#chronos (1904)

cueni_chronos_19041904 wurde erstmals auf dem New Yorker Times Square Silvester gefeiert. «Wie lieb und luftig perlt die Blase / Der Witwe Klicko in dem Glase!», schrieb Wilhelm Busch, bereits 32 Jahre bevor der Champagner der Veuve Clicquot an allen Herrschaftshöfen Europas zum Inbegriff von Luxus und Savoir-vivre geworden war.

US-Präsident Theodore Roosevelt wollte nicht mehr tatenlos zusehen, wie sich europäische Kolonialmächte die Welt untereinander auf­teilten, und kündigte mit der Roosevelt-Corollary das Ende des Isolationismus und den Beginn einer militaristischen Aussenpolitik an.

In Südwestafrika gab Generalleutnant Lothar von Trotha den deutschen Soldaten den Befehl zur «gnadenlosen Ausrottung» des Hirtenvolkes der Herero. Von 80 000 überlebten nur 12 000 und starben später in Konzentrationslagern.

In Deutschland gelangte ein ärztlich empfohlener «Geradehalterträger für eine militärstramme ­Haltung» in den Verkauf. Für «körperlich und geistig Erschöpfte» entwickelte Georg Wander einen löslichen Malzextrakt, Kakao, Molkepulver und Honig: Ovomaltine.

In St. Louis wurde während der Olympischen Sommerspiele erstmals (und dann nie wieder) das Sackhüpfen zur olympischen Disziplin. Ein deutscher Einwanderer verkaufte den Zuschauern Hackfleischbrötchen. Er nannte sie «Hamburg», die Kundschaft später «Hamburger».

Mit reichlich Champagner und Hamburger feierte auch Jack London sein erfolgreichstes Buch, «Der Seewolf». Jahre zuvor war er dem Goldrausch erlegen und hatte sein Glück am Klondike River versucht. Die Goldfunde waren anfangs so gigantisch, dass Amerika bereits vier Jahre zuvor ausreichend Gold hatte, um mit dem Gold Standard Act den Dollar an das Edelmetall zu binden. Jack London fand hingegen keinen einzigen Nugget und widmete sich wieder dem Schreiben. Er überlebte als Reporter eine Kriegsgefangenschaft während des Russisch-Japanischen Krieges und sogar das Jahrhunderterdbeben von San Francisco. Nicht überlebt hat er seine chronische Alkoholsucht, die er in seinem Roman «König Alkohol» thema­tisierte. Er starb bereits mit 40 Jahren, vermutlich an einer Harnvergiftung, ausgelöst durch eine alkoholbedingte Niereninsuffizienz.

Der jodelnde Country-Musiker Cliff Carlisle erblickte das Licht der Welt und der Drogist Max Riese mischte aus Wollfett und Zinkoxid Babycrème: Penaten.

In Paris wurde die Fifa gegründet und in der Frauenmode hielten allmählich männliche Accessoires wie Krawatte und Spazierstock Einzug, wobei das männliche Geschlecht (noch) nicht begriff, für wen dieser Stock ­eigentlich gedacht war …

© Basler Zeitung; 02.01.2015

Golden Glory 2014 geht an die Script Avenue

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Ich danke allen Leserinnen und Lesern, die an der Abstimmung des Schweizer Fernsehens teilgenommen und sich für die Script Avenue entschieden haben. Der Publikumspreis bedeutet mir sehr viel.

Bei den üblichen Buchpreisen entscheidet meistens eine elitäre Jury aus Kulturbeamten, die sich über die Auswahl des prämierten Buches auch selber ein Kränzchen widmen wollen. Die Kriterien sind deshalb oft sehr subjektiv und nicht für alle Leserinnen und Leser nachvollziehbar.

Bei einem Publikumspreis entscheiden Tausende von anonymen Leserinnen und Lesern, ob ein Buch sie berührt, bewegt, fasziniert oder gelangweilt hat. Deshalb ist dieser Publikumspreis für mich bedeutend, denn meine Freunde sind die Leserinnen und Leser und nicht die Kulturbürokraten in einer Literaturjury.

Zu danken habe ich auch meiner Verlegerin Gaby Baumann. Sie hat einen kleinen Verlag, aber ein riesengrosses Herz. Sie ist eine bessesene Verlegerin, wie ich es in den letzten 30 Jahren noch nie erlebt habe. Sie hat aus der Script Avenue eine erfolgreiche Script Avenue gemacht.

Ein grosses Herz hat auch meine liebe Dina, die mich die letzten fünf Jahre unerschrocken durch sehr schwierige Phasen meiner Krankheit begleitet hat. Mit ihrem Humor, ihrer unzerstörbar guten Laune und dem philippinischen Swerte («Kommt schon gut») hat sie viel Sonne in meinen schwierigen Alltag gebracht.

