Rezension: Dirty Talking im Schweizer Monat

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schweizermonat.ch

– 01. Dezember 2022 06:03

Kultur

Kultur, Rezension Ausgabe 1102 – Dezember 2022 / Januar 2023

Dreck am Stecken

Claude Cueni: Dirty Talking. St. Gallenkappel: Edition Königstuhl, 2022.

Peter Kuster

Er ist witzig und schlagfertig. Er sorgt sich um die Nächsten, nicht nur um seinen alten jüdischen Nachbarn, sondern auch um seine wenig präsentablen Althippie-Eltern. Und er wurstelt sich recht anständig durch sein unspektakuläres Leben im Basler Mikrokosmos. Doch der mittelalte Stand-up-Comedian und Single Bobby Wilson muss, nicht ganz ohne eigenes Zutun, zunächst tief fallen. Erst als er sein Schicksal annimmt, kann er geläutert ein fast schon romantisches Happy End finden.

«Dirty Talking», der Titel von Claude Cuenis jüngstem Werk, ist aber alles andere als ein klassischer Bildungsroman. Vielmehr wird das Programm bereits im ersten Kapitel (das auch eine Triggerwarnung enthält) explizit definiert. Der Autor versteht unter Dirty Talking primär das Löcken gegen den Zeitgeist der Political Correctness, aber auch deftiges Fluchen und schlüpfrige Sprüche. Er geizt weder mit dem einen noch dem anderen und nimmt keinerlei Rücksichten. Das macht die Story flott und die Lektüre leicht, auch wenn manchmal etwas dick aufgetragen wird. So thront die wohl unsympathischste Figur des Romans als Bischof in Mariastein und ist ein übler Pädophiler. Aber was wäre Dirty Talking ohne Klischees? Und wie liesse sich einigermassen eine gedankliche Ordnung in die chaotische Welt bringen, wenn nicht mit der Hilfe von Klischees?

Das Buch ist auch ein Thriller, und dazu gehört eine rechte Portion Dreck und Gewalt. Es gibt Dreckskerle als Täter, und es gibt nicht ganz makellose Opfer, das prominenteste natürlich der Protagonist Wilson. Doch Leichen gibt es nur eine, und der Tod ist nicht mal Folge einer Ausseneinwirkung. Vielmehr handelt es sich um den hochbetagten Nachbarn, der im gelobten Land friedlich in Wilsons Armen entschläft. (Schweige-)Geld und (Kunst-)Geist sowie (Schuld-)Gefühle sind weitere Zutaten, die Cueni einsetzt, und das alles passt gut in eine Lebenswelt, die von einer langsam verblassenden christlich-jüdischen Kultur geprägt ist.

Apropos christlich: Wer ein anregendes Geschenk sucht, kann Cuenis Werk durchaus unter den Weihnachtsbaum legen – sofern der oder die Beschenkte Sinn für etwas deftigen Humor hat und nicht allzu katholisch ist.

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