01 – 2025 Cueni. Panama. Roman Giganten.

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GIGANTEN

Historischer Roman, 450 Seiten

Texttauszug: ab Seite 367 (Panama)


 

Frédéric Bartholdi und Allan Pinkerton ritten die pazifische

Küste entlang. Die tropische Hitze war drückend, die Vegeta-

tion üppig und feindlich. Kaum öffnete man die Lippen, hatte

man eine Handvoll Insekten im ausgetrockneten Mund. In der

Ferne ragte der Kegel des Vulkans Barú in den Himmel.

»Die Kuna-Yala-Indianer halten den Vulkan für einen Gott,

den es zu besänftigen gilt.« Pinkerton zündete sich eine Zigarre

an: »Wissen Sie, Mister Bartholdi, in meinem Beruf zählen nur

überprüfbare Fakten, und je länger ich dieses Business betreibe,

umso mehr wundere ich mich über den infantilen Aberglauben

der Menschen. Eigentlich bin ich enttäuscht, dass die Menschen

geistig auf dem Niveau der Bronzezeit stehen geblieben sind. Ja,

ich bin enttäuscht. Was ist denn Ihre größte Enttäuschung?«

»Dass das Leben nicht gerecht ist, Mister Pinkerton.«

»Wieso sollte es das?«, brummte Pinkerton und zog an sei-

ner Zigarre.

Schweigend ritten sie weiter. Zahlreiche Gräber säumten den

Weg. In der Ferne sahen sie die Silhouetten von Zelten und Bar-

racken.

»Sehen Sie irgendwo Arbeiter, Mister?«, fragte Frédéric.

Pinkerton beobachtete die Umgebung aufmerksam. »Ich sehe

nur einen Haufen Kreuze, die in kleinen Grabhügeln stecken.«

»Aber jemand muss die Leute doch begraben haben.«

Endlich erreichten sie das Lager der Panama-Gesellschaft.

Vereinzelt tauchten nun Arbeiter auf, aber sie arbeiteten nicht

und ignorierten die beiden Reiter. Hier schien die Zeit stehen

geblieben zu sein.

Ein ausgemergelter Mann mit fiebrigem Gesicht kam ihnen

entgegen. »Sind Sie Ärzte?«, rief er ihnen verzweifelt zu. »Ich

bin Docteur Rougemont aus Paris. Meine Kollegen sterben, wir

brauchen Ärzte. Wir sind machtlos gegen diese Mücken. Die

Menschen sterben zu Hunderten, ja Tausenden.« Er zeigte ins

Innere eines Zeltes. Zahlreiche Betten waren aneinandergereiht,

alle überbelegt. Die Pfosten der Betten standen in Wasserei-

mern.

»Was ist das?«, fragte Pinkerton und wies auf die Pfosten.

»In Paris haben sie uns gesagt, wir sollten überall Wasserei-

mer aufstellen. Das würde die Epidemie beenden.«

Hinter dem Zelt fuhren mit Fässern beladene Karren vorbei.

»Wir stecken die Leichen in Essigfässer, damit wir nicht noch

mehr Kreuze aufstellen müssen. In Paris bezahlt die Universi-

tät für jede einzelne Leiche.«

Pinkerton hielt sein Pferd zurück und herrschte ihn an: »Ent-

fernen Sie sofort die Eimer unter den Bettpfosten. Diese Was-

ser sind die Brutstätten der Malariamücke! Was seid ihr bloß

für Idioten!«

»Wie viele Tote habt ihr schon?«, fragte Frédéric.

»Wir zählen nur die Weißen«, gab der Arzt zurück. »Chine-

sen, Inder, Neger und die Wilden aus den Antillen zählen wir

nicht. Kontraktarbeiter kosten weniger als ein Stück Maisbrot.«

»Wie viele?«, insistierte Frédéric.

