Junior verspricht keinen Neuanfang. Er will das Werk seines Vaters fortsetzen. Als Vizepräsidenten hat er jedoch nicht Duterte gewählt, sondern ausgerechnet dessen Tochter Sara (43). Seitdem nennt ihn Duterte einen verwöhnten Kokainkonsumenten, der zu schwach sei für das Amt des Präsidenten.

Nun hat Duterte ein Problem. Ihn erwarten nach Ablauf seiner Amtszeit zahlreiche Anklagen. Der internationale Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt wegen 7000 Morden, je nach Quelle fielen über 20 000 Menschen Dutertes «War on Drugs» zum Opfer. Duterte kennt die Spielregeln. Als er 2016 Präsident wurde, liess er gleich die Justizministerin Leila de Lima (62) medienwirksam im Parlament verhaften. Sie sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Auch Marcos Jr. hat ein Problem. Er wurde wegen Steuerhinterziehung zweimal rechtskräftig verurteilt, sein Bachelor der Universität Oxford ist genauso erfunden wie die Kriegsauszeichnungen seines Vaters. Mutter Imelda (92) hatte bereits 901 Klagen am Hals. In letzter Instanz wurde sie jeweils freigesprochen. «Die Königin der Diebe», wie sie im Volksmund heisst, wohnt mit vier Dienern in einer der teuersten Wohnungen der Philippinen, ausgestattet mit Gemälden von Michelangelo, Gauguin und Picasso. In Interviews klagt sie tränenreich, dass sie verarmt sei und von einer kläglichen Kriegswitwenrente lebe.

Die Marcos kämpfen an allen Fronten um die Rückkehr in den Malacañang-Palast. Mit Estelito Mendoza (91) führt der Superstar der philippinischen Anwälte die juristischen Schlachten: Er war Justizminister unter Diktator Marcos und rechtfertigte das blutige Kriegsrecht. Jetzt will er dem Junior zur Macht verhelfen. Er intervenierte bei der Wahlaufsichtskommission, um zu verhindern, dass Marcos wegen Steuerbetrugs disqualifiziert wird.

Am 9. Mai 2022 wird gewählt. Nach heutigem Stand liegt das Tandem Marcos/Duterte deutlich in Führung. Für westliche Medien schwer verständlich.

Mit einem Durchschnittsalter von 23 (Schweiz: 42,7) haben die Philippinen eine sehr junge Wählerschaft. Sie hat die Diktatur nicht am eigenen Leib erfahren und bezieht ihre Informationen aus den sozialen Medien. Eine junge Filipina sagt mir, sie wähle Marcos, weil er jeder Studentin pro Semester 6000 Pesos (120 Franken) schenke. Ein Schullehrer erklärt mir, alle Gräueltaten, die man den Marcos nachsage, seien Fake News. Ein Taxifahrer in Manila fragt, wozu Geschichte eigentlich gut sei, das sei doch alles vorbei. Wenn er sich bloss nicht täuscht.


Claude Cueni (65) ist Schriftsteller, Blick-Kolumnist und lebt in Basel. Er schrieb den Philippinen-Roman «Pacific Avenue». Zuletzt erschienen bei Nagel & Kimche «Genesis – Pandemie aus dem Eis» (2020) und «Hotel California» (2021).


 

 

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