11-2025 Cueni “Wie militärisches Hightech Archäologie revolutioniert.“

Blatten, Pompeji, Atlantis

Wie militärisches Hightech Archäologie revolutioniert

5807 Claude Cueni / 27.6.25

 

Wie kann es sein, dass wir im 21. Jahrhundert noch immer jahrtausendalte Siedlungen entdecken? Eine Antwort gibt die brutale Naturkatastrophe im Schweizer Bergdorf Blatten. Beim Gletscherabbruch am 28. Mai stürzten rund neun Millionen Kubikmeter Fels, Eis und Geröll ins Tal und begruben das Dorf unter einem bis zu 100 Meter hohen Schuttkegel. Ein Wiederaufbau an der bisherigen Stelle ist aufgrund der massiven Schuttmengen und der anhaltenden Gefahrenlage unrealistisch.

 

Auch Pompeji wurde nicht wieder aufgebaut nachdem am 24. August 79 n. Chr. der Vesuv einen Drittel der Bevölkerung mitsamt ihren Häusern unter Asche, Bimsstein und Lavamassen begraben hatte. Die frühzeitig Geflüchteten zogen in die Nachbarstädte Neapolis, Cumae und Puteoli.

 

Für jeden einzelnen Betroffenen bedeuten solche Ereignisse einen unglaublichen Schicksalsschlag. Er verschüttet für immer, was einmal war. Für die Archäologie ist es meistens ein “Glücksfall“, weil bei Ausgrabungen eine unverfälschte Momentaufnahme aus vergangenen Zeiten sichtbar wird.

 

Solche “Glücksfälle“ werden häufiger dank Innovationen aus den Forschungslabors der Rüstungsindustrie. Manch eine Erfindung sorgte später im zivilen Bereich für Furore. LiDAR (Light Detection and Ranging) wird im Militär für die topographische Kartierung durch Flugzeuge und Drohnen eingesetzt. Da es auch dichte Dschungelvegetation durchdringen kann, nutzen es moderne Archäologen um bisher verborgene Strukturen sichtbar zu machen. Auch unter der Erde. So wurden neue Entdeckungen im kambodschanischen Angkor, in den Maya-Städten in Guatemala und im Amazonas-Gebiet möglich. Auch Magnetfeldmessungen, Bodenradar (GPR) und Sonartechnologie wurden ursprünglich für die Lokalisation feindlicher U-Boote und Minensuche entwickelt. Archäologen spüren damit ohne Grabungen Mauern, Gräber und andere Strukturen auf. Die ursprünglich für militärische Aufklärung entwickelte Drohnentechnologie hat längst die privaten Haushalte erreicht. In der Archäologie hilft sie, in schwer zugänglichen oder gefährlichen Gebieten Informationen zu sammeln. Eine weitere militärische Erfindung ist die Radiokarbon- und Isotopenanalyse. Sie ermöglicht die Datierung von organischem Material wie Knochen, Holz und Textilien. Ohne die von der Marine entwickelte Sonartechnologie wären auch etliche versunkene Städte und Schiffswracks nie gefunden worden.

 

Nicht nur die Archäologie ist heute stark von militärischer Technologie geprägt. Auch in unseren Haushalten dominiert militärisches Know-how. Das Internet basiert auf “Arpanet“, das einst vom US-Verteidigungsministeriums für die militärische Kommunikation entwickelt wurde. In jedem Neuwagen ermöglicht GPS (Global Positioning System) eine präzise Navigation. Der Mikrowellenherd, die Digitalkameraund die Teflonbeschichtung unserer Bratpfannen sind allesamt kriegsrelevante Technologien, die heute unser Zivilleben erleichtern.

 

Die Archäologie steht im Jahre 2025 vor einem goldenen Zeitalter der Entdeckungen. Künstliche Intelligenz und Quantensensorik verpassen den Indiana Jones und Lara Crafts einen Megabooster. Dank KI können heute Milliarden von Datenpunkten innert Minuten ausgewertet und Muster erkannt werden, die menschliche Forscher übersehen würden – trotz jahrelanger Forschung. Mit Datenintegrationsplattformen wie «Palantir Foundry», einer entfernten Verwandten der militärisch ausgerichteten Software “Palantir Gotham“, die auch von Israel genutzt wird, können Daten aus ganz verschiedenen Quellen intelligent und aussagekräftig verknüpft werden, was für die Sichtbarkeit von antiken Handelsnetzwerken unerlässlich ist. Falls das angeblich hochentwickelte Atlantis real ist, war Handel die treibende Kraft für den Wohlstand. Es gibt verschiedene Vorgehensweisen um Artefakte von Zivilisationen ausfindig zu machen, die seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden unter Schlamm begraben auf dem Meeresboden liegen. Die autonomen Unterwasserfahrzeuge (AUVs) von morgen werden sie finden.

 

Versunkene Städte wurden bisher auf allen Kontinenten entdeckt – die meisten infolge von Naturkatastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüchen oder dem Anstieg des Meeresspiegels. Einige wurden zufällig entdeckt, andere gezielt gesucht und gefunden. Zu den besonders gut erhaltenen Altertümern zählt Shi Cheng, “Chinas Atlantis“ in 30 Meter Tiefe. Die Altstadt aus der Ming- und Qing-Zeit bietet wie die meisten Fundorte faszinierende Einblicke in vergangene Kulturen und schreiben nicht selten Geschichte neu.

