WELTWOCHE Cueni 17.3.25
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Rumble in the Jungle
Gott wird weinen: Vizepräsidentin droht Präsident mit Auftragskiller, Ex-Präsident in Haager Haft – ein Familienkrieg auf den Philippinen wird zum internationalen Justizthriller
Bei der Verhaftung des ehemaligen philippinischen Präsidenten Rodrigo “Rody“ Duterte (“Dirty Harry“) geht es weniger um Gerechtigkeit für die zahlreichen Opfer seines brutalen Drogenkriegs, sondern um den epischen Machtkampf den sich die Familiendynastien der Marcoses und Dutertes seit über einem halben Jahrhundert liefern. Zahlreich sind ihre On-Of-Allianzen. Bereits in den 1960er Jahren diente Dutertes Vater als Kabinettsmitglied unter dem Diktator Ferdinand Marcos Sr., der über 30.000 Oppositionelle in Militärlagern internierte und einige davon zu Tode foltern liess. In den 1980ern unterstützte Dutertes Mutter den Aufstand gegen die blutige Diktatur. Der Clan musste ins Ausland fliehen, aber er kamen zurück.
2016 wurde der damals 70-jährige Rodrigo Duterte zum Präsidenten gewählt. Er war mit dem Versprechen angetreten, die ausufernde Kriminalität mit äusserster Härte zu bekämpfen. “Gott wird weinen, wenn ich gewählt werde“ hatte er prophezeiht. Weinen taten später die Angehörigen und Freunde von mindestens 8663 Menschen (UNO), die von Dutertes rekrutierten Todesschwadronen getötet wurden. Die Kriminalitätsraten sanken, aber die aussergerichtlichen Exekutionen sorgten weltweit für Entsetzen. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) leitete erste Ermittlungen ein, Duterte kündigte postwendend die Mitgliedschaft und glaubte, sich so vor Strafverfolgung ausreichend geschützt zu haben.
2022 löste Ferdinand Marcos Jr., Duterte ab, der bei seinem Ausscheiden historische Zustimmungswerte von über 70% verzeichnete. In den Philippinen ist nur eine einzige 6-jährige Amtszeit möglich. Ursprünglich wollte sich auch Dutertes Tochter Sara um das Amt bewerben. Sie war beliebter als Marcos. Damit sich die beiden nicht gegenseitig Stimmen wegnehmen und ein lachender Dritter Präsident wird, spannten sie zusammen und stiegen als Duo in den Wahlkampf. Als Gegenleistung sollte Vater Duterte juristisch nicht belangt werden. Die Allianz funktionierte. Sie tut es nicht mehr. Aus den einstigen Verbündeten wurden Rivalen, heute sind sie erbitterte Feinde.
Präsident Marcos Jr. brach alle grossen Versprechen, die er vor den Wahlen gemacht hatte und verweigerte Sara Duterte später das versprochene Amt der Verteidigungsministerin. Ein Vize kann gleichzeitig Minister sein. Beide beschuldigten sich der Korruption. Sara Duterte drohte darauf ihrem Präsidenten auf Facebook mit dem Tod, falls sie einem Attentat zum Opfer fiele. Sie habe bereits einen Auftragskiller kontaktiert.
Darauf stimmte am 5. Februar 2025 das Repräsentantenhaus mit deutlicher Mehrheit für ihre Amtsenthebung. Ausstehend ist der Entscheid des Senats. Für ein erfolgreiches Impeachment sind die Stimmen von 16 der 24 Senatoren notwendig, im Mai werden 12 von ihnen neu gewählt. Sie entscheiden ob Sara Duterte lebenslänglich von allen politischen Ämtern ausgeschlossen wird. Vater Rodrigo Duterte eilte seiner Tochter zu Hilfe und empfahl öffentlich Senatoren in die Luft zu sprengen, damit die freien Sitze von Parteigängern besetzt werden können. Er ahnte, wie Marcos Jr. reagieren würde und sagte: “Falls ich verhaftet werde, wird meine Tochter Sara 2028 Präsidentin der Philippinen.“
Nun wurde er, wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag, gesundheitlich angeschlagen und am Stock gehend, letzte Woche nach seiner Rückkehr aus Hongkong auf dem internationalen Flughafen von Manila von philippinischen Polizeibeamten verhaftet. Grundlage war ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) wegen mutmasslicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Philippinen sind zwar seit 2018 nicht mehr Mitglied, aber der IStGH betont seine Zuständigkeit auch für Verbrechen, die während der Mitgliedschaft eines Landes begangen worden sind. Marcos Jr., der die blutige Diktatur seines Vaters stets gutgeheissen hat, beteuerte, er hätte nicht mit dem IStGH koopieriert, sondern mit Interpol.
Die öffentliche Meinung ist gespalten. Massen von Duterte Anhängern versammelten sich in zahlreichen Städten zum öffentlichen Gebet für den Atheisten und bekennenden Sozialisten, während Angehörige der Opfer in Den Haag für Gerechtigkeit demonstrierten. Und selbst im Marcos-Clan wird gestritten: Imee Marcos, 69, die Schwester des Präsidenten, blies aus Protest ihre Wahlkampfveranstaltungen ab, sie will keine fremden Richter. Marcos hat vorsorglich die Unterhaltszahlungen für Armeeangehörige rückwirkend auf den 1. Januar mehr als verdoppelt.
Mao Ning, die Sprecherin des chinesischen Aussenministeriums warnte an einer Pressekonferenz den IStGH vor einer Politisierung und vor Doppelstandards.
Sara Duterte hält die Verhaftung für “politisch motiviert“, die Überführung nach Den Haag bezeichnet sie als “Entführung“. Ihr Vater sagt, er übernehme die volle Verantwortung für seine Taten, er habe es aus Liebe zu seinem Land getan. Die letzten Worte auf philippinischem Boden waren: “So be it“ (so sei es).
Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er ist seit 15 Jahren mit einer Filipina verheiratet. In seinem historischen Roman “Pacific Avenue“ schildert er die Entdeckung der Philippinen.