Zu danken habe ich auch meinem Sohn Clovis, meinem besten Freund, der mir heute tausendfach zurückgibt, was ich ihm einst als Vater gegeben habe. Zusammen mit seiner lieben Frau Jessie bringt er viel Humor und anregende Diskussionsstoffe in mein Leben.

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#chronos (1974)

cueni_chronos4_1974Satirische Jahresrückblicke (1850 . 2015) in 100 Sekunden

«Sugar Baby Love» sangen die Rubettes und ­schufen mit diesem Bubblegum-Popsong den erfolgreichsten Oldie aller Zeiten. Terry Jacks «Season In The Sun» markierte die Endphase der Hippie-Ära: We had joy, we had fun, we had seasons in the sun. Schockfarben waren im Trend, US-Army-Jacken, Latzhosen, PLO-Schals, Mao-Bibeln, Che-Guevara-Posters; vom afrikanischen Kaftan bis zum zotteligen Schafspelz wurde alles ­getragen, was Individualität markieren könnte. Sogar Paul Breitner versenkte mit Afrolook den Elfmeter im WM-Finale gegen Holland.

Zentrales Thema war jedoch die durch das Ölembargo im Vorjahr ausgelöste Ölkrise, die nochmals akzentuiert wurde, als Ägypten und Syrien die Golanhöhen besetzten. Für einige Sonntage galt ein Autofahrverbot, das ­wirtschaftlich keinen Nutzen hatte, aber schöne Fotomotive hergab. Hintergrund der Ölkrise war nicht nur der Nahostkonflikt, sondern auch die mit der Aufhebung des ­Goldstandards herbeigeführte Schwächung des Dollars, der den Erdölexporteuren sinkende Einnahmen bescherte.

In den Kinos lehrte uns «Der Exorzist» das Fürchten. Da er nicht alle Dämonen vertreiben konnte, folgten weitere Fortsetzungen. Fortgesetzt wurde auch der Kultfilm «The Godfather», mit Robert De Niro als junger Don Vito Corleone. («There are people who’d pay a lot of money for that infor­mation.») Studio­kinos spielten Fassbinders Film «Angst essen Seele auf», die berührende Geschichte einer verwitweten Putzfrau, die sich in den jungen Ali verliebt und an den Reaktionen ihrer Umgebung zerbricht. Zerbrochen ist in diesem Jahr auch das Vertrauen der Amerikaner in Richard Nixon, der infolge der Watergate-Affäre prophylaktisch zurücktrat, nachdem das Repräsentantenhaus ein Amts­erhebungs­verfahren beschlossen hatte. Auch Willy Brandt musste überraschend zurücktreten, sein persön­licher Referent Günther Guillaume war ein DDR-Spion. Guillaumes Sohn publizierte später seine Memoiren unter dem Titel: «Der fremde Vater».

Auch im Sport spekulierte man über einen baldigen Rücktritt: Der chancenlose Muhammad Ali wollte in Kongo gegen den amtierenden Schwergewichtsweltmeister George Foreman antreten. Doch die Schlägerei im Dschungel («Rumble In The Jungle») endete in der achten Runde mit zwei Links-rechts-Kombinationen, und der bisher in 40 Kämpfen ungeschlagene Boxweltmeister ­Foreman lag auf den Brettern. Ali flüstete ihm zu: «Is that all you can, George?»

© Basler Zeitung; 12.12.2014

Grosses Blick Interview über die Schweiz

cueni_blick_aushangHotel Mama ist jetzt Papa Staat

Interview: Chefredaktor René Lüchinger

BLICK: Herr Cueni, Sie leben im Zwischenraum von Leben und Tod. Wie geht es Ihnen?

Claude Cueni: Gut, aber auf tiefem Niveau. Meine Blut- und Lungenwerte sind seit zwei Monaten stabil. Aber für weitere Organabstossungen gibt es nicht mehr viel Spielraum.

Bereiten Sie sich auf das Ende vor?


Ich liebe das Leben. Es gibt viele Dinge, die ich noch lernen möchte. Es gibt Romane und Essays, die ich noch schreiben will.

Exit ist kein Thema für Sie?


Ich habe mit Sterbehilfeorganisationen Gespräche geführt. Die Gewissheit, dass man im Notfall alles sofort beenden kann, ist eine grosse Erleichterung und hilft, den Alltag mit Gelassenheit zu bewältigen. Aber das ist zurzeit kein Thema.

Verfolgen Sie noch die gesellschaftspolitische Entwicklung in unserem Land? Ecopop, Gold-Initiative und so fort? Oder wird einem dies in Ihrem Zustand egal?


