Interview «Ich lebe jetzt» Basler Zeitung 24.09.16

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Tagestehema: Gottlose Sonne. Der Basler Schriftsteller hat ein grossartiges Buch geschrieben über Glauben, Aberglauben und Atheismus. Seite 2

Der Schriftsteller Claude Cueni über Werden, Vergehen, Glaube, Aberglaube, Atheismus, Rotwein und die Liebe

Von Michael Bahnerth

Allschwil. Jede Geburt ist der Anfang eines Sterbens, bei Claude Cueni (60) ganz besonders. Im Grunde sollte er schon tot sein. Cueni hatte vor sieben Jahren Leukämie und ist seit der Knochenmarktransplantation in Behandlung. Die Spenderzellen, die ihn von der Leukämie heilten, stiessen 60 Prozent seiner Lunge ab. Er nennt es Bürgerkrieg in mir drin. Im Moment ist gerade Waffenstillstand, aber niemand weiss, wie lange. Das halbe Jahr im Krankenhaus verbrachte der Mann, der als unglückliches Kind ins Leben stolperte, dann Bohemien wurde, später Drehbuchautor, dann Schriftsteller, der später seine erste Frau an den Krebs verlor und sie in seinem Garten vergrub, damit er sie jeden Tag sehen konnte, und der seiner ersten Frau beinahe gefolgt wäre, mit Schreiben. «Script Avenue» heisst seine Lebensbeichte. So lange ich schreibe, sterbe ich nicht, sagt er. Und so schreibt er. Immer um sein Leben. Und zuletzt «Godless Sun».

BaZ:

Warum begannen Sie mit Schreiben? Einfach, weil Sie es konnten? Oder als Therapie?

Claude Cueni: Ich habe bereits als Knirps am Laufmeter Geschichten erfunden und als ich dann schreiben konnte, habe ich sie aufgeschrieben. Zuerst auf Französisch. Am Anfang überbordet die Fantasie und es braucht die Einsicht, dass es auch handwerkliches Können braucht, damit die Musik spielt. In der Pubertät beschleunigt sich dann der Schreibprozess, man wird risikofreudiger, unvernünftiger, frecher. Ich habe fast zehn Jahre lang für den Papierkorb gearbeitet, bis sich ein Verlag meiner erbarmte. Mein erster Roman wurde von den Feuilletons gelobt, aber es war pubertärer Schwachsinn. Heute habe ich immer noch den Ehrgeiz, mein Handwerk zu verbessern, ich lese deshalb die Feedbacks der Leserinnen und Leser sehr sorgfältig.

Ob das alles eine Therapie war? Die vielen Bücher, die ich in den ­letzten sieben Jahren geschrieben habe, waren sicher ein Akt der ­Verzweiflung.

In Ihrem neuen Buch «Godless Sun» entwerfen Sie das Konzept des Atheismus als Religion. Warum wurden Sie Atheist?

Wir werden doch alle als Atheisten geboren. Religiosität wird uns als Kleinkinder verabreicht wie eine Schluckimpfung. Aber spätestens im Schulunterricht erkennen viele Teenager, dass Religion allen Naturwissenschaften widerspricht und eine Form des Aberglaubens ist. Bei religiösen Menschen beschränkt sich der Aberglauben selten nur auf die Religion. Sie glauben auch an die Kraft von Ritualen, Amuletten und haben am Freitag, dem 13., ein mulmiges Gefühl. An einem Freitag, dem 13., bin ich übrigens geboren. Jetzt denkt bestimmt einer: Aha, siehst du!

Glauben Sie an sich selbst?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich für jedes lösbare Problem eine Lösung finde, ich vertraue meiner Kreativität auch in praktischen Dingen. «Debroulliard» ist das passende Wort.

Glauben Sie an Schicksal?

Nein, sicher nicht. Der Glauben an ein Schicksal kann tröstlich sein, weil es uns von jeder Schuld freispricht, aber es ist auch die Weigerung, Verantwortung zu übernehmen.

Glauben Sie an Zufälle?

Die Welt ist voller Zufälle. Der Mensch neigt dazu, in dieser chaotischen Welt eine Ordnung zu suchen und wünscht sich in seiner Hilflosigkeit eine allmächtige Kraft. Es ist nicht einfach zu akzeptieren, dass wir nicht mehr Bedeutung haben als ein Regenwurm und als Häufchen Kompost enden.

Warum glauben Sie nicht?