 

Werden wir eines Tages auch Atlantis finden? Sofern es nicht nur eine Parabel von Platon war, sollte es dank neusten Tiefsee-Sonar-Technologien und KI zur Mustererkennung noch in diesem Jahrhundert gefunden werden. Und falls es nicht gefunden wird, können wir davon ausgehen, dass es bloss eine gute Story war.

 

Leider wird es auch in Zukunft apokalyptisch anmutende Naturkatastrophen geben, die Siedlungen zuschütten – und andere freilegen, die bisher unbekannt waren.

 

In der 4,5 Milliarden Jahre alten Geschichte der Erde sind Naturkatastrophen genauso Normalität wie sich abwechselnde Kalt- und Warmzeiten und damit verbundene extreme Kälte- und Wärmeperioden. Das Klima kann man nicht retten, es tut was es will. Schützen kann man hingegen die Menschen vor den Nebenwirkungen indem man rechtzeitig warnt und in allen Bereichen notwendige Anpassungen vornimmt. Nicht nur in der Städtearchitektur. In Blatten wird zurzeit diskutiert, ob man für die gesamte Alpenregion ein satellitengestütztes, KI basiertes, engmaschiges Monitoring einrichten soll, das kleinste Erschütterungen und langsame Verschiebungen im Zentimeterbereich erfassen kann. Schwierig bleiben die blinden Flecken bei steilen Felsflanken. Aber auch dieses Problem wird eines Tages gelöst. Von der Rüstungsindustrie – falls die Forschung einen militärischen Nutzen hat.

10-2025 Cueni: Netflix. Wendepunkt Vietnamkrieg

Wendepunkt Vietnam, Netflix Serie 2025

Kriegspropaganda Vietnam, Irak, Ukraine

 

5545 Anschläge inkl. LZ

 

Die 6teilige Netflix Serie „Turning Point: The Vietnam War (2025)“ zeigt eindrücklich, wie stark der Vietnamkrieg von Propaganda und gezielter Desinformation begleitet wurde. Parallelen zum Krieg in der Ukraine sind

unübersehbar und bestätigen einmal mehr, dass im Krieg zuerst die Wahrheit stirbt. Und zwar auf beiden Seiten.

 

In den 1960er-Jahren bemühte sich die amerikanische Regierung unter Richard Nixon (1913-1994) jede Kritik am Vietnamkrieg zu delegitimieren: Kriegsgegner wurden als kommunistische Handlanger Moskaus oder Pekings diffamiert, ähnlich wie heute im Ukrainekrieg. Wer damals gegen den Krieg protestierte, galt schnell als „kommunistisch unterwandert“, als Sprachrohr Moskaus oder Pekings. Die Frage nach diplomatischen Lösungen oder die Kritik an der Brutalität des Krieges wurden nicht als legitime Meinungen anerkannt, sondern als Bedrohung der nationalen Sicherheit – ein Muster, das sich heute im Ukrainekonflikt wiederholt. Auch heute werden kritische Stimmen, die zu Verhandlungen aufrufen oder westliche Waffenlieferungen infrage stellen, reflexartig als „putingesteuert“ oder gar als “gesichert rechtsextrem“ diffamiert. Der Vorwurf der illoyalen Gesinnung ersetzt das Argument.

 

In beiden Fällen diente und dient diese Rhetorik dazu, einen differenzierten Diskurs zu unterdrücken und Regierungslinien gegen abweichende Meinungen abzusichern.

 

Mit der Netflix-Dokumentation “Turning Point: The Vietnam War (2025)“ erscheint eine sehenswerte Analyse des Vietnamkriegs. Hochkarätig sind die zahlreichen Zeitzeugen die ihre Sicht der Dinge darlegen. In fünf Episoden zeichnet Regisseur Brian Knappenberger die politische Eskalation, die medialen Verzerrungen und die tiefgreifenden gesellschaftlichen Spaltungen nach, die der Vietnamkrieg in den USA auslöste.

 

Ein zentrales Thema der Serie ist die Diskrepanz zwischen den Aussagen der US-Regierung und den tatsächlichen Geschehnissen in Vietnam. Sehr eindrücklich ist die Gegenüberstellung von Presseerklärungen und mittlerweile freigegebenen Tonbandmitschnitten. Da offenbart sich ein menschenverachtender Zynismus der selbst Hartgesottene schockiert. Während Nixon im Fernsehen das Ende des Krieges verspricht, sagt er am gleichen Tag im vertrauten Gespräch mit Kissinger, dass sie aus innenpolitischen Gründen den Krieg weiterführen müssen. Die jungen Männer, die im Dschungel sterben, sind ihm völlig egal. Bei Kriegsende sind es rund 58.000, das sind 58.000 Tragödien, Albträume, stille Geburtstage, leere Stühle und ein Echo, das nie verklingt. Selbst ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende sind die Emotionen der Angehörigen nicht verklungen. Wut und Verbitterung kehren zurück. Nixon schickte meist junge, unerfahrene Männer aus der Unterschicht in den Dschungel. Die grösste Gruppierung waren Afroamerikaner. Sie mussten für ein Land kämpfen, töten und sterben, obwohl dieses Land ihnen weiterhin das Stimm- und Wahlrecht vorenthielt. Muhammad Ali verweigerte am 28. April 1967 den Militärdienst mit den Worten: „Ich habe keinen Streit mit denen, kein Vietcong hat mich je ‚Nigger‘ genannt.“ („I ain’t got no quarrel with them. No Viet Cong ever called me nigger.“). Noch am selben Tag wurde er verhaftet und zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 10.000 US-Dollar verurteilt. Er verlor seine Boxlizenz.

