Weltwoche: Tagebuch

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© Die Weltwoche – 12. August 2021


Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. Zuletzt erschienen bei Nagel & Kimche «Genesis – Pandemie aus dem Eis» (2020) und «Hotel California» (2021).

Im Mai erhielt ich meine zweite Pfizer/Biontech-Impfung. Jeder hat sein eigenes Risikoprofil und wägt ab. Da ich seit einer leukämiebedingten Knochenmarktransplantation immunsupprimiert bin und sechs der neun gelisteten Vorerkrankungen habe, hielt ich in meinem Fall das Risiko einer Impfung für das kleinere Übel. Hatte ich Nebenwirkungen? Vor dreissig Jahren hätte ich gesagt: O ja, es war schrecklich. Heute sage ich: Nicht der Rede wert. Die chronische Fatigue von Krebskranken nach einer Transplantation ist Long Covid hoch zehn. In einer Studie klagten 40 Prozent der Placebogruppe über Nebenwirkungen . . . «Generation beleidigt» ist auch «Generation wehleidig». Man fragt sich manchmal, wie unsere Vorfahren den Zweiten Weltkrieg durchgestanden haben.

In meinem Bekanntenkreis werden viele gegensätzliche Standpunkte vertreten. Ich habe damit kein Problem. Die einen misstrauen einem Impfstoff, der im «beschleunigten Verfahren» zugelassen wurde, andere vertrauen dem Wohlwollen der Götter, Geschichtslose wähnen sich in einer Nazi-Diktatur und wieder andere lehnen die Eingriffe in unsere Grundrechte ab. Der Ton wird gehässiger. Ich halte es für eine zeitgeistbedingte Unreife, dass manche glauben, sie könnten nur mit Leuten befreundet sein, die zu 100 Prozent ihre Meinung teilen. Niemand ist das Mass aller Dinge. Selbst auf einem Dating-Portal wird man kaum jemanden mit hundert Matching-Punkten finden.

Es gibt jedoch eine Gemeinsamkeit: den enormen Vertrauensverlust in Politik, Medien und Wissenschaft. Alain Berset und seine Task-Force haben zu oft die Unwahrheit gesagt. Wissenschaftler widersprechen sich im Stundentakt. Einige deutsche Kliniken melden falsche Zahlen, weil sie für jedes belegte Intensivbett staatliche Zuschüsse erhalten. Medien richten sich nach der Dramaturgie erfolgreicher TV-Serien: Eine Staffel folgt der nächsten, eine Angstkampagne löst die nächste ab, Horrorvisionen im Konjunktiv, das nächste Virus könnte das Schlimmste sein.

Es ist auch für mich mittlerweile irrelevant, was Alain Berset und seine Task-Force verkünden. Ich halte mich an meine Vertrauensärzte. In meinem Bekanntenkreis arbeiten viele im Gesundheitswesen. Mit einer Ausnahme sind alle geimpft. Zwei Monate nach der zweiten Impfung hatte ich die maximale Anzahl Antikörper. Wie lange noch? Sechs Monate, zwölf Monate, lebenslänglich? Die Angaben wechseln wie die wöchentlichen Lottozahlen. Mittlerweile sind alle Risikogruppen und jene, die sich impfen lassen wollten, geimpft. Was nun?

Ich bin mir durchaus bewusst, dass die Pandemie dreist missbraucht wird, um, wie es Wolfgang Schäuble in einem Interview formulierte, Dinge durchzusetzen, die ohne Pandemie nicht möglich gewesen wären (Hannoversche Allgemeine, 21. 8. 2020). Die Pandemie kann langfristig einen Vorwand liefern, um den von Klaus Schwab geforderten «Great Reset» durchzusetzen, eine grüne Variante des chinesischen Social-Credit-Systems ohne Bargeld. Ist das denkbar? Obwohl ich gegen die Abschaffung des Bargeldes bin (weil sie den gläsernen Bürger schafft), bezahle ich aus hygienischen Gründen nur noch mit der Karte . . .

Fazit: Slow down. Jeder hat sein eigenes Risikoprofil. Abhängig von Alter und Gesundheitszustand. Wer eine andere Meinung hat, ist kein Feind. Die Pandemie wird vorbeigehen. Kein Grund für Gehässigkeiten gegenüber Andersdenkenden. In einem demokratischen Rechtsstaat kann man an der Urne jene abstrafen, die sich an der plötzlichen Machtfülle berauscht haben.

Dienstag, 3. August:

Jetzt, wo ich geimpft bin und nach beinahe zwei Jahren freiwilliger Quarantäne wieder mit Dina im Freien spazieren kann, kaufen wir uns bei Orell Füssli einen Schweizer Hotelführer. Inmitten von Büchern stapeln sich die wunderbaren amerikanischen Peanut Butter Cups von Reese. Steht es so schlecht um den Buchhandel, dass man diversifizieren muss? Demnächst Zahnbürsten und Kartoffelschäler?

Montag, 9. August:

Auch Greta Thunberg, 18, muss diversifizieren. Ihr Eventmanager Svante Thunberg weiss Rat. Greta posiert als Cover-Girl der skandinavischen Vogue -Ausgabe. Der «alte, weisse Mann» Alexandrov Klum hat sie als esoterische Hohepriesterin im Märchenwald in Szene gesetzt. Das Porträt verfasste Tom Pattinson, ein Mann von «toxischer Männlichkeit». Greta trägt laut eigenen Angaben dem Klima zuliebe nur Secondhand-Klamotten, die irgendwelche «Klimasäue» einst neu gekauft haben. War auch die Hochsee-Rennjacht «Malizia II» vom Trödlermarkt? Pattinson zitiert Greta: «In der einen Sekunde werde ich von meinen Eltern kontrolliert, ich kann nicht selbständig denken; in der nächsten Sekunde bin ich ein böses, manipulatives kleines Kind.»


 

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