Ich lese meistens ab Mitternacht auf dem iPad diverse Zeitungen, von nationalen Medien über Nachrichtenmagazine bis zur «South China Morning Post».

Reden wir über die Schweiz. Auch unser Land befindet sich in einem Zwischenraum: zwischen Masseneinwanderung und Nationalratswahlen 2015. Wo stehen wir?


Die Zahl der Wutbürger hat zugenommen. Viele Menschen sind verärgert, dass Abstimmungsresultate uminterpretiert und nicht umgesetzt werden. Demokratische Volksentscheide müssen nicht interpretiert werden, sie müssen umgesetzt werden.

Sie reden vom Vertrauensverlust gegenüber der Politik?

Bundesrätin Doris Leuthard forderte kürzlich Vertrauen in die Politik. Aber Vertrauen muss man sich verdienen. Viele Politiker erwecken den Eindruck, sie hätten nur ein Ziel: die eigene Wiederwahl. Dafür versprechen sie den Wählern Leistungen, die man nur mit neuen Schulden finanzieren kann – seit 1971 der Ursprung aller Verschuldungskrisen.

Wie bitte?


Damals löste Nixon die Goldanbindung des Dollars, um den Vietnamkrieg mit neuem Papiergeld zu finanzieren. Später warfen linke und rechte Regierungen abwechselnd die Notenpresse an. Der Wähler bezahlt diese Geschenke teuer, weil die hemmungslose Verschuldung und Gelddruckerei seine Kaufkraft mindert, sein Altersguthaben schmelzen lässt. Jetzt spielt Brüssel, das Versailles von heute, mit der Papierpresse.

Das heisst, die politischen Eliten haben die Führungsfähigkeit der Gesellschaft verloren?


Die Verantwortung gegenüber dem Volk und dem Volksvermögen hat abgenommen. Viele Politiker denken wie François Hollande. Er sagte: «Das kostet nichts, das bezahlt der Staat.» 

Früher gab es in der Schweiz moralische Autoritäten. Einen Max Frisch etwa oder einen Friedrich Dürrenmatt. In der Politik einen Willy Ritschard, einen Ulrich Bremi. Wo sind diese Köpfe heute?


Ich weiss es nicht. Ich bin aber sicher, dass es sie wieder geben wird.

Die Lebenskraft der Schweiz erlahmt?


Wir befinden uns seit Jahren in einem schleichenden Wirtschafts- und Währungskrieg. Die USA greifen die Schweizer Steueroase an und verteidigen gleichzeitig die Steueroase in Delaware, wo über eine Million Firmen Steuern sparen. Aber der Druck kommt nicht nur aus dem Ausland. Es ist nicht ganz frei von Ironie, dass ausgerechnet die Leute, die bisher am wenigsten zum Wohlstand der Schweiz beigetragen haben, bestrebt sind, die Vorteile der Schweiz ausser Kraft zu setzen.

An wen denken Sie konkret?


An die möglicherweise gut gemeinten, aber für die Schweiz destruktiven Initiativen, die wir derzeit erleben.

Eine Art Wohlstandsverwahrlosung?
Es ist das Drama des verwöhnten Kindes. Wir werden von der Geburt bis zum Tod betreut, bevormundet, infantilisiert und in der Illusion bestärkt, wir hätten ein Anrecht auf das absolute Glück in einem Fünf­sterne-Hotel. Müsste ich den Begriff Wohlstandsverwahrlosung mit einem Bild dokumentieren, würde ich das Foto nehmen, das die vergnügten Initianten des bedingungslosen Grundeinkommens auf einem Berg von Fünfräpplern zeigt. Wenn junge, gesunde Menschen Geld ohne Leistung fordern, ist das aus meiner Sicht eine Bankrotterklärung. Wenn Geldverdienen fast zum Offizialdelikt wird, hat der Sinkflug begonnen.

Sie haben international erfolgreiche Historienromane geschrieben. Stellen Sie sich vor,  Sie schreiben im Jahr 2100 das Buch «Akte Schweiz – Ein Nachruf». Was stünde da drin?


Die Renten sind halbiert und reichen trotzdem nicht mehr für alle. Der niederländische König Willem-Alexander sagte vor einem Jahr, anlässlich seiner ersten Thronrede, dass der Sozialstaat am Ende sei; alle müssten nun die Schulden der Vergangenheit abtragen. Die Niederländer müssten künftig selbst die Verantwortung für ihre Gesundheits- und Altersversorgung übernehmen.

Erinnern Sie sich an den deutschen Sozialminister Norbert Blüm? Der lachte 1986 auf Litfasssäulen: «Die Rente ist sicher.» Kürzlich sagte er, die Rente ist doch nicht sicher. Politiker sagen stets, was ihnen das Amt vorschreibt, aber nie, was sie wissen oder glauben.

