Interview mit Claudia Walder / Mai 2020
Einführung
Claude Cueni ist erfolgreicher Autor und hat gesundheitsbedingt bereits Quarantäne-Erfahrung. Am 17. August erscheint bei Nagel & Kimche sein neuer Wissenschafts-Thriller «Genesis – Pandemie aus dem Eis». 2021 wird sein historischer Roman «Das grosse Spiel» verfilmt.
Persönliches
- Herr Cueni, Sie sind erfolgreicher Autor und wurden in einem Interview als «Quarantäneprofi» bezeichnet. Haben Sie Tipps für «Ungeübte»?
Wer jammert, sollte sich bewusstwerden, dass eine Quarantäne mit vollem Kühlschrank, Internet und Netflix eine Luxus-Quarantäne ist. In armen Ländern können sich die Leute nicht einmal Hamsterkäufe leisten.
Grundsätzlich ist eine Tagesstruktur hilfreich, egal ob man um 5 Uhr oder um 9 Uhr aufsteht: Fitness, Online-Zeitungen, Kontaktplfege über die sozialen Medien, in der Küche Neues ausprobieren. Und endlich mal den Keller aufräumen. Alles kann hilfreich sein.
- Hilft Ihnen die Isolation beim Schreiben – oder das Schreiben in der Isolation?
Weder noch. Ich kann rasch in meine Geschichten abtauchen und alles um mich herum ausblenden. Ich brauche keine optimalen Bedingungen zum Schreiben.
- Wenn Sie ein Charakter in einem Ihrer Bücher wären, wie würden Sie sich beschreiben?¨
In meinem autobiographischen Roman »Script Avenue« finden Sie einen Beschrieb auf 640 Seiten, ein Leben zwischen Tragödie und Comedy.
- In welcher literarischen oder filmischen Geschichte würden Sie sich gerne wiederfinden?
In keiner. Ich habe mich mittlerweile an mich gewöhnt.
- Sie sind 2019 Grossvater geworden, welches ist das erste Buch, das Sie Ihrer Enkelin schenk(t)en?
Ich arbeite noch daran. Es heisst »Hotel California – One more thing for Elodie«. Die zweite Fassung ist fertig. Es beinhaltet die Dinge, die ich meiner Enkelin noch gerne gesagt hätte, wenn sie erwachsen ist. Sie ist gerade ein Jahr alt geworden.
- Ihr neustes Buch «Genesis» trägt den Untertitel «Pandemie aus dem Eis». Zufall?
Da ich seit zehn Jahren immunsuprimiert bin, sind mir die Themen Viren und Bakterien vertraut. Ich war immer der Meinung, dass das grösstmögliche Unglück nicht Kriege, Meteoriteneinschläge, Klimaerwärmung oder Negativzinsen sind, sondern eine Pandemie, weil eine solche nicht auf Regionen beschränkt ist. Das fertige Manuskript wurde von meiner Literaturagentur bereits im Oktober 2019 an der Frankfurter Buchmesse den Verlagen angeboten. Geschrieben hatte ich es in den zwölf Moanten davor. Also weit vor dem ersten Auftritt von Covic-19.
- Wenn Sie das Geschehen in Ihrem Buch mit der jetzt eingetroffenen Situation vergleichen, was haben Sie sich anders vorgestellt? Was ist eingetroffen?
Auch bei mir ist der Auslöser eine Zoonose, also eine Übertragung von Tier zu Mensch. Der Fokus liegt aber nicht auf einem Horror-Szenario im Stil von Steven King, sondern auf einer indischen Köchin, die vor einer Zwangsheirat nach London flüchtet, eine zugelaufene Ratte dressiert und sich infisziert ohne selber daran zu erkranken.
Womit ich nicht gerechnet habe: Dass viele Schwerkranke aus Angst vor Ansteckung eine dringend notwendige Spitaluntersuhung verschieben und so den Zeitpunkt verpassen, wenn der Krebs noch keine Metastasen gebildet hat.
- Sehen Sie in der Corona-Krise auch positive Aspekte?
Jede grosse Krise ist ein Crash-Kurs in Philosophie. Sofern man lernfähig ist. Für mich hat sich nicht viel geändert. Da mir meine Frau keinen Virus nach Hause bringen will, hat sie unbezahlten Urlaub genommen und sich in Co-Quarantäne begeben. Wir haben es sehr gut miteinander.
- Mit welcher Persönlichkeit (real, historisch oder fiktiv) würden Sie gerne chatten/skypen – oder Briefe austauschen?
Mit John Law of Lauriston, dem Mann, der Geld aus Papier erfand und nie aufgab. Die Romanverfilmung hätte dieses Jahr beginnen sollen, aber eine Filmcrew hat mehr als fünf Personen und am Hof des Sonnenkönigs sollten nicht alle Darsteller einen Mundschutz tragen.
- Welche Frage würden Sie gerne einmal gestellt bekommen (bekommen Sie aber nie)?
Ich bin nicht so interessant, dass die Öffentlichkeit noch mehr über mich erfahren müsste.