 

Schon frühzeitig präsentierte die CIA eine umfangreiche Analyse in der sie unmissverständlich darlegte, dass die USA den Vietnamkrieg nicht gewinnen können, nicht gewinnen werden. Nixon und Kissinger wussten es, aber sie brauchten den Krieg zum persönlichen Machterhalt und täuschten und belogen jahrelang Öffentlichkeit und Kongress. Die Dreistheit erinnert an den irakischen Informationsminister „Comic Ali“, der 2003 den Sieg Saddam Husseins verkündete, während US-Panzer an seinem Fenster vorbeifuhren. 

 

Die Vietnam-Dokumentation ist mehr als ein bloßer Rückblick. Sie zeigt, wie wenig sich Grundmuster politischer Kommunikation geändert haben. Wer sich die fünf Stunden aufmerksam anschaut, erkennt nicht nur die Fehler der Vergangenheit, sondern auch die Fallstricke der Gegenwart: Kriegsbegeisterung ohne Perspektive, mediale Homogenität ohne kritischen Diskurs, moralischer Absolutismus ohne Raum für Diplomatie.

 

In Vietnam waren Journalisten wie Peter Arnett oder Neil Sheehan massgeblich daran beteiligt, dass die öffentliche Meinung wechselte und landesweite Demonstrationen gegen den Krieg die Regierung das Fürchten lernten. Sie schrieben, was ist. Fakten statt Meinungen. Heute sitzen in den Redaktionsbüros mehrheitlich Aktivisten und Diener der Regierungen. Oeffentlich-rechtliche Fernsehsender sind heute “service gouvernement“ statt “service public“. Das oberste Gebot scheint zu sein: Egal, was passiert, bloss nicht Wasser auf die Mühlen des politischen Gegners.

 

In diesem Sinne ist „Turning Point: The Vietnam War (2025)“ lehrreich und erinnert woran uns die Medien nicht erinnern wollen und werfen (ohne es zu wollen) die Frage auf, was sonst noch alles gelogen ist? Die Frage müsste eher lauten: Was ist nicht gelogen? Obwohl die fortschreitende Demenz von Joe Biden immer offensichtlicher wurde, verschwiegen die Medien konsequent seine Krankheit und stellten nie die Frage wer, während in seiner Amtszeit die Regierungsgeschäfte führte. Der Deep State? Wer denn sonst? Ich war es nicht. Dass das Klima wärmer wird ist offensichtlich. Menschengemacht oder Naturkonstante? Erst in einigen Jahren werden wir erfahren, ob Global Warning bloss ein weiterer Scam war, um Sondersteuern zu erheben und den Great Reset durchzusetzen.

 

Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. Soeben erschien in der Edition Königstuhl sein Bildband “Small Worlds – Volume II“.

 

09-2025 Cueni “We are all born atheist“

We are all born atheists (Greek “a-theos” = “without god”).

Until someone administers religion to us like an oral vaccine.

The mother of all religions is the sun.

It is neither female nor male.

It is the sun.

It is about 4.6 billion years old.

It is the center of the solar system.

It gives light and life.

It can warm, but also burn.

Sun worship is one of the oldest forms of religious practice.

It was practiced in almost all cultures.

The earliest sun cults date back to the Neolithic period.

The pharaohs were considered sons of the gods; Akhenaten saw himself as the mediator between the sun god and mankind.

The Inca rulers were also regarded as „sons of the sun“ and worshipped the sun god Inti.

The Indian king Rama was said to be a descendant of the sun god Surya.

Japanese emperors are considered descendants of the sun goddess Amaterasu.

Today, more than 3,000 gods are worshipped.

All of them are copy-and-paste constructs, patchwork plagiarisms designed to domesticate people through threats and promises of salvation.

And one more thing:

The sun doesn’t give a damn about our fate.

 

 

08-2025 Cueni “Wir werden alle als Atheisten geboren“

Wir werden alle als Atheisten geboren (griech. „a-theos“ = „ohne Gott“).

Bis uns jemand Religion verabreicht wie eine Schluckimpfung.

 

Die Mutter aller Religionen ist die Sonne.

Sie ist weder weiblich noch männlich.

Sie ist die Sonne.

Sie ist in etwa 4,6 Milliarden Jahre alt.

Sie ist das Zentrum des Sonnensystems.

Sie spendet Licht und Leben.

Sie kann wärmen, aber auch verbrennen.

Sonnenverehrung ist eine der ältesten Formen religiöser Praxis.

Sie wurde in fast allen Kulturen praktiziert.

Die frühesten Sonnenkulte stammen aus der

Jungsteinzeit (Neolithikum).

Echnaton hielt sich für den Vermittler zwischen dem Sonnengott und den Menschen. Auch die Inka-Herrscher galten als „Söhne der Sonne“ und verehrten den Sonnengott Inti.  Der indische König Rama galt als Nachkomme des Sonnengottes Surya. Die japanischen Kaiser gelten als Nachfahren der Sonnengöttin Amaterasu.