Ȇber 20 000, von meinen 25 Krankenschwestern sind be-

reits 21 tot, Eiffel hat drei seiner vier Chefingenieure verloren.

Malaria, Gelbfieber, es ist die Hölle.«

Frédéric warf Pinkerton einen Blick zu. »Das könnte eine

Schlagzeile sein, murmelte er. »Wo ist Gustave Eiffel?«, fragte

er den Arzt.

»Geflohen, gestorben, was weiß ich«, fluchte der Arzt, »ich

werde morgen mit dem Leichenexpress verschwinden. Die

Eisenbahnlinie führt durch den Dschungel. Der Zug ist mit

Essigfässern gefüllt. Nur der Lokführer und ich werden noch

lebendig sein. Meine Herren, das ist eine jüdische Verschwö-

rung!«

»Dann sollten Sie jetzt ein paar Aufnahmen machen, Mon-

sieur Bartholdi, Paris braucht Beweise. Docteur, wo finden wir

Jacques de Reinach?«

Der Finanzagent und Buchprüfer der Panama-Gesellschaft hing

unter dem Torbogen im Hof eines kleinen Hotels, das im spa-

nischen Kolonialstil erbaut war. Im Todeskampf hatte sich sei-

ne Blase entleert und die Hosenbeine dunkel gefärbt. Zwei Mes-

tizen halfen Pinkerton, die Leiche vom Strick zu schneiden. In

der Innentasche von Jacques de Reinachs fleckigem Gilet befand

sich ein ziemlich dickes Bündel handgeschriebener Blätter.

»Es gibt verschiedene Arten, ein Geständnis abzulegen«, be-

merkte Pinkerton trocken und reichte Frédéric die Dokumente.

Gemeinsam überflogen sie die Papiere. Dann ließen sie sich

kühle Drinks servieren und setzten sich in den Schatten eines

Sonnensegels. In den nächsten Stunden studierten sie die Do-

kumente, Blatt für Blatt.

»Was suchst du in Panama?« Gustave Eiffel hatte gegen Abend

den Hof betreten. »Ich hörte, dass du hier rumlungerst.«

»Ich wollte dir einen Koloss von Rhodos vorschlagen«, amü-

sierte sich Frédéric.

»Von dir würde ich nicht mal eine Schraube wollen. Komm

mir bloß nicht in die Quere! Der Zutritt zur Baustelle ist dir

verboten, genauso wie allen Presseleuten.«

»Ich werde dir keine Schrauben verkaufen, Gustave Eiffel,

ich schenke dir die Hölle von Panama.«

Gustave wollte sich auf Frédéric stürzen, doch Pinkerton hob

den Zeigefinger etwas in die Höhe und schüttelte den Kopf.

Seine linke Hand ruhte auf dem Knauf seines Revolvers in der

Innentasche.

»Was wollt ihr? Ich habe ein Werbebudget.« Eiffel schaute

wild um sich.

»Wir haben die Liste mit deinen ›Werbeausgaben‹ gefunden.

Jacques de Reinach war da sehr genau.« Frédéric wedelte mit

den Bankdokumenten. »Schätzungsweise über 500 Überwei-

sungen an Journalisten, den Finanzminister sowie den Minis-

terpräsidenten; das hätte ich nicht erwartet.«

»Alle Menschen sind bestechlich«, stieß Gustave ungeduldig

hervor, »wie viel?«

»Wie viel was?«, fragte Frédéric.

»Wie viele Goldfrancs«, herrschte ihn Gustave an und be-

gann wie ein Pferd zu schnaufen.

»Gustave, ich mache mir nichts aus Geld, das solltest du

mittlerweile wissen. Ich will keinen einzigen Goldfranc, ich will

dich fallen sehen. Und zwar in aller Öffentlichkeit, erniedrigt

und verurteilt, damit dein Turm bis in alle Ewigkeit erinnert an

einen Mann, der ein Herz aus Eisen hatte und als Betrüger im

Gefängnis verstarb!«

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