Museum
- Welche Gedanken verbinden Sie spontan mit dem Begriff «Museum»?
Zeitreisen. Neues Lernen. Wissen ist sexy.
12. Besuchen Sie Museen lieber real oder virtuell? Und weshalb/wann welches?
Unbedingt real. Regelmässig besuche ich das Gelände des Römermuseums in Augusta Raurica, das Landesmuseum, wenn ich in Zürich bin und das British Museum in London. Aber ich mag auch skurrile Museen wie das Henkermuseum in Liestal.
- Was müssen Museen tun, um Sie in Zeiten der Isolation zu erreichen bzw. relevant für Sie zu sein?
Interesse wecken, neugierig machen. Egal ob es eine Ausstellung zum Thema »Guillotine«, »Reisen in der Antike« oder »Zinnfiguren« ist. In Corona-Zeiten müsste es virtuell sein. Man nutzt Zeit und Budget aber besser für eine reale Ausstellung nach Ablauf des Lockdowns.
- Was sollte ein historisches Museum heute sammeln, um in Zukunft einmal die Corona-Krise darstellen zu können?
Ein begehbarer Supermarkt mit leeren Regalen, im OFF Nachrichten, in jedem neuen Ausstellungsraum ein vermummter Aufseher, ein Bett auf einer Intensivstation, ein Grabmal nach der Vorlage von Auguste Bartholdis Voulminot-Skulptur in Colmar, ein Rehrudel in einer leeren Bar, ein Kurier auf dem Velo, Food-Delivery. Ein Vergleich mit anderen Pandemien in chronologischer Folge.
- Welches ist Ihr Lieblingsmuseum? Welche ist Ihre Lieblings-Museumwebseite? (Sind ja nicht unbedingt das Gleiche.)
Mein eigenes Museum war mir natürlich stets am liebsten. Ich hatte zahlreiche Schaufensterpuppen historisch korrekt eingekleidet und im Wald hinter dem Haus eine römische Mansio gebaut, eine römische Herberge. Der Architekturhistoriker Otto Lukas Hänzi hatte sie entworfen. Die meisten Gegenstände stammten aus Werkstätten, die normalerweise für Museen arbeiten. Es gab einen Keltenwald mit Totenköpfen in den Bäumen, ich wollte das alles der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung stellen, aber der Kanton hat mir dann verboten, im eigenen Wald weiterzubauen.
Nachhaltig beeindruckt hat mich vor 20 Jahren auch der vor acht Jahren umgebaute »MuséoParc Alésia« im Burgund mit den nachgebauten Belagerungsringen um Alesia im Maßstab 1:1.
Meine Lieblingswebseite ist natürlich die vom Money Museum in Zürich. Die Geschichte des Geldes ist ja auch die Geschichte der Zivilisation und Thema meines Romans über die Erfindung des Papiergeldes.
- Gibt es ein Museum, in dem Sie oder ein Werk von Ihnen zu finden sind?
In diversen Römermuseen gab es jahrelang meine Dramatisierung des Gallischen Krieges im Museumshop (»Cäsars Druide / Das Gold der Kelten«). Aber ob das heute noch so ist, weiss ich nicht. Ich denke nicht.
- Welches Museum wäre das perfekte Setting für einen Roman / einen Film?
Auf jeden Fall das Landesmuseum. Kein anderes. Ich hatte dort vor 20 Jahren eine Buchvernissage. Mir gefiel die Stimmung in den Sälen nach Einbruch der Nacht.
- Stellen Sie sich vor, Sie dürften eine Ausstellung gestalten. Was würden die Besucher zu sehen bekommen? Wie würde die Ausstellung heissen? Und wäre sie real oder virtuell?
»Geschichte als Geschichte erzählen«. Auf jeden Fall real. Jeder Raum eine Epoche mit Schauspielern in historischen Kostümen, die sich untereinander unterhalten, aber nicht mit dem Publikum kommunizieren. Vor dem Gebäude eine historische Strassenkantine mit Fastfood nach damaligen Originalrezepten.
- Was war der eindrücklichste Moment, den Sie je in einem Museum erlebt haben?
Das war im History Museum in Hongkong. Es war deshalb eindrücklich, weil es grossartig gestaltet ist und diese Kultur für mich damals neu war. Eindrücklich war auch ein Besuch im Bartholdi-Museum in Colmar. Ich stiess auf ein Gemälde von Charles Bartholdi, dem erfolglosen Bruder des weltberühmten Auguste Bartholdi, der die Freiheitsstatue erschuf. Ich fragte mich, wieso sich die Brüder, beide Kunstmaler, nicht gegenseitig gemalt hatten und erkundigte mich bei der Konservatorin. Sie kopierte mir Briefe der Mutter. Darauf habe ich den Roman »Gigangen« neu geschrieben, die Rivalität der Brüder wurde ein zentrales Thema.
- In welchem Museum sollte man sich in 100 Jahren an Sie erinnern? Und weshalb?
In keinem. Ich gehöre nicht zu den Autoren, die sich wahnsinnig wichtig nehmen. Sobald ich tot bin, existiere ich nicht mehr. Und aus die Maus.