Die Weltwoche – 09. Juni 2022
Wie verwegene Geschäftsleute die Banane aus dem Malaria- und Korruptions-Dschungel Zentralamerikas in die Luxusmärkte der Ersten Welt brachten.
Kaum zu glauben, dass Minor Cooper Keith (1848–1929) am Ende des 19. Jahrhunderts die Weichen für einen der ersten Weltkonzerne legte. Denn zuerst hatte er kein Glück, und dann kam noch Pech dazu. Sein Onkel Henry Meiggs hatte ihn 1871 nach Costa Rica gerufen, nachdem er mit dem costa-ricanischen Präsidenten Tomás Guardia Gutiérrez einen Vertrag über den Bau einer Eisenbahnstrecke unterzeichnet hatte. Sie sollte die Hauptstadt San José mit dem karibischen Hafen von Limón verbinden. Minor Cooper Keith war 23 und abenteuerlustig. Er lernte schnell.
Das war auch nötig, denn bereits sechs Jahre später starb sein Onkel Henry, und er wurde sein Nachfolger. Keithy erbte einen Haufen ungelöster Probleme, denn sein Onkel war offenbar ein betrügerischer Finanzjongleur, der noch hundert Jahre nach seinem Tod die Gerichte beschäftigte. Keith erbte aber auch grosse Bananenplantagen, die Onkel Henry entlang der Eisenbahn angelegt hatte, um die Lebensmittelversorgung der Arbeiter zu sichern und Lieferkosten zu sparen. Doch es folgte eine Pechsträhne. Die Regierung hielt ihre Zahlungsversprechen nicht ein, Regenfälle, dichter Dschungel und Malaria bedrohten das Projekt. Über 4000 Menschen erlagen dem Sumpffieber, darunter drei von Keiths Brüdern.
Trotz aller Widrigkeiten erreichte Keith schliesslich den Hafen von Limón. Die Freude währte nur kurz. Die Passagiere blieben aus, und Keith blieb auf einem enormen Schuldenberg sitzen. Er hatte nichts mehr. Ausser Bananen. Die Regierung von Präsident Próspero Fernández Oreamuno konnte die vereinbarten Ratenzahlungen nicht zahlen und beglich ihre Schulden mit der Überschreibung von 324 000 Hektaren Land, was fast der doppelten Fläche des Kantons Zürich entspricht.
Jetzt hatte Keith noch mehr Anbauflächen, aber kaum noch Arbeiter, denn die Costa-Ricaner verweigerten den gefährlichen Job im Malariagebiet. Er fand neue Arbeitskräfte in Jamaika. Einer der Schiffskapitäne, die zwischen den Kaimaninseln Passagiere und Waren beförderten, war der Abenteurer Lorenzo Dow Baker, der bereits 1870 160 Bananenbündel aus Mittelamerika nach Hause gebracht hatte. Baker und Keith verstanden sich sogleich, hatten viele Ideen, Bananenplantagen, so weit das Auge reichte, aber sie brauchten Geld – Geld, das sie nicht hatten. Das änderte sich 1885, als sie den berühmten amerikanischen Geschäftsmann Andrew W. Preston als Investor gewannen. Zu dritt gründeten sie vierzehn Jahre später, mit acht Partnerunternehmen, die United Fruit Company (UFC), die sie 1903 an die Börse brachten.
Von nun an beförderte Keith auf seinem Schienennetz keine Passagiere, sondern Bananen. Die Gesellschaft errichtete in Costa Rica rasch die Infrastruktur, die sie für die Expansion ihres Geschäftes brauchten, und bald gehörten ihnen Bahnstrecken, ein Schiffshafen, Telefon- und Radiostationen und eine riesige Flotte von Frachtschiffen mit eingebauten Kühlkammern. Doch Costa Rica war der UFC noch lange nicht genug. Sie breitete sich in ganz Mittelamerika aus und erhielt bald einmal den Namen «el pulpo», die Krake.
