NZZ Porträt: »Ich bin der Autor, der niemals stirbt.«

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NZZ Interview – Matthias Niederberger                                                    28.7.2023

 

– Wie geht es Ihnen?

 

Es geht mir gut, aber auf tiefem Niveau.

 

– Schreiben Sie derzeit an einem Buch oder auf sonst eine Weise literarisch?

 

Ich wollte dieses Jahr meinen Roman »Bonnie & Clyde & der Achtzylinder« beenden, der Verlag hatte bereits den Publikationstermin für nächstes Jahr reserviert, aber die Polyneuropathie, eine Spätfolge der erfolgreichen Leukämiebehandlung, hat mittlerweile die Nerven in meinen Fingern geschädigt. Wenn das Tippen auf der Tastatur für einige Finger so schmerzhaft ist wie eine Zahnwurzelbehandelung, beenden Sie keinen 450seitigen Roman mehr. Auch nicht mit einem Gummistift. Der reicht nur für kürzere Texte. Ich habe deshalb aus dem Manuskript eine Shortstory für das Kulturmagazin »Literarischer Monat« geschrieben. Erscheint Ende Jahr. Da ich mein ganzes Leben täglich geschrieben und noch nie ein weisses Blatt angestarrt habe, leide ich natürlich unter Entzugserscheinungen. Aber ich habe noch genug zu tun. Daniel Bodenmann hat das englische Kinodrehbuch zu meinem autobiographischen Roman »Script Avenue« verfasst, das bereits in Los Angeles, New York, Tokio, Berlin und auf anderen Festivals ausgezeichnet wurde. Jetzt gilt es, Produzenten zu überzeugen.

 

– In «Script Avenue» heisst es: «Solange ich schreibe, werde ich nicht sterben.» Können Sie das etwas genauer erläutern, und stimmt das auch heute noch?

 

Früher erkrankte ich oft nach Abschluss eines grossen Projekts an einem Infekt.  Das wollte ich vermeiden und flüchtete in meine fiktiven Welten. Kaum hatte ich einen Roman beendet, schrieb ich bereits den nächsten, fast jedes Jahr ein neues Buch. Das Schreiben gab mir eine Struktur, ein Ziel. Was ich anfange, will ich auch zu Ende bringen. Disziplin und Durchhaltewillen sind wichtig. Ich stehe täglich, wenn auch nicht freiwillig, um zwei Uhr morgens auf, beginne mein Rehabprogramm und lese zwei bis drei Stunden die internationale Presse. Wer nur ein Medium konsumiert erfährt nur einen Teil der Fakten. Halbe Wahrheiten sind keine Basis für eine Debatte.

 

– Sie haben Ihr letztes Buch eigentlich schon geschrieben. Nun war es doch nicht das letzte. Wie fühlt sich das an?

 

Etwas merkwürdig. »Hotel California« war tatsächlich als »letztes Buch« geplant, der Roman war ein Lebensratgeber für meine damals noch ungeborene Enkelin. Mein Arzt sagte mir kürzlich, mein Krankheitsverlauf sei in der Tat ungewöhnlich. Ich bin mittlerweile der Autor der niemals stirbt. Aber das ist nicht mein Verdienst. Ich habe eine grossartige Frau an meiner Seite, einen wunderbaren Sohn und geniesse im Zellersatzambulatorium der Basler Hämatologie eine hervorragende Pflege und Betreuung.

 

– Zu SRF sagten Sie vor einigen Jahren: «Je beschissener eine Biografie, desto besser wird das Buch.» Schreibt man besser, wenn man ein Leben mit vielen Schicksalsschlägen hat? Inwiefern bezieht sich das auf Sie selbst?  

 

Ich weiss nicht, ob man besser schreibt. Aber sicher authentischer, und das ist etwas das die Leserinnen und Leser schätzen. Ich kriege regelmässig Mails von Menschen, die sich für einen Roman bedanken, weil er ihnen Mut gemacht hat, Mut, nicht aufzugeben. Besonders berührt hat mich die Mail eines mexikanischen Spastikers. Nach der Lektüre der spanischen Uebersetzung von »Cäsars Druide« hatte er nach Jahren wieder den Mut gefasst, sich um einen Job zu bemühen und einen gefunden. Die Hauptfigur in dieser Dramatisierung des Gallischen Krieges ist ein junger, keltischer Spastiker, der in Caesars Schreibkanzlei anheuert. Fast alle meine Romane sind Mutmacher. In gewissem Sinne habe ich mir meine Vorbilder selber erschaffen. Ich wurde mein eigener Motivator, Unterhalter und Hofnarr.