Heute werden über 3000 Götter verehrt. Sie sind allesamt Copy & Paste Konstrukte, Patchwork Plagiate und haben zum Ziel die Menschen mit Drohungen und Heilsversprechen zu domestizieren.

Unser Schicksal ist der Sonne scheissegal.

 

 

https://www.cueni.ch/buecher/godless-sun/bibel-der-atheisten/

 

06 – 2025 Weltwoche: Als nicht alle Menschen sitzen durften

weltwoche.de

13.06.2025 19:45

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Als nicht alle Menschen sitzen durften

 

Claude Cueni

In der griechischen Agora und auf dem Forum Romanum gab es steinerne Sitzmöglichkeiten, oft in Form von Mauervorsprüngen oder niedrigen Sockeln. Sitzen war kein neutraler Akt. Wo man sitzen durfte, war klar geregelt. Und wer sitzen durfte, das entschied die soziale Stellung. Die Arena, der Tempel, das Bad – für all diese Orte war stillschweigend geregelt, wer wie und wo -sitzen durfte.

 

Im Mittelalter gab es noch keine Bänke im heutigen Sinn. Sitzen war immer noch ein Privileg. Selbst in der Kirche -musste das Volk stehen (oder demütig knien), nur der Adel durfte sitzen.

 

Auch im 17. Jahrhundert kannten die Städte kaum Sitzbänke; der öffentliche Raum war noch auf Verkehr und Markt ausgelegt. Doch mit dem Aufstieg und der Sichtbarkeit des Bürgertums hielten einfache Bänke Einzug in den öffent-lichen Raum. Marktplätze, Stadttore, Kirchenvorhöfe wurden erstmals Treffpunkte oder Orte des Verweilens.

 

Schwarze hinten, Weisse vorne

Erst mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ermöglichten neue Materialien wie Eisen, Stahl und industriell verarbeitetes Holz die massenhafte Herstellung von Bänken. Doch noch durfte nicht jeder überall sitzen. Die Architektur der Bänke spiegelte anfangs noch die viktorianische Moral und trennte Geschlechter und Klassen. Bald entstanden in Städten wie Paris, London oder Berlin erste -öffentliche Parkanlagen, und Bänke wurden «demokratisiert»: Jeder konnte sitzen, wo es ihm beliebte – aber nicht in allen Ländern. Nicht nur in Südafrika, im heutigen Simbabwe und in den franzö-sischen, britischen und portugiesischen Kolonien blieb das Apartheidsystem erhalten.

 

In den USA wurden Sitzbänke in den 1960er Jahren politisch. In der Zeit der sogenannten Jim-Crow-Gesetze war Rassentrennung Alltag. Auf Wartebänken in Bahnhöfen, Parks oder vor öffentlichen Gebäuden gab es Beschilderungen wie «For Whites Only» oder «Colored Waiting Room». Nicht selten waren die Sitzbänke für Schwarze in deutlich schlechterem Zustand – oder gar nicht vorhanden.

 

Auch in öffentlichen Bussen galt eine klare Rassentrennung. Schwarze mussten hinten einsteigen, Weisse vorne. Die Sitzgrenze konnte nach hinten verschoben werden, wenn mehr Weisse zusteigen wollten. Schwarze mussten für Weisse den Sitz freigeben, auch wenn sie früher in den Bus gestiegen waren. Es war schliesslich die Afroamerikanerin Rosa Parks (1913–2005), die sich gegen dieses Unrecht erhob. Am 1. Dezember 1955 blieb sie demonstrativ im Bus sitzen und weigerte sich, für eine weisse Person aufzustehen. Es war ein historischer Moment der Bürgerrechtsbewegung.

 

Im Zuge der Sozialreformen entstanden nach dem Ersten Weltkrieg vermehrt Grünanlagen, Spielplätze – und damit auch Sitzgelegenheiten. Bänke wurden nüchtern und zweckmässig gestaltet.

 

Dem Zeitgeist folgend

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden mit dem Wiederaufbau neue Typen von Bänken: ergonomisch, vandalensicher und funktional. Der Nachkriegsboom im Westen führte zum Entstehen einer Freizeitgesellschaft, die mehr öffentlichen Raum einforderte. Später, im Zeitalter von Design und Popkultur, wandelten sich die Bänke erneut und folgten dem Zeitgeist. Die Postmoderne spielte mit Formen und Farben – einige Bänke wurden zu Kunst im öffentlichen Raum.

 

Dank Innovationen und neuen Bedürfnissen entstehen heute Sitzbänke der nächsten Generation. Doch die Musik spielt nicht im alternden Europa, das sich am liebsten mit seinen Wohlstandsproblemen beschäftigt, sondern in Asien. In südkoreanischen Metropolen wie Seoul sind Bänke («smart benches») mehr als Sitzgelegenheiten. Sie sind wetterbeständige Dockingstationen und bieten WLAN, USB-Ports, Solarzellen, Displays, News, Hitzeschutz und LED-Leuchten für die Nacht. Ausgestattet mit Fotovoltaikmodulen, nutzen diese Bänke Sonnenenergie, um verschiedene Funktionen zu betreiben, wodurch sie unabhängig vom Stromnetz funktionieren. In kalten Winternächten bieten sie beheizte Sitzgelegenheiten. Weil man auf diesen Bänken sitzen, aber nicht liegen kann, werden sie von Aktivisten als «Anti-Obdachlosen-Bänke» bezeichnet.