Die EU beschäftigt die grösste Ansammlung von Politikern auf dem alten Kontinent. Worauf müssten wir uns hier einstellen?


Auf mehr Bürokratie, Verschwendung von Steuergeldern, mehr soziale Spannungen und weniger Demokratie. Sollte die EU im Jahre 2100 in der jetzigen Form noch bestehen, wird die Schweiz wohl Mitglied und wie jeder anfängliche Nettozahler auf EU-Niveau pulverisiert sein.

Und sonst?


Ich würde schreiben, dass die offizielle Schweiz in den letzten Jahrzehnten nicht mehr den Willen hatte, ihre Errungenschaften zu verteidigen, und diese deshalb verloren hat.

Bereits 1853 schrieb Friedrich Engels in der «New York Daily Tribune», dass jede anmassende und hartnäckige Regierung von der Schweiz erreichen kann, was sie will und dass noch kein Land in Europa so schlecht behandelt worden sei wie die Schweiz. Er schrieb, dass die Schweiz jede Infamie schlucke und wegen ihrer Unterwürfigkeit in Europa auf den tiefsten Stand der Verachtung gesunken sei.

Sie sind 1956 im französischen Jura geboren. Erzählen Sie uns die Geschichte der Schweiz in der Gegenperspektive: Die reiche Schweiz und die letzten 50 Jahre auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Was fällt Ihnen dazu ein?


Geboren bin ich in Basel, aber ich habe die ersten Babyjahre im Jura verbracht. Die 68er-Bewegung hat die Gesellschaft nachhaltig umgekrempelt, aber die Freiheit, die man als Jugendlicher in den 70er-Jahren hatte, ist vorbei. Aids hat die sexuelle Revolution beendet, und ausgerechnet die einst so freiheitsliebenden 68er wollen heute die Gesellschaft mit einer Flut von Verboten und einer neuen Political Correctness umerziehen. Gesellschaftliche Regeln werden nach Gutdünken ausgelegt. Würde man diese neue ideologisch geprägte Wilkür im Sport anwenden, man könnte kein Fussballspiel mehr leiten.

Der politisch prägendste Kopf im Land, Christoph Blocher, pflegt die Schweizer Mythen wie kein Zweiter und bespielt die Illusion der totalen Unabhängigkeit. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie über Schweizer Mythen von Tell, Morgarten oder Rütli nachdenken?
Wilhelm Tell ist ja aus nordischen Sagen entlehnt. Ich habe die Figur nie gemocht, denn als Vater würde ich nie im Leben meinem Sohn einen Apfel vom Kopf schiessen. Winkelried gefällt mir schon besser, weil sich jemand aufopfert für das Wohl der anderen. Vielleicht werden eines Tages Historiker schreiben, dass die Schweiz auf dem Gebiet der Einwanderung in Europa eine Winkelried-Funktion ausgeübt hat. Sie musste viele Diffamierungen einstecken, und heute diskutieren alle westeuropäischen Länder Varianten einer regulierten Zuwanderung. Irgendwann endet jede Ideologie und Romantik an den Grenzen der Realität.

Reden wir über den Islam. Eine Bedrohung für die westliche Welt? Ist die freiheitliche Welt zu faul, ihre Errungenschaften zu verteidigen?


Peter Scholl-Latour sagte, er fürchte nicht die Stärke des Islams, sondern die Schwäche des Westens. So ist es. Wir verkaufen unsere Schwäche als Toleranz, weil wir mehr zu verlieren haben als die IS-Terroristen.

Erleben wir die schöpferische Zerstörung der Schweiz?


Die Schweiz schafft sich ab, das könnte auch der Titel eines schweizerischen Bestsellers sein. Ich bin ja überzeugter Europäer, und 70 Prozent meiner Bekannten sind Ausländer, aber ich halte die EU für ein ehrenwertes politisches Konzept der Nachkriegsgeneration, das aber an der gemeinsamen Währung scheitern muss. Es ist unmöglich, eine Diät zu finden, die sowohl Magersüchtigen als auch Übergewichtigen hilft. Die Südländer gehen daran zugrunde, da sie keine nationale Währung mehr haben, die sie abwerten können, um konkurrenzfähig zu bleiben. Ich wäre nicht erstaunt, wenn in den nächsten fünf Jahren das erste EU-Land aus dem Euro aussteigt.

Die Staatshörigkeit nimmt auch bei uns zu. Vollkasko-Mentalität?