Als am 12. November 1928 die Arbeiter auf den kolumbianischen Plantagen wegen mieser Arbeitsbedingungen streikten, verweigerte die UFC Verhandlungen mit den Anführern. Nach erfolglosen Verhandlungen mit der Regierung meldeten die UFC und amerikanische Beamte vor Ort dem US-Aussenminister Frank B. Kellogg «einen kommunistischen Aufstand» und drängten die Regierung, amerikanische Interessen zu schützen. Darauf drohten die USA mit einer Invasion des United States Marine Corps.
Die konservative Regierung von Miguel Abadía Méndez beauftragte General Cortés Vargas, Oberbefehlshaber der Bananenregion, die Situation mit einem auswärtigen Armeeregiment zu klären. An einem Sonntag warteten die gläubigen Bauern nach der Sonntagsmesse dichtgedrängt vor der Kirche auf eine klärende Ansprache des Gouverneurs. Auf den umliegenden Dächern waren 300 Soldaten mit Maschinengewehren in Stellung, sie schossen in die Menge und töteten (je nach Quelle) tausend bis dreitausend Menschen, darunter viele Frauen und Kinder. Das Massaker (Masacre de las bananeras) prägte den Begriff «Bananenrepublik».
Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg in den USA die Nachfrage nach Bananen, die als gesund galten, und die UFC bewarb mit einem Millionenbudget eine fröhliche Südamerikanerin mit einem Körper in Bananenform. Kein Geringerer als Dik Browne, der Vater von «Hägar dem Schrecklichen», hatte diese «Miss Chiquita» erschaffen, eine singende Markenbotschafterin mit Sex-Appeal und einem Früchtekorb auf dem Kopf. Für die UFC schien alles bestens zu laufen, bis 1951 Jacobo Árbenz Guzmán, Sohn eines Schweizer Immigranten aus Andelfingen und einer Mestizin, mit einem Stimmenanteil von 65 Prozent zum neuen Präsidenten von Guatemala gewählt wurde. Mit einer Landreform wollte Guzmán ungenutztes Land zum Steuerwert erwerben und umverteilen. Darunter auch die brachliegenden Ländereien der United Fruit Company.
Diese bat die amerikanische Anwaltskanzlei der Gebrüder Dulles, bei Präsident Eisenhower vorstellig zu werden. John Foster Dulles war damals Aussenminister, der Bruder Allen Welsh Dulles Chef der CIA. Das Klima war nicht ungünstig, denn in den USA hatte der Senator Joseph McCarthy mit seinen Tribunalen die Jagd auf echte oder vermeintliche Kommunisten eröffnet. Die UFC erkannte, dass sie ihre verlorenen Ländereien nur zurückerhalten konnte, wenn sie Regierung und Öffentlichkeit davon überzeugen konnte, dass die Sowjetunion im Begriff war, in Guatemala einen Brückenkopf einzurichten.
Die UFC brauchte einen Profi, um Präsident Guzmán und seine Regierung in Verruf zu bringen. Der Job war wie gemacht für Edward Louis Bernays (1891–1995), Neffe von Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse. Bernays galt als Meister der Propaganda und Vordenker der Public Relation. Gemeinsam mit den Dulles-Brüdern entwarf er die Operation PBSuccess, die von Präsident Eisenhower ausdrücklich begrüsst wurde. Auf Kosten der UFC lud man amerikanische Journalisten nach Guatemala ein. Dort präsentierte man ihnen gescriptete Interviewpartner und verstümmelte Leichen (von Unfallopfern), die angeblich vom Regime zu Tode gefoltert worden waren.