 

Aber Sitzbänke sind – wie der Name schon vermuten lässt – zum Sitzen da.

07-2025 Cueni: An alle Wunderheiler

 

Wenn ein Erwachsener an #Leukämie erkrankt, kriechen die Schamanen aus allen Erdlöchern und erklären, wieso man an #Blutkrebs erkrankt ist: Es lag entweder am Mobbing in der Firma, am stressigen Eheleben oder daran, dass man #religionslos ist.

Nun ist es so, dass leider auch 3-jährige einmal oder gleich zweimal an Blutkrebs erkranken und diese Kleinkinder waren weder berufstätig noch verheiratet und sie wurden wie alle Babys auf diesem Planeten als #Atheisten geboren (bis ihnen jemand #Religion verabreichte wie eine #Schluckimpfung).

Bietet mir also in Zukunft keine Zaubercocktails mehr an, keine #Pillen, keine heilenden Steine, kein Dinosauriersperma, kein gesegnetes Leitungswasser oder Discountfahrten nach #Lourdes. Ich komme damit klar. Auch ohne euch. Leider fallen einige auf eure Hilfsangebote rein und verlieren nach der Gesundheit auch noch ihr Erspartes. Shame On You!

06 – 2025 Cueni Papers: Warum die Zeit rast, wenn wir älter werden.

Warum vergeht die Zeit „gefühlt“ schneller, je älter wir werden?


 Why does time seem to pass faster as we get older?


Unser Gehirn misst Zeit nicht wie eine Uhr, sondern anhand von Erinnerungen und Eindrücken. Kindheit und Jugend sind voll von „erstes Malen“: erste Reisen, erste Liebe, erster Sex, erste Niederlage. Diese “erstes Mal“ erzeugen intensive Erinnerungsspuren. Später wird das Leben oft routiniert: Arbeit, Alltag, Gewohnheiten. Weniger neue Eindrücke = weniger erinnerungswürdige „erstes Mal“.

Ein Jahr ist für ein 5-jähriges Kind ein Fünftel seines bisherigen Lebens. Für einen 50-Jährigen ist es nur ein Fünfzigstel – also „gefühlt“ viel kürzer. Auch wenn objektiv dieselbe Zeit vergeht, erscheint sie im Verhältnis zur bisherigen Lebenszeit immer kleiner.

Deshalb wirken Urlaube oft „länger“ – nicht weil sie länger sind, sondern weil sie reicher an Eindrücken sind.

„Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu suchen, sondern neue Augen zu haben.“ (Marcel Proust)


Why does time seem to pass faster as we get older?


Our brain doesn’t measure time like a clock – it measures it through memories and impressions. Childhood and youth are filled with “first times”: first trips, first love, first sex, first failure. These “first times“ stimulate the brain and leave deep memory traces – in hindsight, they stretch time. Later in life, daily life often becomes more routine: work, errands, habits. Fewer new impressions = fewer remembered “first times”.

One year to a 5-year-old is one fifth of their life so far. To a 50-year-old, it’s just one fiftieth – so it feels much shorter. Even though the duration is the same, it seems to shrink relative to your total life experience.


“The real voyage of discovery consists not in seeking new landscapes, but in having new eyes.” (Marcel Proust)


 

05 – 2025 Weltwoche: Der Antisemitismus ist die neue Wokeness

Das Beispiel von Nemo und Co. zeigt: Der Antisemitismus ist die neue Wokeness.


Claude Cueni


In den 1960er-Jahren fragte ich meine Mutter, was sie eigentlich gegen Juden habe. Wir kannten ja keine. Sie sagte, die Juden hätten Jesus ans Kreuz geschlagen. Schon eine Weile her, dachte ich. Mein Vater riet mir, Juden zu meiden, denn sie seien geldgierig und geizig. Als Teenager verliess ich später nicht nur dieses Elternhaus, sondern auch all die Vorurteile, die man mir wie eine Schluckimpfung verabreicht hatte.

In den 1970er-Jahren war es chic, mit dem Schal des damaligen PLO-Terrorchefs Jassir Arafat in die Schule zu gehen, man zitierte aus der roten Mao-Bibel und huldigte Che Guevara, dem Stalin-Verehrer und «Marlboro Man» der Linken. Man schwärmte für die DDR, die selbst nach dem Olympia-Massaker (1972) auf der Seite der Palästinenser blieb und ihnen weiter schwere Waffen lieferte. Die klammheimliche Liebe zum Totalitären war genauso verbreitet wie die Judenfeindlichkeit. Das war der damalige Zeitgeist, die «Wokeness» der Siebziger.

Die Jungs wurden zwar älter und entsorgten ihre karierten Halstücher, aber nicht ihre Abneigung gegen Juden. Vor Jahren unterhielt ich mich mit einem linken Verleger über eine Autorin. Er mochte sie nicht und sagte, sie sei halt Jüdin. Irritiert hat mich, dass er automatisch annahm, dass ich als Schriftsteller seine Meinung teile.

Der 1967 von Rudi Dutschke geforderte «Marsch durch die Institutionen» war auch der Marsch des Antisemitismus in den rot-grünen Mainstream. Ihre Redakteure fühlten sich mehrheitlich mehr dem Aktivismus und der Propaganda verpflichtet als dem faktenbasierten Journalismus.

