044 Blick »Desperados auf zwei Rädern«

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Dass wir heute auf unseren Trottoirs von rücksichtslosen Velo-Rowdys und E-Trottinettlern verjagt werden, hat mit dem Wetter im frühen 19. Jahrhundert zu tun. Und das kam so: Missernten führten zu einer Nahrungsmittelknappheit, zahlreiche Menschen starben den Hungertod. Während wir heute mit der Sexualpädagogin Deanne Carson öffentlich diskutieren, ob man Babys vor dem Wickeln um Erlaubnis fragen muss, hatten die Menschen damals noch echte Probleme.

Auch Karl Freiherr von Drais. Er konnte sich kaum noch das Futter für seine Pferde leisten. Da es damals weder Crowdfunding noch die Kultur des Jammerns gab, erfand er kurzerhand eine hölzerne Konstruktion mit zwei Rädern, eine sogenannte Laufmaschine, ein Vorläufer des Velos, aber noch ohne Pedale. Für den Antrieb benutzte man die Beine. Die «Draisine» erfreute sich rascher Beliebtheit, da man sie nicht füttern musste und sie nie ein Burn-out erlitt.

Doch das Geld, das der Freiherr von Drais beim Futter einsparte, investierte er in Hochprozentiges. Das hielt ihn aber nicht davon ab, 1812 eine «Notenschriftmaschine» zu erfinden, die beim Klavierspielen gleichzeitig die Noten aufzeichnete. Berühmt wurde auch seine «Schnellschreibmaschine» mit lediglich 16 Tasten und ein innovatives Rohrleitungssystem, das von seinen Hauslieferanten, den Schnapsbrennereien, übernommen wurde.

Es war wohl einer Schnapsidee geschuldet, dass er an einer Expedition nach Brasilien teilnahm. Als er fünf Jahre später mittellos zurückkehrte, wollte man den «närrischen Mann» entmündigen, aber seine Schwestern retteten ihn. Mittlerweile war seine Draisine von anderen europäischen Herstellern kopiert und verbessert worden. Er griff wieder zur Flasche. Nach einer Wirtshausschlägerei landete er in der Gosse und wurde zum Gespött: «Freiherr von Rutsch, zum Fahre kei Kutsch, zum Reite kein Gaul, zum Laufe zu faul.»

Heute ist das verkannte Genie auf einer Briefmarke verewigt, und die Weiterentwicklungen seiner hölzernen Laufmaschine sind ein Ärgernis für Fussgänger. Denn im Gegensatz zu Autofahrern geniessen Verkehrssünder auf zwei Rädern fast schon diplomatische Immunität.

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