Mag sein, dass dies eine der negativen Spätfolgen der 68er-Bewegung ist. Hotel Mama ist jetzt Papa Staat. Man ist für nichts mehr verantwortlich. Alleiniges Kriterium ist das narzisstische Wohlbefinden. Die Anspruchshaltung gegenüber Papa Staat ist mittlerweile enorm.

Also kein Happy End?


Es gibt nie ein Ende. Alles ist in Bewegung, Aufstieg und Fall von Kulturen und Nationen sind in der Geschichte alltägliche Prozesse. Ich sehe aber auch, dass ein Teil der Jugend sich gegen die momentane Entwicklung sträubt. Auch die Secondos sind eine Chance für die Schweiz. Als meine philippinische Ehefrau vor fünf Jahren erstmals in die Schweiz kam, war sie sprachlos. Sie konnte kaum fassen, dass es ein Land gibt, das derart gut organisiert ist, ein Land, das Eigentumsrechte und Meinungsfreiheit schützt, das Rechtssicherheit, Altersfürsorge und ein funktionierendes Gesundheitssystem garantiert. Als ich einmal am Küchentisch die Stimmzettel ausfüllte, konnte sie kaum glauben, dass jeder einzelne Bürger mehrmals im Jahr über Vorlagen mitentscheiden darf. 500 Millionen Europäer und die übrige Welt beneiden uns um die direkte Demokratie, aber Brüssel fürchtet sich davor. Könnten die EU Bürger über Vorlagen abstimmen, wäre die EU am Ende.

Secondos als Medizin für depressive Schweizer Ureinwohner?


Durch die Augen der Secondos kann mancher Schweizer erkennen, wie gut unser Land, im Vergleich zu anderen Ländern, aufgestellt ist. Vergleicht man die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Parameter, gehört die Schweiz weltweit zur Spitze. Von daher ist es für mich nicht ganz nachvollziehbar, wieso sich einige Gruppierungen an den Rockzipfel der hoch verschuldeten EU hängen wollen. Wenn erst mal das Bargeld in Europa limitiert oder ganz abgeschafft ist, wird es für Brüssel ein Leichtes sein, 500 Millionen Europäer übers Wochenende per Mausklick teilweise zu enteignen. Zypern und Spanien waren Versuchsballone. Es hat funktioniert. Die Verschuldungskrise ist nur noch durch eine Teilenteignung des Volkes lösbar. Und ich möchte nicht, dass mein mühsam Erspartes in die Taschen von Politikern fliesst, deren Länder sich durch Korruption und Disziplinlosigkeit im Haushalt auszeichnen.

 Wo wäre der Ausweg?
Jede Bewegung löst eine Gegenbewegung aus. Ich sehe das Ganze nicht so pessimistisch. Ich hoffe, dass es eine neue Art der Aufklärung geben wird. Denn alle linken und rechten Ideologien sind in und an der Realität gescheitert. Solange wir uns aber gegenseitig mit Schlagworten und reflexartigen Diffamierungen einen Maulkorb umhängen, wird es keinen Fortschritt geben. Für eine neue Aufklärung braucht es offene, auf Fakten basierende Diskussionen ohne Tabus.

Seit 1989, dem Mauerfall, dem Zusammenbruch der Sowjetunion, haben wir Globalisierung. Überfordert sie uns?


Der Kalte Krieg war im Nach­hinein ein grösserer Garant für den Frieden in Europa als das heutige Vakuum. José Manuel Barroso, Ex-Präsident der EU-Kommission, nannte einmal die EU ein Imperium, aber jedes Imperium versucht, seine Aussengrenzen zu schützen, indem es die Grenzen ausweitet. An der Grösse sind nicht nur das römische Imperium und das napoleonische Imperium gescheitert. Jedes Imperium erreicht eines Tages seinen Zenit und beginnt den Sinkflug. Ich glaube nicht, dass die Globalisierung die Schweiz überfordert, aber man müsste die Globalisierung bei der Schulbildung stärker berücksichtigen. Zum Beispiel müsste Englisch landesweit die Zweitsprache sein. Englisch ist eine Voraussetzung, um global erfolgreich zu sein. Das gilt sogar für Schriftsteller.

Wann hat die Schweiz ihre Mitte verloren?


Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiteten die Menschen noch bis zu 16 Stunden täglich in unbelüfteten Fabriken, auch Kinder mussten arbeiten, viele Menschen wurden krank, es herrschte ein rücksichtsloser Kapitalismus. In dieser Zeit wäre ich bestimmt Kommunist geworden. Nach dem Krieg haben Sozialisten und Sozialdemokratie wichtige gesellschaftliche Verbesserungen im sozialen Bereich erzielt. Aber was will man einem mittlerweile verwöhnten Kind heute noch bieten?

 Gute Frage.