Judenfeindlichkeit ist seitdem integraler Bestandteil der rot-grünen Agenda. Während man bei Putin keine Sekunde zögerte, Boykotte zu verhängen, zögert man, die Zahlungen an Palästinenser einzufrieren. In den letzten 50 Jahren erhielten diese vom Westen zig Milliarden Steuergelder und sind dennoch nicht in der Lage, selber für Wasser und Elektrizität zu sorgen. Aber sehr wohl für Waffen. Das Elend wird kein Ende finden, denn damit generieren die Hamasführer Spenden. Spenden für wen?

Die Hamasführer leben überwiegend im Exil, insbesondere in Katar, der Hauptstadt von Doha. Dort residieren sie in pompösen Anwesen und führen ein Leben im Luxus.

Ismail Haniyeh, der ehemalige Chef des Politbüros der Hamas, lebte mit seiner Familie in einer Strandvilla in Doha. Der Vielflieger pendelte – bis zu seinem Tod – im Privatjet zwischen Teheran, Istanbul, Doha und Kairo. Seine Söhne verwalten das Familienvermögen im sicheren Istanbul. Das Magazin Capital schätzt das Vermögen auf 4 Milliarden US-Dollar. Bei Khaled Mashal, einem ehemaligen politischen Führer der Hamas, liegt die Schätzung bei 4 bis 5 Milliarden US-Dollar, Mousa Abu Marzouk, der Stellvertretende Vorsitzender des Hamas-Politbüros, soll drei Milliarden US-Dollar besitzen.

Die Diskrepanz zwischen dem Lebensstil der Hamas-Führung und der Armut der Bevölkerung im Gazastreifen wird zwar international kritisiert, aber es hat kaum Einfluss auf die Steuermilliarden, die westliche Staaten bedenkenlos überweisen. Israel-Hass und Antisemitismus sind wohl zu stark ausgeprägt, selbst einige Mitarbeiter von NGO’s waren den Terroristen beim Verstecken der entführten Geiseln behilflich.

Der grösste Feind der palästinensischen Bevölkerung ist nicht Israel, das sind die Hamas und die mit ihnen kooperierenden Organisationen und Länder. Besser ergeht es jenen Palästinensern, die in Israel (!) arbeiten können. Bis zum 7. Oktober 2023 arbeiteten etwa 150.000 Palästinenser aus dem Westjordanland und rund 18.500 aus dem Gazastreifen legal in Israel. Das waren 13 Prozent aller Palästinenser. Ihr Einkommen machte 2022 allein im Gazastreifen 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Das sind etwa 4 Milliarden US-Dollar.

Die Hamas hat somit mit ihrem Terrorakt vom 7. Oktober erneut das Leben der Palästinenser nicht nur nachhaltig geschädigt, sondern hat in Kauf genommen, dass sie bombardiert und getötet werden.

Dass in Europa zugewanderte Palästinenser auf offener Strasse ihren Hass ausleben und wie kürzlich in Berlin Polizeibeamte attackieren und krankenhausreif schlagen, zeigt einmal mehr, dass man bei uns nicht jede Kultur integrieren kann. Und schon gar nicht junge Fanatiker, an denen die zivilisatorische Entwicklung der letzten 2000 Jahre scheinbar spurlos vorbeigegangen ist.

Es ist wohl einem Mix aus Mediengeilheit, narzisstischem Overacting und Ignoranz geschuldet, wenn Nemo & Co. sich ungeniert als Israel-Hasser zu erkennen geben. Von den Mainstreammedien droht kein Bashing, vom Schweizer Fernsehen schon gar nicht. Sie mögen kuschelige Jungs mit dem Verstand eines Kleinkindes, die aussprechen, was sie selbst nicht zu sagen wagen.

Vielleicht sollte Nemo den nächsten Urlaub zur Horizonterweiterung im Gazastreifen verbringen. Die Hamas verfolgt dort LGBTQ-Menschen systematisch, etliche werden dabei ermordet. In Israel müsste Nemo hingegen nicht um sein Leben fürchten. Da gilt das, was Nemo so wahnsinnig wichtig ist: Inklusion.


Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. Soeben erschien in der Edition Königstuhl sein Fotoband «Small Worlds Volume II».


 

 

NZZ Zitate Interview John Mearsheimer / Ukraine

© NZZ – 06.05.2025- Benedict Neff


Da es sich um einen kostenpflichtigen Artikel handelt, kann ich leider nur die Kernsätze wiedergeben. Sehr lesenswert:


John Joseph Mearsheimer, 77, ist ein US-amerikanischer Politikwissenschaftler an der University of Chicago. Im Vorfeld der amerikanischen Wahlen von 2016 und 2020 erklärte Mearsheimer, den linken Kandidaten Bernie Sanders zu unterstützen.