 

– Bekannt wurden Sie mit historischen Romanen: Blicken Sie lieber in die Vergangenheit als in die Zukunft?

 

Wer die Vergangenheit kennt, versteht die Gegenwart besser und kann sich eher ein Bild von der Zukunft machen. Mich fasziniert seit Teenagertagen die Universalgeschichte. Je mehr man weiss, desto mehr will man wissen.

 

– Sie veröffentlichen regelmässig eine Kolumne im Blick, schreiben über Klimakleber, Schuhe, ChatGPT. Ihre Zeit ist befristet und wertvoll. Weshalb tun sie genau das? 

 

Weil es mir Freude macht. Weil ich gerne recherchiere. Das würde ich auch ohne Auftrag tun. Ich bin mir bewusst, dass mir meine teilweise politisch nicht korrekten Kolumnen im Kulturbetrieb dauerhaft geschadet haben. Meine Bücher werden seitdem in der Schweiz kaum noch besprochen. Viele Kollegen teilen zwar meine Ansichten, aber in der Oeffentlichkeit tun sie so, als hätten sie immmer noch ihr Che-Guevara Poster auf dem Klo. Sie fürchten vielleicht den Verlust von Werkbeiträgen und Literaturpreisen. Ich werde nie verstehen, wieso Schriftstellerinnen und Schriftsteller ihren Rohstoff, die Sprache, verhunzen. Die Neue Political Correctness hat uns zu einer Gesellschaft von Heuchlern, Duckmäusern und Feiglingen gemacht.

 

– Der Schweizer Strafrechtsprofessor und Autor Peter Noll sagte einmal, es lebe sich besser, wenn man den Tod vor Augen habe. Wie denken Sie darüber?

 

Es lebt sich anders. Manchmal fühlt man sich wie ein Ausserirdischer auf einem fremden Planeten, weil man grenzwertige Erfahrungen gemacht hat, die anderen fremd sind. Das trennt. Man wird bescheiden und etwas stiller, man zieht sich zurück. Man wird auch gelassener, weil man weiss: Vieles ist bedeutungslos. Peter Noll kann ich sehr gut verstehen.

 

– Wie wichtig ist Humor in Ihrer Situation?

 

Mit Humor, egal wie schwarz er ist, meistert man auch grenzwertige Situationen besser. Humor verhindert, dass man in Selbstmitleid zerfliesst. Humor entspannt.

 

– In einem Interview sprachen Sie einmal von der «narzisstischen Selfie-Gesellschaft.» Nehmen wir uns selbst zu wichtig?

 

Auf jeden Fall. Der junge Clemens Traub und ehemalige Friday for Future Aktivist, nannte Kapitel 8 seines Bestsellers: »Die Jagd nach dem nächsten Selfie. Arzttochter sucht Anwaltssohn«. Der Asphalt ist für etliche Klimakleber eher eine Datingplattform und Selfie-Kulisse, mal Asphalt, mal Palmenstrand. Die »Letzte Generation« ist ohne Zweifel die letzte Generation, die derart privilegiert und verwöhnt aufwachsen durfte. In meiner Muttersprache nennt man sie »pourri gâté«, wobei gâtè sowohl verwöhnt als auch beschädigt bedeutet. Pourri ist die Steigerungsform und bedeutet verfault. Auch meine Generation wurde seinerzeit als »pourri gâté« bezeichnet. Verweigerung, Rebellion und Opposition gehören zur Pubertät, aber damals wurden die Kids nicht zu egoistischen Prinzen und Prinzessinen erzogen, die glauben, man könne die arbeitende Bevölkerung verärgern, um die Regierung zu erpressen.

 

– In der Schweiz geht es uns so gut wie noch nie, wir haben alles was wir brauchen ­– und noch mehr. Da bleibt nur noch Selbstoptimierung.

Haben wir zu grosse Erwartungen an uns selbst und an das Leben? Und haben wir vielleicht auch Bescheidenheit verlernt?