Da Bernays mit Arthur Hays Sulzberger (1891–1968), dem Herausgeber der New York Times, befreundet war, wurde die Öffentlichkeit täglich informiert beziehungsweise desinformiert und mit Fake News verängstigt. Angeblich würde sich der Kommunismus von Guatemala aus wie ein Krebsgeschwür über ganz Mittelamerika verbreiten, Amerika war in Gefahr, die Banane war es auch. Plötzlich hörten alle Medien das sowjetische Bellen vor der Haustür. Zahlreiche Radiostationen, die Bernays kurzfristig im Guatemala eingerichtet hatte, berichteten ununterbrochen von einer fiktiven Rebellenarmee, die unaufhaltsam vorrückte. Im Hintergrund hörte man eingespielte Raketeneinschläge und Maschinengewehre. Vor der Küste tauchten US-Kriegsschiffe auf. Irritiert distanzierte sich das guatemaltekische Militär von der Regierung, Guzmán wurde gestürzt. Er floh mit seiner Familie vorübergehend in die Schweiz und ertrank später in Mexico City in seiner Badewanne. Sein Nachfolger war Diktator Carlos Enrique Díaz de León. Er gab dem Bananenkonzern seine Ländereien zurück.
In den folgenden Jahrzehnten geriet die gesamte Branche immer wieder in Verruf wegen Preisabsprachen, Bestechungen, Kinderarbeit, Raubbau an der Natur und Pestizideinsatz.
In den 1990er Jahren waren in Kolumbien Entführungen und Morde an der Tagesordnung. Um die Sicherheit der Angestellten zu gewährleisten, bezahlten die Konzerne Schutzgelder an paramilitärische Terroreinheiten, zuerst an die linke Farc, später an die rechten AUC. Die USA, die selber jahrelang in Waffenlieferungen (Contra-Krieg) involviert waren, erliessen 2001 ein Anti-Terror-Gesetz, das Zahlungen von US-Unternehmen an ausländische Terrororganisationen unter Strafe stellte. Die UFC stellte sich den US-Untersuchungsbehörden. Mit einer Strafzahlung von 25 Millionen Dollar war die Sache vom Tisch.
Seitdem segelt der Weltkonzern unter einer neuen Generation von CEOs und wechselnden Besitzern in ruhigeren Gewässern. Oscar Grillo, der Schöpfer des «rosaroten Panthers», machte aus der Bananenfrau eine menschliche Miss Chiquita. Sie verkauft heute Kochbücher, Merchandising-Artikel, sponsert Sportanlässe und tritt in Filmen und TV-Shows auf. Trotz gelegentlicher Vorwürfe wegen «Rassierung und Sexualisierung» wurde Miss Chiquita grösser als die Firma, und so war es nur folgerichtig, dass sich die United Fruit Company in Chiquita Brands International umbenannte und schliesslich die Voraussetzungen erfüllte, um von der Umweltschutzorganisation Rainforest Alliance zertifiziert zu werden.
Heute gehört der weltgrösste Bananenproduzent mit seinen 20 000 Angestellten zum internationalen Netzwerk der brasilianischen Investmentfirma J. Safra Sarasin Group (die auch die damalige Schweizer Bank Sarasin übernahm) und des brasilianischen Saftherstellers Cutrale. Sie nahmen nach dem Kauf Chiquita von der Börse, Plantagen betreiben sie vorwiegend in Costa Rica, Guatemala, Honduras, Panama und Kolumbien. Da in diesen Ländern Bananen zu den lukrativsten Exportgütern gehören, ist das Wohlwollen der Regierungen garantiert.
Die grösste Gefahr für Miss Chiquita ist heute ein Tropical Race 4 (TR4) genanntes Virus, das die Gefässe der Pflanzen verstopft und ganze Plantagen vernichtet. Gegen TR4 gibt es bisher kein Mittel. Inzwischen lässt sich aber mit Genom-Editierung das Erbgut gezielt verändern. An der Queensland University of Technology tüfteln Forscher an einer Miss Chiquita aus dem Reagenzglas. So, wie wir heute Retortenbabys akzeptieren, werden wir uns eines Tages auch an die Babys von Miss Chiquita gewöhnen.