Mearsheimer im Interview:

(…)

Es steht ausser Frage, dass Russland in die Ukraine eingefallen ist, aber die entscheidende Frage ist, warum Putin so handelte. Der Grund war, dass er eine Nato-Erweiterung in die Ukraine als existenzielle Bedrohung ansah. Dies ist ein klassischer Präventivkrieg. Er wollte verhindern, dass die Nato Militärstützpunkte auf ukrainischem Boden errichtet. Das war für die Russen inakzeptabel. Genauso wie es für die Vereinigten Staaten inakzeptabel war, dass die Sowjetunion Raketen auf Kuba stationierte. John F. Kennedy machte den Sowjets während des Kalten Krieges klar, dass die Vereinigten Staaten militärische Gewalt anwenden würden, wenn sie die Raketen nicht entfernen würden. Und Putin machte klar, dass er militärische Gewalt anwenden würde, wenn wir die Nato-Erweiterung in die Ukraine nicht stoppen würden. Die beiden Situationen sind bemerkenswert ähnlich.

(…)

Das Problem ist, dass die meisten Menschen im Westen die Nato-Erweiterung in die Ukraine nicht als existenzielle Bedrohung ansehen, aber das ist leicht gesagt, wenn man in der Schweiz sitzt. Wenn man jedoch Russland ist und eine Geschichte von Invasionen aus dem Westen hat, wird man nervös, man bekommt Angst. Und genau das ist passiert.

(…)Wir haben Putin provoziert, und er ist einmarschiert. (…) Im Februar 2022 war die Ukraine de facto Mitglied der Nato, und deshalb ist er zu diesem Zeitpunkt einmarschiert.

(…)

Im Februar 2014, als die Krise ausbrach, war die Ukraine noch nicht nennenswert in die Nato integriert. Aber bis zum Februar 2022 hatte sich die Lage erheblich verändert. Die Vereinigten Staaten und die Europäer haben nach dem Februar 2014 die Ukrainer bewaffnet und ausgebildet. Der Grund, warum sich die Ukrainer nach Ausbruch des Krieges so gut geschlagen haben, ist, dass sie gut bewaffnet und gut ausgebildet waren. Und genau das hat Putin provoziert. Er hat verstanden, was vor sich ging. Die Russen haben im Vorfeld des Krieges versucht zu verhandeln, aber wir haben Verhandlungen abgelehnt.

(…)

Die Europäer wollen sich nicht der Tatsache stellen, dass sie – zusammen mit den USA – für diese Katastrophe verantwortlich sind. Also haben sie diese Geschichte erfunden, dass er ein Imperialist sei und dass er darauf aus sei, die gesamte Ukraine zu erobern, um dann Gebiete in Osteuropa zu erobern und schliesslich Westeuropa zu bedrohen. So ist er in den Köpfen der grossen Mehrheit der Menschen in Europa und den Vereinigten Staaten der Bösewicht. Aber wenn man meiner Argumentation folgt, dann ist der Westen der Bösewicht. Und das wollen die Vereinigten Staaten und die Europäer natürlich nicht hören.

(…)

Hätte es im April 2008 oder danach keine Bestrebungen gegeben, die Ukraine in die Nato aufzunehmen, wäre die Ukraine heute innerhalb ihrer Grenzen von vor 2014 intakt. Die Krim wäre heute Teil der Ukraine.

(…)

Nehmen wir an, die Vereinigten Staaten und ihre Nato-Verbündeten geben der Ukraine Sicherheitsgarantien, dann geben sie der Ukraine im Grunde genommen eine Garantie nach Artikel 5.

(…)

Ich hoffe, dass ich mich irre, aber ich halte es für fast unmöglich, dass wir ein sinnvolles Friedensabkommen erreichen werden. Ich glaube, dass dieser Krieg auf dem Schlachtfeld entschieden wird und dass wir am Ende einen eingefrorenen Konflikt haben werden.

(…)

Tatsache ist, dass Trump kein Interesse an der Ukraine hat. Ja, dass er aus Europa raus will. Trump verachtet die Europäer. Er möchte, dass die Vereinigten Staaten sich Asien zuwenden. Trumps Wut auf die Europäer wird mit der Zeit noch wachsen. Und die Wut der Europäer auf Trump wird auch wachsen. Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa werden sich während seiner restlichen Amtszeit verschlechtern.

(…)

Sobald die Amerikaner nicht mehr die dominierende Kraft in der europäischen Sicherheitspolitik sind, werden die Europäer erhebliche Probleme haben, eine gemeinsame Handlungsfähigkeit zu entwickeln.


 

05 – 2025 Cueni “Nennen Sie mich Chito“

Nennen Sie mich „Chito“.

Papabile Kardinal Luis Antonio Tagle, 67

5354 / Claude Cueni / 25.4.2025

Könnte die katholische Jugend wählen, würde wahrscheinlich der philippinische Kardinal Luis Antonio Tagle, 67, die Papstwahl gewinnen. Auf Facebook hat er über 600’000 Follower. Die Zahl muss man relativieren, zumal die Philippinen eine Bevölkerung von rund 110 Millionen haben und ihre Bewohner viel Begeisterung für ihre Landsleute auf dem internationalen Parkett aufbringen. Die anderen 136 wahlberechtigten Kardinäle sind in den sozialen Medien weitgehend unsichtbar. Sie suchen nicht die Nähe der Gläubigen. Zur Papstwahl antreten wird aber nicht die Jugend, sondern Kardinäle, die das 80. Lebensjahr noch nicht erreicht haben.