 

Kinderzimmer sehen bei uns aus wie Abteilungen von Franz Karl Weber, während Kinder in ärmeren Ländern mit dem spielen, was die Natur hergibt und dabei wesentlich zufriedener sind. Ich habe seit 13 Jahren täglich Kontakt mit meiner Grossfamilie in der philippinischen Provinz. Mehrmals wöchentlich fällt in den umliegenden Dörfern der Strom aus oder fliesst kein Wasser. Bei uns jammert man gendergerecht über ein zu kurzes iPhone-Kabel. Wir haben jegliche Verhältnismässigkeit verloren. Vor lauter Ichbezogenheit sehen wir nicht mehr über den eigenen Tellerrand hinaus, sehen nicht, dass die westliche Welt und ihre Werte laufend an Bedeutung verlieren. Deutschland, das immer wieder die Führerschaft Europas für sich reklamiert, marschiert auch beim Niedergang voran. Aber die Welt wird deshalb nicht untergehen, denn der Westen ist nicht die Welt.

 

– Was zählt wirklich im Leben? Können wir uns dessen überhaupt bewusst sein, wenn der eigene Tod gefühlt in weiter Ferne liegt?

 

Als ich damals während der Knochenmarktransplantation extrem hohes Fieber entwickelte und die Krankenschwester meiner Frau sagte, man könne jetzt leider nichts mehr tun, fragte ich mich nicht, wie viele Romane ich geschrieben habe, sondern was ich für andere Menschen getan habe. Denn was am Ende übrigbleibt, das sind die Gene, die man weitervererbt hat und die guten Taten. Ich bin weder religiös noch abergläubisch, aber ich denke, dass im reiferen Alter Schenken mehr Freude und Befriedigung schafft als Beschenktwerden. Deshalb finanziere ich seit 13 Jahren u.a. Stromgeneratoren, Wasserpumpmaschinen und Schulausbildungen auf den Philippinen.

 

– Was sind Ihre Wünsche? Haben Sie noch Ziele?

 

Meine Wünsche sind längst erfüllt. Als junger Autor wünschte ich mir beruflichen Erfolg. Später hoffte ich, dass mein Sohn trotz Handicap ein gutes Leben hat und dass ich nach dem Krebstod meiner ersten Frau nochmals die ganze grosse Liebe erfahre. Dies alles ist in Erfüllung gegangen. Schmerzfreie Nächte bleiben eine Illusion, die Ziele sind bescheidener geworden. Ich nehme einen Tag nach dem andern, gemäss dem Motto von Winston Churchill: »If you’re going through hell, keep going«.

 

Claude Cueni 28.7.2023

 

 

 

Claude Cueni: «Ich bin der Autor, der niemals stirbt»


Er leidet an einer unheilbaren Krankheit. Trotz Muskelkrämpfen schreibt Claude Cueni jeden Tag. Er entwickelte über die Jahre Computerspiele, schrieb Drehbücher für den «Tatort», seine Romane verkauften sich tausendfach. Im schweizerischen Literaturbetrieb bleibt er jedoch ein Aussenseiter.


Von Matthias Niederberger


«Ich wurde mein eigener Motivator, Unterhalter und Hofnarr.» – Claude Cueni. Karin Hofer / NZZ


Claude Cuenis Küche wird streng bewacht. In einer Ecke, gleich neben dem Bartresen, steht eine lebensgrosse Figur von John Law, dem Erfinder des Papiergeldes. Law ist die Hauptfigur von Cuenis bekanntestem Roman, «Das grosse Spiel». Mit ihrem langen Lockenhaar und der gemusterten Weste bildet die Figur einen krassen Gegensatz zum glatzköpfigen, Schwarz tragenden Cueni, der gleich daneben am Esstisch sitzt und ein kleines Mikrofon installiert.

Das Mikrofon ist nötig, weil Cueni schlecht hört. Die Krankheiten haben seinen Körper malträtiert. Das sieht man ihm auf den ersten Blick nicht unbedingt an. Zumindest heute nicht. Für einen Todkranken bewegt er sich auffällig mühelos, seine Stimme klingt kräftig. Auf die Frage, wie es ihm gehe, sagt er: «Gut, aber auf tiefem Niveau.»

