Interview mit Matthyas Zehnder

 

Claude Cueni: «Ich halte halbe Wahrheiten für die schlimmsten Fakes»

 

PUBLIZIERT AM 26. AUGUST 2020 VON MATTHIAS ZEHNDER / © 2020 matthyaszehnder.ch

 

 

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

 

Mein iPad. Seit zehn Jahren lese ich Zeitungen nur noch auf dem iPad. Ich beginne zwischen zwei und drei Uhr morgens mit der «South China Morning Post» und «Rappler», dem philippinischen News-Portal. Dann überfliege ich die Headlines der US-Medien und lese später europäische Zeitungen. Wenn ich gerade an einem Roman bin, kopiere ich die interessanten Artikel in ein Worddokument und lese die News vor dem Mittagessen.

 

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

 

Twitter und Google+ habe ich schon vor Jahren verlassen. Bei Facebook bin ich vorläufig noch dabei. Ich benützte es mittlerweile vor allem als Werbemedium für neue Bücher und um in Kontakt zu bleiben mit Freunden und Kollegen, die über den ganzen Erdball verstreut sind.

 

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

 

Überhaupt nicht.

 

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

 

Weder noch. Ich trauere keinen vergangenen Zeiten nach. Wenn ich den Kulturteil betrachte, stelle ich fest, dass es immer weniger Buchrezensionen gibt, da die Onlinemedien mittlerweile Klickzahlen sehr genau messen können. Und die Leserschaft orientiert sich eher an den Meinungen von Leuten, die gerne lesen. Wenn heute eine Buchrezension in der «Sonntagszeitung» erscheint, wird sie auch in der «Basler Zeitung», im «Bernerobeländer», in der «Berner Zeitung», im «Bund», im «Landboten», im «Langenthaler Tagblatt», im «Tages-Anzeiger», im «Thuner Tagblatt» und in -zig anderen Onlinemedien publiziert. Die Meinungsdominanz der Medienhäuser und der einzelnen Redakteure hat zugenommen. Man muss deswegen nicht jammern, sondern nach neuen Wegen suchen.

 

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

 

Auch digitale Inhalte müssen geschrieben werden und es wird immer Menschen geben, die sich gerne mit einem dicken Buch zurückziehen, um in eine andere Welt abzutauchen. Aber es werden weniger sein. Es gibt immer mehr Leute, die gar keine Bücher lesen, das Unterhaltungsangebot ist einfach enorm und die Zapping-Kultur hat mittlerweile alle Bereiche erfasst. Siebenhundertseitige historische Wälzer sind Liebhaberobjekte. Mit Ausnahme von Krimis (insbesondere Regional-Krimis) und Sachbüchern nehmen die Buchumsätze kontinuierlich ab. Die Belletristik-Verlage verdienen nur noch die Hälfe, die Autoren verdienen nur noch die Hälfte, aber auch hier besteht kein Anlass zum Jammern, sondern Anlass, seine Kreativität im Buchmarkt unter Beweis zu stellen.

 

Was muss man unbedingt gelesen haben?

 

Nichts. Ich unterhalte mich gerne mit meinem Sohn und ein paar Freunden über Bücher, die wir gelesen haben, jeder teilt seinen Eindruck mit, aber keiner käme auf die Idee zu sagen, «das musst du unbedingt lesen». Ich lese gerne Bücher zur Universalgeschichte oder Spezialthemen, aber auch das sind keine Bücher, die andere unbedingt gelesen haben sollten. Ich bin nicht das Mass aller Dinge.

 

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

 

Ich entscheide mich nach ca. 20 Seiten, manchmal schon früher. Wieso soll ich ein Buch zu Ende lesen, wenn ich die Figuren plakativ oder die Dialoge hölzern finde? Das wird auf den nächsten 300 Seiten nicht besser.

 

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

 

Mein Sohn, ein paar enge Freunde, Online-Medien und soziale Netzwerke wecken mein Interesse für Unbekanntes.