Papst Franziskus hat während seiner Amtszeit (2013–2025) insgesamt 163 neue Kardinäle ernannt, einige sind mittlerweile verstorben oder haben das Alterslimit überschritten. 149 sind noch am Leben, aber lediglich 107 sind wahlberechtigt für das Konklave 2025. Damit hat Franziskus die Weichen für einen Nachfolger gestellt, der in seinem Sinn weiterregiert. Sein Wunschkandidat ist sein Protegé Luis Antonio Tagle, 67. Der ehemalige Erzbischof von Manila gehört seit Jahren zum innersten Kreis des Papstes und gilt als „Franziskus Asiens“, weil er die gleichen Standpunkte vertritt: Offenheit beim Thema Homosexualität, aber kompromisslos gegen staatliche Familienplanung und private Empfängnisverhütung.

Tagle ist ein erfahrener Mann. Als Leiter der Kongregation für die Evangelisierung der Völker scheint er der ideale Kandidat zu sein, denn in Europa ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich wurden bereits über 1000 Kirchen verkauft oder zur Umnutzung freigegeben. Die Religionslosen sind weiter im Vormarsch, in der Schweiz sind sie bereits die grösste Gruppierung. Tagle meint, christliche Migranten würden diese Schieflage wieder beheben, aber die Statistik widerlegt ihn: Kirchenaustritte steigen trotz enormer Migrationszahlen, da viele Migranten aus muslimisch geprägten Ländern wie der Türkei, Marokko, Algerien, Pakistan, Somalia oder Syrien stammen. Die grösste Gefahr der Katholischen Kirche ist nicht die nächste Generation von Religionslosen, sondern die fortschreitende Islamisierung des Westens.

Luis Tagle ist Optimist. Das gehört zur philippinischen DNA. Wo er auftritt, scheint die philippinische Sonne, er verbreitet Empathie, zeigt Emotionen und bricht auch mal öffentlich in Tränen aus. Er begegnet den Menschen stets mit einem gewinnenden Lächeln. Höflichkeit, Harmonie und Familie sind den Filipinos wichtig. Tagle ist das pure Gegenteil des vergeistigten Benedikt XVI., einem elitären Klaus Schwab der Katholischen Kirche, der Sätze sagte wie: „Der christliche Gläubige ist eine einfache Person. Aufgabe der Bischöfe ist es deshalb, den Glauben dieser kleinen Leute vor dem Einfluss der Intellektuellen zu bewahren.“ (31.12.1979 / zitiert nach John L. Allen, »Joseph Ratzinger«, Düsseldorf 2002). So etwas käme Tagle nie über die Lippen; er steht an der Seite der Armen – und nicht über ihnen. Er legt keinen Wert auf Titel: „Nennen Sie mich Chito.“

Ich stiess 2017 im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Rodrigo Duterte auf das legendäre BBC-Interview „Hard Talk“ mit Stephen Sackur. Auf die Frage, ob Tagle wisse, dass er in Rom bereits als Papabile (papstfähig) gehandelt werde, brach der damalige Erzbischof von Manila in schallendes Gelächter aus und scherzte: „Ich beichte hier öffentlich: Ich kann nicht mal mein eigenes Leben managen, wie sollte ich also eine weltweite Gemeinde managen?“ Seine Diözese gilt als eine der reichsten der Welt. Darauf angesprochen, gab er sich ratlos; das Milliardenvermögen habe sich im Laufe der Jahrhunderte einfach so ergeben. Einfach so?

Den Grundstein legten 1565 die spanischen Kolonialherren und nannten das Land zu Ehren von König Philipp „Philippinen“. Mit den „Männern aus Eisen“ begann die systematische Missionierung des Inselreiches. Da sich nur Missionare in die unbekannte Wildnis wagten und die Dialekte erlernten, wurden sie zu den idealen Steuereintreibern der spanischen Krone.

Die Kirche in den Philippinen gilt seitdem als einer der grössten Landeigner. Sie besitzt ein riesiges Medienimperium mit enormer Reichweite, Banken und bedeutende Beteiligungen an Firmen. Sie ist der einflussreichste nichtstaatliche Vermittler von Bildung und einer der grössten Akteure im Sozialwesen.

2019 holte Papst Franziskus Luis Tagle nach Rom und ernannte ihn zum Kardinalpräfekten der Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Bereits vier Jahre später ernannte Franziskus seinen „Bruder im Geiste“ zum Mitglied der Sektion für die grundlegenden Fragen der Evangelisierung in der Welt. So wurde Tagle der engste Vertraute des Papstes und sein ständiger Reisebegleiter.

Wird Luis Antonio Tagle der nächste Papst? Franziskus II? Kann er Finanzen? Verfügt er über ausreichend Managementqualitäten?

„Wer als Papabile ins Konklave geht, kommt als Kardinal wieder heraus“, lautet eine ironische Floskel. Doch in den letzten 100 Jahren kam es durchaus vor, dass ein Favorit gewählt wurde: Pius XII. (1939), Paul VI. (1963) und Benedikt XVI. (2005) – und andere. Vielleicht auch Luis Antonio Tagle.

Sein einziger Nachteil ist sein „jugendliches Alter“ von 67 Jahren. Denn falls Luis Antonio Tagle im Laufe seiner Herrschaft dem Deep State des Vatikans entwischt, muss ihn die Kurie ein Vierteljahrhundert ertragen.


Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. Ab 1. Mai 2025 stellt die Basler Galerie Sarasin Art seine neuen Dioramen aus. Gleichzeitig erscheint der Bildband „Small Worlds Volume II“ in der Edition Königstuhl.


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