2009 erkrankte Cueni an Leukämie, kurz nachdem seine damalige Frau gestorben war. Es folgten Chemotherapien, Bestrahlungen und eine Knochenmarktransplantation. Seither gehören Schmerzen zu Cuenis Alltag. Um zu verhindern, dass seine Lunge abgestossen wird, wird das Immunsystem künstlich niedergehalten. Seit 2010 hat Cueni über 50 000 Tabletten geschluckt. Den Winter verbringt er jeweils in Quarantäne, nicht erst seit der Corona-Pandemie.

Dina, Claude Cuenis zweite Frau, bringt Wasser und Kaffee an den Tisch. Seit 13 Jahren sind sie verheiratet. Kennengelernt haben sie sich in der U-Bahn von Hongkong. Während des Gesprächs betont Cueni mehrmals, dass er kein Pflegefall sei. «Aber ohne Dina hätte ich schon längt aufgegeben.»

Tippen mit dem Gummistift

1980 schrieb Cueni sein erstes Buch. Er veröffentlichte historische Romane, Kriminalromane, Hörspiele und Theaterstücke, schrieb über 50 Drehbücher, unter anderem für Fernsehserien wie «Alarm für Cobra 11», «Peter Strohm» und den «Tatort». Ausserdem entwickelte er Computerspiele und gründete eine Firma, die 1991 das erste interaktive TV-Telefonie-Format in Europa entwickelte. Cuenis Roman «Das grosse Spiel» über den Papiergeld-Erfinder John Law landete 2006 auf Platz eins der Schweizer Bestsellerliste. Das Buch wurde in 12 Sprachen übersetzt, die deutsche Version verkaufte sich 35 000 Mal.

Mit seinen 67 Jahren könnte Cueni längst im Ruhestand sein. Aber er schreibt immer noch so viel, wie es sein Körper zulässt. Häufig wird er um zwei Uhr morgens von Muskelkrämpfen geweckt. Sind sie erst einmal abgeklungen, liest er zwei bis drei Stunden die internationale Presse, bevor er schreibt. Weil seine Finger schmerzen, tippt er mit einem Gummistift auf die Computertasten. Eine mühselige Angelegenheit.

Eigentlich habe er dieses Jahr seinen Roman «Bonnie & Clyde & der Achtzylinder» beenden wollen, sagt Cueni, eine Entmythologisierung des amerikanischen Verbrecherduos. Doch die Polyneuropathie, eine Spätfolge der erfolgreichen Leukämie-Behandlung, hat mittlerweile die Nerven in seinen Fingern geschädigt. «Wenn das Tippen auf der Tastatur so schmerzhaft ist wie eine Zahnwurzelbehandlung, beenden Sie keinen 450-seitigen Roman mehr.» Deshalb schreibt Cueni nur noch kurze Texte, eine alle zwei Wochen in der Schweizer Boulevardzeitung «Blick» erscheinende Kolumne beispielsweise.

Das Schreiben, erklärt Cueni, gebe ihm eine Struktur. Früher sei er oft nach Abschluss eines grossen Projekts an einem Infekt erkrankt. «Das wollte ich vermeiden und flüchtete in meine fiktiven Welten.» Kaum hatte er einen Roman beendet, schrieb er bereits den nächsten – fast jedes Jahr ein neues Buch.

Vom Leben geplagt

Schon bevor er erkrankte, hatte Cueni ein schwieriges Leben. Als Kind litt er unter der Repression seiner streng katholischen Eltern. Cueni spricht von einem «gewalttätigen, religiösen Irrenhaus». Später brach er die Schule ab, um Schriftsteller zu werden, und schlug sich zeitweise mit Gelegenheitsjobs durch. Cuenis Sohn erlitt nach der Geburt eine spastische Lähmung. Seine erste Frau und Jugendliebe starb 2008 an Krebs.

Schreibt man besser, wenn die eigene Biografie derart viele Schicksalsschläge aufweist? Er wisse es nicht, sagt Cueni, «aber sicher authentischer. Das ist etwas, das die Leserinnen und Leser schätzen.» Fast alle seine Romane sind Mutmacher. In gewissem Sinne habe er sich seine Vorbilder selbst erschaffen: «Ich wurde mein eigener Motivator, Unterhalter und Hofnarr.»