Den ausgebeuteten Fabrikarbeiter des 19. Jahrhunderts gibt es nicht mehr. Also versucht man die Klientschaft mit immer unsinnigeren Dienstleistungen zu ködern. Mit der durchaus edlen Absicht, die absolute Gerechtigkeit zu etablieren, hat man einen gigantischen bürokratischen Apparat errichtet, der die Gesellschaft in immer kleinere Gruppen dividiert, die man nun einzeln pflegen muss. Wir haben die Verhältnismässigkeit verloren.

Nehmen wir an, Sie könnten für einen Roman nur aktuell lebende einheimische Figuren verwenden – wen könnten Sie brauchen?


Christoph Blocher und Cédric Wermuth wären gesetzt. Vielleicht eine dramatische Vater-Sohn-Beziehung. Cédric gebe ich Natalie Rickli zur Freundin, eine Amour fou, aber getrübt von ideologischen Differenzen. Vielleicht Peach Weber als Guest-Star. Dann brauche ich eine starke weibliche Rolle mit Migrationshintergrund, sonst gibts später keine Filmförderung.

Wäre ein neuer Roman möglich? Wie viel Zeit bleibt Ihnen?


Mein Zustand ist wie gesagt stabil, aber das kann sich von Woche zu Woche ändern. Mit dieser Unsicherheit muss ich leben. Im Frühjahr erscheint mein historischer Roman «Giganten». Ich hatte ihn bereits vor zwei Jahren beendet, aber zugunsten von «Script Avenue» zurückbehalten. «Script Avenue» ist mit Abstand mein bestes und wichtigstes Buch. Zurzeit arbeite ich an einem neuen Roman.

 Aus einer solchen Heimat Abschied nehmen zu müssen – ist das schmerzhaft?


Die Dankbarkeit überwiegt. Ich bin dankbar, dass ich zufällig in der Schweiz geboren bin. Ich bin dankbar, dass die Hämatologie des Unispitals Basel seit fünf Jahren alles unternimmt, damit ich meinen Humor nicht ganz verliere. Ich denke auch an den anonymen Knochenmarkspender, der ohne Aussicht auf Dank oder Entgelt einem wildfremden Menschen mit seinen Blutstammzellen das Leben verlängert hat. Wenn ich nachts Schmerzen habe, schaue ich mir oft die DVD «Swissview» an, den lautlosen Flug über die schweizerische Berg- und Gletscherwelt, und staune und bin sehr berührt von der Schönheit der Natur. In solchen Nächten ist es nicht einfach. Dann setze ich mich an den Computer und tauche in meine Geschichten ab. Dort gibts meistens viel zu lachen, denn dort bin ich der Chef.

Das Interview führte René Lüchinger. Es erschien am 6. Dezember 2014 im Blick.

© 2014 Blick

#chronos (1964)

Satirische Jahresrückblicke in 100 Sekunden

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1964 sang Cliff Richard «Rote Lippen muss man küssen», während Dr. Best die erste antibakterielle Zahnbürste auf den Markt brachte. Louis de Funès jagte als Gendarm von Saint-Tropez Nudisten, während Alfred Hitchcock Sean Connery anwies, sich um die Kleptomanin Marnie zu kümmern.

Die Jugendzeitschrift Bravo publizierte die Starschnitte von Winnetou und Old Shatterhand, jede Woche zwei Puzzleteile für ein lebensgrosses Wandposter. Ein Dollar kostete 4.31 Franken (heute etwa 95 Rappen), der Goldpreis lag bei 35 Dollar die Unze (heute etwa 1189 Franken). Während US-Präsident Lyndon B. Johnson mit seiner Unterschrift die Rassentrennung beendete, wurde Neslon Mandela in Südafrika zu lebenslanger Haft verurteilt. Fernsehanstalten forderten eine Erhöhung der Fernsehgebühren, um die Vielfalt der Einfalt voranzutreiben, aber Geldknappheit war nicht der Grund, wieso sie keine Bilder von der Mondsonde Ranger VI senden konnten. Die Bordkamera war beim Versuch, ein Selfie zu schiessen, kollabiert.

Unter Geldknappheit litten auch 15 Gentlemen aus London, die im Postzug zwischen Glasgow und London zur Kasse baten. Zwei Jahre später wurde der 50-Millionen-Raub mit Horst Tappert verfilmt, bevor er Jahre später seinen Kumpel Harry bat, schon mal den Wagen zu holen. Während Jean-Paul Sartre den Nobelpreis ablehnte, dominierten die Beatles weltweit die Top Ten gleich mit fünf Number-One-Hits. «Twist and Shout», Roy Orbison sang «Oh, Pretty Woman», ­während The Animals das Leid im «House Of The Rising Sun» beklagten.