Sigmund Freud beschrieb Religion als Versuch, die Sinneswelt, in die wir gestellt sind, mit der Wunschwelt zu bewältigen. Für ihn war Religion eine Kindheitsneurose. In meinem Roman «Godless Sun» bezeichnet die Hauptfigur Religion «als grösste Betrugsgeschichte der Menschheit». Ich bin ein Freund der Naturwissenschaften. Wissen statt Glauben, Fakten statt Meinungen. Religion ist in den Industriegesellschaften ein Auslaufmodell. Die Menschen verlieren den Glauben, aber nicht den Aberglauben. Esoterisch angehauchte Patchwork- Religionen und dynamische Freikirchen mit poppigen Bühnenshows liegen im Trend, die Menschen lesen Ernährungsbibeln und treffen sich mit Gleichgesinnten in Fresstempeln oder betreiben einen exzessiven Fitnesskult: Verliebt in die eigene Magersucht. Gemeinsam haben all diese neuen Ersatzreligionen den Wunsch, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich über ihre Symbole, Rituale, Accessoires und Insiderwissen definiert und sich mit sprachlichen Eigenkreationen bewusst von Aussenstehenden abgrenzt. Das stärkste verbindende Element ist die gemeinsam praktizierte Intoleranz gegenüber Skeptikern.

Benutzen Sie gelegentlich das Wort «göttlich»?

Sie meinen im Sinne von «gross- artig»? Also, wenn meine Frau ihre Frühlingsrollen serviert, sage ich nach dem Essen manchmal «Fucking good», weil sie dann so tut, als würde sie dieser Ausdruck schockieren, aber «göttlich»? Nein.

Können Sie lieben?

Ich kann mich für andere Menschen zurückstellen, ich hatte damit nie ein Problem, da ich nie der Meinung war, dass mein Leben wertvoller ist als das Leben anderer Menschen. Ich habs auch lieber, wenn ich jemandem ein Geschenk machen kann als umgekehrt. Wer sich zugunsten von anderen zurückstellen kann, liebt. Wer das nicht schafft, liebt nur sich selbst.

Die Möglichkeit des Sterbens ist Ihnen ein naher Begleiter. Was bedeutet das für Ihr Leben?

Müssen Sie mich daran erinnern? Mein Zustand hat sich auf einem ­tiefen Niveau stabilisiert, ich bin sehr zufrieden und der Hämatalogie des Basler Unispitals unendlich dankbar. Aber ich lebe natürlich weiter unter dem Damoklesschwert und habe immer wieder mal ein paar stressige Tage. Aber mit der Zeit hat man mehr Erfahrung, um plötzlich auftretende Entzündungen einzuordnen, man wird gelassener, aber auch gleichgültiger.

Warum wollen Sie leben?

Da wären wir wieder bei den Frühlingsrollen. Puede ka-bang gummaua nang lumpia bukas? Ich kann nicht wirklich Tagalog, aber ich kann meine Frau in Tagalog fragen, ob sie heute Frühlingsrollen macht. Aber im Ernst: Ich liebe den Gesang meiner philippinischen Nachtigall, ihre Lebensfreude und ihren smarten Humor, ich liebe die langen Gespräche mit meinem Sohn, unseren Humor und unsere Vertrautheit, und ich liebe es, Neues zu lernen. «Zwar weiss ich viel», sagt Wagner zu Faust, «doch möcht ich alles wissen.»

Was finden Sie im Rotwein?

Ich liebe Rotwein und auch die Historie dazu, Château Pape Clement, Château Palmer, das sind doch sehr verblüffende Geschichten, die uns auch einiges über die Weltgeschichte erzählen. Als Drehbuchautor habe ich mir früher nach jedem verkauften Krimidrehbuch eine Kiste Bordeaux gekauft. Da ich in den letzten zehn Jahren zuerst meine Frau gepflegt und dann an Leukämie erkrankt bin, hatte ich keine Möglichkeit, diese Weine zu trinken. Jetzt sind sie alle über 15 Jahre alt. Wäre ich gesund geblieben, wären all diese Flaschen längst im Glascontainer. Neuerdings trinke ich am Wochenende die jeweils beste Flasche, die ich im Keller habe. Ich warte nicht mehr auf besondere Gelegenheiten. Ich lebe jetzt.

Sie spielen am Computer Panzerschlachten. Weshalb?

