132 Blick »Wieso ich Tintin immer noch mag«

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Heute vor 40 Jahren verstarb der belgische Zeichner Georges Remi (1907–1983) 76-jährig an Leukämie. Sein Künstlername: Hergé. Seine Figuren: Tim und Struppi. Mittlerweile wurden über eine Viertelmilliarde Alben in 133 Sprachen und Dialekten publiziert.

 

1957 scheinen Hergés ruhmreiche Tage gezählt. Der Journalist Pol Vandromme plant die erste Biografie. Hergé hat Angst, dass seine «schwarzen Jahre» (1940–1944) thematisiert werden. Denn während für die meisten Belgier die Jahre unter deutscher Besatzung zum Albtraum wurden, begannen für Hergé die «goldenen Jahre». Viele Künstler verweigerten sich den Nazis, «ils cassent leur plumes» (sie brechen ihre Federn). Hergé ersetzt sie alle und verdient viel Geld.

 

Nach dem Krieg steht Hergé wegen Kollaboration mit den Nazis vor Gericht. Man entzieht ihm die Bürgerrechte, er wird mit einem Berufsverbot belegt, doch er verbringt nur wenige Tage hinter Gittern: «too big to fail».

 

1959 kommt die Biografie «Le monde de Tintin» in die Buchläden. Pol Vandromme schreibt, Hergé habe den «Olymp der Literatur» betreten und vergleicht die Alben mit Werken von Hemingway, Hitchcock und Jules Verne. Er legt den Grundstein für die Errichtung eines belgischen Nationaldenkmals.

 

Vier Jahre nach Hergés Tod schliesst seine zweite Ehefrau Fanny Vlaminck die Hergé-Studios und gründet eine Stiftung. Sie pusht das Merchandising und treibt die Preise für Memorabilien. 2021 erzielt das Original-Titelbild des Bandes «Der Blaue Lotos» im Pariser Auktionshaus Artcurial einen Preis von 3,2 Millionen Euro.

 

Hergé hat Grossartiges geleistet, war aber als Mensch alles andere als grossartig. Für mich sind die Comic-Alben jedoch Erinnerungen an meine jurassischen Cousins. Als Kinder interessierten wir uns nicht für den Autor und als Erwachsene lieben wir vor allem jene Abenteuer, die wir damals verschlungen haben. Weil nur sie die Erinnerung wiederbeleben.

 

Wer die Tintin-Alben in seiner Kindle-Bibliothek hat, erhält laufend «Updates»: Anpassungen an den ständig wechselnden Zeitgeist, bis Kinder schliesslich glauben, Kapitän Haddock hätte politisch korrekt geflucht und die Zeit nach Kriegsende sei genauso humorlos, intolerant und spiessig gewesen wie die Gegenwart.

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