Jugendliche provozierten die Erwachsenenwelt mit saloppen, blauen Arbeiter­hosen, die ursprünglich von Levi Strauss (1829–1902) für die Goldgräber in Kalifornien entwickelt und nun von US-Soldaten nach Europa gebracht worden waren. Jakob Davis verstärkte den Hosenlatz mit den Nieten von Pferdegeschirr und führte die neuen Waist Overalls zum weltweiten Erfolg. Weniger Erfolg hatte in Italien der Unternehmer Ferruccio Lamborghini, der seit Kriegsende versuchte, die bisherige Produktion von Militärfahrzeugen auf die Herstellung von Traktoren umzustellen. Eines Tages hatte der Sportwagenfreak die Schnauze voll von seinem pannenanfälligen Ferrari und rannte dem Autohersteller Enzo Ferrari die Bude ein. Seine Ferraris seien Merda! Ferrari war not amused und rächte sich mit der Bemerkung, ein Traktorbauer habe doch keinen blassen Schimmer von Sportwagen. Es gibt nichts Motivierenderes im Leben als eine richtig fiese Kränkung.

© Basler Zeitung; 28.11.2014

Was soll falsch sein an Sterbehilfe?

Autor Claude Cueni kontert Palliativmediziner

«Was soll falsch sein an Sterbehilfe?»

BERN – In einem Interview mit Blick.ch übte der Palliativmediziner Steffen Eychmüller Kritik an der Sterbehilfe. Der Autor Claude Cueni schreibt darauf eine Replik.

Claude Cueni ist ein Schweizer Schriftsteller. Zuletzt erschien 2014 sein autobiographischer Roman «Script Avenue», in dem er unter anderem das Sterben seiner Frau und seine anschliessende Leukämie-Erkrankung thematisiert. Für Blick.ch schreibt er eine Replik auf das Interview mit dem Palliativmediziner Steffen Eychmüller.

Auf Blick.ch kommentierte Steffen Eychmüller, ärztlicher Leiter am Zentrum für Palliative Care des Berner Inselspitals, den Suizid von This Jenny mit der Frage: «Wovor hatte er Angst? Der Entscheid ist möglicherweise ein Zeichen von Misstrauen. Offensichtlich glaubte er nicht, dass die Medizin Wege bietet für ein würdevolles Sterben – auch nachdem keine Hoffnung mehr auf Heilung besteht.»

Diese Angst ist nicht unbegründet. Palliativmediziner behaupten stets, heute müsse kein Todkranker mehr mit Schmerzen sterben. Man könne z.B. Morphium verabreichen. Das hilft vielen, aber nicht allen. Hochdosiertes Morphium beeinträchtigt die Atmung. Sind die Schmerzen nicht mehr beherrschbar, wird der Patient ins künstliche Koma versetzt und stirbt, während er im Koma liegt. Das ist die bittere Wahrheit hinter dem beruhigenden Satz: «Heute muss niemand mehr unter Schmerzen sterben.»

Herr Eychmüller führt weiter aus: «Es ist Ausdruck des Zeitgeistes. Man lebt selbstbestimmt, man managt sein eigenes Leben und seinen eigenen Tod.» Was soll daran falsch sein? Herr Eychmüller hat seine Weltanschauung, andere Menschen haben eine andere Weltanschauung. Es steht auch einem Palliativmediziner nicht zu, anderen (wildfremden) Menschen die eigene Weltanschauung aufzuzwingen.

Herr Eychmüller sagt: «Unsicherheit, das Schicksal, der grössere Zusammenhang – das wird alles ausgeklammert.» Was soll daran falsch sein? Die einen glauben an einen «grösseren Zusammenhang», die anderen nicht. Herr Eychmüller romantisiert das Sterben inmitten der Angehörigen. Wenn jemand vor dem sicheren Tod steht, von Schmerzen geplagt ist, hat er nur einen Wunsch: Aus diesem Leben verschwinden. Auf «Gemeinsames Nachdenken» wird gerne verzichtet, auch auf all die «wertvollen Erfahrungen», die in Kürze eh irrelevant sind.

Herr Eychmüller sagt, Exit sei gut für «Leute, die extrem individualistisch bis egoistisch leben, alles selber regeln und nichts dem Zufall überlassen wollen.» Wieso soll Eigenverantwortung egoistisch sein? Welcher vernünftige Mensch überlässt ausgerechnet das Sterben dem Zufall?

Ist Suizid sexy?

Replik auf das Blickinterview mit Palliativmediziner Steffen Eychmüller.

UnknownUngekürzte Version.