1989 schrieb ich das Computergame für eine Handels- und Kriegssimulation zum Zweiten Punischen Krieg. Ich hatte 756 historische Städte mit den Bevölkerungszahlen und Anbau- flächen nach den Studien von Professor Beloch integriert. Programmiert hat es Andy Seebeck, der Vater der interaktiven TV-Telefonie-Games, die Grafiken waren von Ingo Mesche, dem Vater des Moorhuhns. Ich war stets Gamedesigner und kein Spieler, aber ich schaue mir immer wieder mal an, was an neuen Hex-Grid-Spielen für das iPad auf den Markt kommt und wie die Algorithmen funktionieren. Rundenbasierte Games sind schachähnliche Strategiespiele.

Welches Übel der Zeit halten Sie für das schlimmste?

Die Schwäche der westlichen Regierungen. Sie lassen ihre Bevölkerung im Stich. Man empfiehlt den Frauen, nachts nicht mehr alleine rauszu- gehen, einen Pfefferspray zu kaufen und eine Armlänge Abstand zu halten. Man schränkt also die Bewegungsfreiheit von Steuerzahlerinnen ein, damit eine Minderheit von jungen Abenteuermigranten, die ihren Sexualtrieb nicht unter Kontrolle haben, weiterhin eine maximale Bewegungsfreiheit haben. Ironischerweise kommen die Opfer mit ihren Steuerzahlungen für den Unterhalt der Täter auf.

Wohlstand macht träge. Wir werden in Europa von einer Generation regiert, die noch nie eine echte politische Krise meistern musste. Können Sie sich einen Winston Churchill vorstellen, der das britische Parlament fluchtartig Richtung Klo verlässt, weil ein Abgeordneter Tacheles redet? Wenn ein Staat, der seit 1848 erfolgreich funktioniert, nicht fähig ist, mit zwei pubertierenden Jungs innert eines Tages fertig zu werden, wie will er dann die Migrationskrise über- stehen? Das Berliner Institut für Bevölkerungsentwicklung hat Zahlen vorgelegt: In den nächsten 13 Jahren werden in den Herkunftsländern der Migranten zusätzlich 100 Millionen Menschen leben. Von der jetzigen Bevölkerung wollen bereits 25 Prozent nach Westeuropa. Wie soll das gehen? Es ist unsere humanitäre Pflicht, Menschen aus Kriegsgebieten aufzunehmen, aber das sind lediglich zehn Prozent der Migranten. Die übrigen sind Wirtschaftsmigranten auf der Suche nach einem besseren Leben. Das ist verständlich, aber nicht realisierbar. Erschwerend kommt hinzu, dass wir Antisemitismus, Frauenverachtung, religiösen Extremismus und ethnische Konflikte importieren. Das erträgt weder das Sozialsystem noch die Gesellschaft. Die politische Mitte wird nach rechts verschoben. Peter Scholl-Latour schrieb einmal: Wer halb Kalkutta bei sich aufnimmt, rettet nicht Kalkutta, sondern wird selber zu Kalkutta.

Die Idee war zuerst, dass Sie ein Interview mit sich selbst führen. Sie taten das, Ihr Sohn fand es Scheisse. Weshalb?

Mein Sohn würde nie einen solchen Ausdruck benützen. Ich habe die Idee in meiner SMS «big shit» genannt, wobei «shit» nicht so stark nach «Scheisse» riecht. Mein Sohn fand die Idee einfach peinlich und ich ­vertraue seinen pragmatischen ­Einschätzungen.

Sie schlafen kaum wegen der Krankheit. Träumen Sie noch?

Jede Nacht. Da ich ununterbrochen mit meinen Figuren und Geschichten beschäftigt bin, setzt das Gehirn während des Schlafs die Puzzles zusammen. Ich sehe viele Szenen als fertige Filmsequenzen, höre Dialoge, spreche mit meinen Figuren. Meine Frau macht sich dann am Morgen über mich lustig und imitiert mich. Aber netterweise weckt sie mich nachts nie auf. Denn sie weiss, ich arbeite.

Sie sagen immer wieder, sie möchten Reisen und das Schreiben ein wenig beiseitelegen. Glauben Sie, Sie ­ schaffen das?

Weder meine Frau noch mein Sohn glauben das. Aber ich hatte seit Mai ernsthaft im Sinn. eine Schreibpause einzulegen, aber jetzt sind aus ein paar Ideen die ersten 50 Seiten eines neuen Romans entstanden, nichts Historisches, nichts Politisches, nichts Autobiografisches, was ganz Neues. Manchmal denke ich, ich habe mich selber versklavt. Aber es ist schwierig, nach 40 Jahren Dauerschreiben den Stecker zu ziehen. Ich wüsste nicht einmal, wo er ist.

Claude Cueni: «Godless Sun». Roman. Offizin, Zürich. 376 S., Fr. 31.90.

© Basler Zeitung; 24.09.2016

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