Humor sei für ihn enorm wichtig. Er und seine jetzige Frau Dina könnten sogar über seine schmerzhaften Krampfanfälle lachen. Mit Humor, egal, wie schwarz er sei, meistere man grenzwertige Situationen besser, ist Cueni überzeugt: «Er entspannt und verhindert, dass man in Selbstmitleid zerfliesst.»

Keine Zeit für Networking

Im Schweizer Literaturbetrieb war Cueni stets ein Aussenseiter . Wenn bekannte Schweizer Autoren aufgezählt werden, fällt sein Name kaum je. Cueni gewann weder einen Literaturpreis, noch wurde er jemals an die Solothurner Literaturtage eingeladen. Dafür gibt es wohl mehrere Gründe. So haben sich zwar einige von Cuenis Romanen gut verkauft, wurden aber in den letzten Jahren kaum noch in den Feuilletons besprochen.

Zudem ist Cueni ein Mann, der in der Öffentlichkeit gerne den Konflikt sucht. In seinen «Blick»-Kolumnen regt er sich über «Klimaheuchler» auf, über die Rot-Grünen, die nicht wahrhaben wollten, «dass man nicht jede Kultur integrieren kann». Und er echauffiert sich über politische Korrektheit: «Viele Kollegen teilen zwar meine Ansichten, aber in der Öffentlichkeit tun sie so, als hätten sie immer noch ihr Che-Guevara-Poster auf dem Klo. Die neue Political Correctness hat uns zu einer Gesellschaft von Heuchlern, Duckmäusern und Feiglingen gemacht.» Er werde nie verstehen, wieso Schriftsteller ihren Rohstoff, die Sprache, verhunzten. Mit solchen Aussagen macht man sich im Literaturbetrieb keine Freunde.

Cueni sieht den Hauptgrund für sein Aussenseiterdasein noch mal woanders: «Ich hatte keine Zeit für Networking.» Wer die richtigen Leute kenne, erhöhe seine Chancen, als ernsthafter Autor wahrgenommen zu werden, massiv. Er habe jahrelang «wie am Fliessband» schreiben und Bücher verkaufen müssen, um die Therapie für seinen handicapierten Sohn zu bezahlen. Abends ging er dann lieber ins Bett als an einen Apéro.

Auf die Philippinen reisen

Mit «Hotel California» hat Claude Cueni sein Abschiedswerk eigentlich schon geschrieben. Der 2021 erschienene Roman war als Lebensratgeber für seine damals noch ungeborene Enkelin gedacht. Mittlerweile ist sie vier Jahre alt, und ihr Grossvater lebt immer noch. Ein Arzt habe ihm kürzlich gesagt, sein Krankheitsverlauf sei ungewöhnlich. Eigentlich müsste er längst tot sein, sagt Cueni: «Ich bin mittlerweile der Autor, der niemals stirbt.» Doch das sei nicht sein Verdienst. Er werde hervorragend betreut: von den Hämatologen des Basler Zellersatzambulatoriums, von seiner Frau und von seinem Sohn.

Schmerzfreie Nächte blieben allerdings eine Illusion. Sonst hätten sich all seine Wünsche längst erfüllt: «Als junger Autor wünschte ich mir beruflichen Erfolg. Später hoffte ich, dass mein Sohn trotz Handicap ein gutes Leben hat und dass ich nach dem Krebstod meiner ersten Frau nochmals die ganze grosse Liebe erfahre.»

Dann äussert Claude Cueni doch noch einen Wunsch: Er möchte die Familie seiner Frau auf den Philippinen besuchen. Zwar würden sie jeden Tag telefonieren, aber physisch hätten sie sich noch nie getroffen. Im Moment lässt sein körperlicher Zustand das nicht zu. Damit er in ein Flugzeug steigen und den geringeren Luftdruck aushalten kann, muss seine Lungenleistung weiter zunehmen. Dafür trainiert er.

Cueni plante, in der Woche nach dem Gespräch auf den 2100 Meter über Meer gelegenen Gotthardpass zu fahren. Er wollte testen, wie sein Körper bei geringerem Luftdruck reagiert. Für den Notfall sollte ein Sauerstoffgerät ins Gepäck.

Dann kam ein Infekt dazwischen. Vorerst kann Claude Cueni nicht mehr reisen.

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