In einem Blickinterview vom 18.11.2014 kommentiert Steffen Eychmüller, ärztlicher Leiter am Zentrum für Palliative Care des Berner Inselspitals, den Suizid von This Jenny mit der Frage: „Wovor hatte er Angst? Der Entscheid ist möglicherweise ein Zeichen von Misstrauen. Offensichtlich glaubte er nicht, dass die Medizin Wege bietet für ein würdevolles Sterben – auch nachdem keine Hoffnung mehr auf Heilung besteht.“

Diese Angst ist mehr als berechtigt! Palliativmediziner behaupten stets, heute müsse kein Todkranker mehr mit Schmerzen sterben. Man könne z.B. Morphium verabreichen. Das hilf vielen, aber nicht allen. Morphium beinträchtigt in höheren Dosen die Atmung. Sind die Schmerzen nicht mehr beherrschbar, wird der Patient ins künstliche Koma versetzt und stirbt nach einigen Tagen, während er im Koma liegt. Das ist die bittere Wahrheit hinter dem beruhigenden Satz: „Heute muss niemand mehr unter Schmerzen sterben.“ 

Eychmüller führt weiter aus, EXIT sei heute sexy: „Es ist Ausdruck des Zeitgeistes. Man lebt selbstbestimmt, man managt sein eigenes Leben und seinen eigenen Tod.“

Was soll daran falsch sein? Herr Eychmüller hat seine Weltanschauung, andere Menschen haben eine andere Weltanschauung. So what? Es steht auch einem Palliativmediziner nicht zu, anderen (wildfremden) Menschen die eigene Weltanschauung aufzuzwingen. Und den Politikern steht dieses Recht noch weniger zu.

Eychmüller sagt: „Unsicherheit, das Schicksal, der grössere Zusammenhang – das wird alles ausgeklammert.“ Was soll daran falsch sein? Schön für Herrn Eychmüller, wenn er eines Tages im Sterben einen grösseren Zusammenhang sieht. Andere Menschen sehen das nicht so. Die einen sind religiös, die anderen sind es nicht.

Eychmüller romantisiert das Sterben inmitten der Angehörigen. Wenn jemand vor dem sicheren Tod steht, von Schmerzen geplagt, hat er nur einen Wunsch: Aus diesem Leben verschwinden. Auf „Gemeinsames Nachdenken“ wird gerne verzichtet, auch auf all die „wertvollen Erfahrungen“, die in Kürze eh irrelevant sind.

Eychmüller sagt, Exit sei gut für „Leute, die extrem individualistisch bis egoistisch leben, alles selber regeln und nichts dem Zufall überlassen wollen.“ Wieso soll Eigentverantwortung egoistisch sein? Welcher vernünftige Mensch überlässt ausgerechnet das Sterben dem Zufall?

Dass Sterbehilfeorganisationen „sexy“ sein sollen, erstaunt aus dem Mund eines Palliativmediziners. Glaubt er im ernst, dass ein schmerzgeplagter Todkranker, der mit Exit sein Martyrium beenden will, seinen Entscheid „sexy“ findet?

Ich verstehe, dass jeder Suizid für einen Palliativmediziner eine Kränkung darstellt. Aber Palliativmediziner müssen begreifen, dass sich niemand für ihre Weltanschauung interessiert. Man stirbt den eigenen Tod.

Wer wenige Tage oder Wochen vor dem sicheren Tod steht und zur Minderheit gehört, die an unbeherrschbaren Schmerzen leidet, hat nur eine Wahl: Den fachmännisch ausgeführten Suizid. Was bringt das Sterben im Koma? Einen Eintrag ins Guiness Buch der Rekorde? Oder bloss Genugtuung für den Palliativmediziner.

Fazit:

Für viele Menschen ist es eine sehr grosse Erleichterung, wenn Sie wissen, dass sie im Notfall mit Exit oder LifeCircle aus dem Leben scheiden können. Diese Gewissheit macht den Alltag bis zum Sterben erträglicher.

Psychothriller «Du wirst an mich denken»

cueni_duwirst_coverxxAb heute neue eBook Ausgabe des 1989 unter dem Titel «Der Vierte Kranz» erschienen Psychothrillers. Diese Ausgabe wurde nochmals revidiert und erhielt zum vierten Mal ein neues Cover. Im Anhang gibt es diverses Bonusmaterial. Der Pschothriller erscheint unter dem ursprünglichen Manuskript Titel: «Du wirst an mich denken».

Die Printausgabe wurde aus dem Handel genommen, da die Qualität des Einbandes schlecht war.

Die Leser der Scriptavenue werden darin Motive und Figuren erkennen, die 25 Jahre später in der Script Avenue auftauchen. Der Psychothriller ist jedoch Fiktion und kein autobiographischer Roman.

Morgen poste ich meine Lieblingsszene. Mehr auf…