 

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

 

Printmedien sind ein Auslaufmodell. Die älteren Abonnenten sterben aus und die jüngere Leserschaft wächst mit Handy und iPad auf. Meine Frau ist 39, sie hat noch nie eine Printzeitung gelesen und ist trotzdem sehr gut informiert. Ich hatte vor etwa zwölf Jahren die letzte Printzeitung in der Hand. Online ist stets aktueller und bietet der Leserschaft verlinkte Zusatzseiten und Videos. Auch für den Verleger gibt es Vorteile: Er spart Papier-, Druck- und Distributionskosten, das Inkasso ist sehr simpel. Das Mahnwesen fällt weg, weil der Kunde im voraus sein Abo bezahlen muss.

Wahrscheinlich werden einige Special-Interest- und Hochglanzmagazine überleben. Aber der Trend geht Richtung Online-Kiosk: ein einziges Abo erlaubt den Zugriff auf mehrere Dutzend Presseerzeugnisse. Musik- und Filmindustrie weisen den Weg.

 

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

 

Wenn man täglich ein breites Spektrum an Medien liest, sind Fakenews einfach zu entdecken. Ich halte halbe Wahrheiten für die schlimmeren Fakes. Man lässt einfach weg, was der eigenen Weltanschauung widerspricht, aber die Leserschaft kann nie wissen, was weggelassen wurde.

 

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

 

Seit 20 Jahren kein Thema mehr. Mit Youtube, Netflix und anderen Streamingdiensten bin ich ausreichend bedient.

 

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

 

Nein.

 

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

 

Seit dem Herbst 2015 ist das Vertrauen in Medien, Politik und Wissenschaft kontinuierlich gesunken. Bei jedem Thema gibt es fast so viele Meinungen wie Experten. Corona bestätigt dies erneut. Dass insbesondere die 16- bis 29-Jährigen das Interesse an News verlieren, hat sicher auch mit der narzisstischen Selfie-Gesellschaft zu tun. Nichts ist interessanter als das eigene Ich. Sobald der Wohlstand abnimmt und der eigene Lebensstandard gefährdet ist, wird sich das wieder ändern.

 

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

 

Teilweise ja. Aber ein News-Roboter greift natürlich stets auf einen Basis-Text zurück, den ein Mensch geschrieben hat. In den 1980er-Jahren gab es eine Software, die selbständig Gedichte schreiben konnte, aber auch hier musste man ein paar Keywords eingeben. Aber absurde Gedichte schreiben ist für einen Roboter einfacher als einen faktenbasierten Bericht über den Nahen Osten zu verfassen.

 

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

 

Sicher nicht zum Tod. Die Musik- und Filmindustrie haben die Digitalisierung überlebt, auch die Medien werden sie überleben. Und die Kundschaft wird ihre Gewohnheiten anpassen. Für ehrgeizige Journalisten ist es die Chance, ein eigenes Onlinemedium zu lancieren. Im Raum Basel hat zum Beispiel Peter Knechtli vor über 20 Jahren mit «onlinereports» ein national beachtetes Medium erschaffen, das sich durch viele Primeurs auszeichnet. Mit «Prime News» und «Bajour» sind zwei weitere Online-Player an den Start gegangen. In Deutschland werden Journalisten, die sich von grossen Verlagshäusern «befreien» und ihre eigenen Online-Medien gründen, immer zahlreicher.

 

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

 

Bestimmt, aber zurzeit ist eher Meinungsjournalismus populär und fast alle Leitmedien sind zur ironiefreien Zone verkommen. Aber das ist Zeitgeist und flüchtig. Die Leute werden wieder den Wunsch nach ungeschönten Fakten haben: Lesen was ist und nicht das, was ein Journalist gerne verbreiten möchte. Professionellen Journalismus wird es immer geben, aber in einer fragmentierteren Gesellschaft werden die Zielgruppen dünner. Entscheidend wird sein, ob die Leserschaft bereit ist, dafür mehr zu bezahlen.

 

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

 

Nur Randnotizen und Einkaufszettel. Ich schreibe am PC und korrigiere meine Texte laufend. Von Hand schreiben oder diktieren ist bei meinem impulsiven Arbeitsstil gar nicht möglich.

 

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

 

Er liefert täglich ein paar Schlagzeilen. Somit ist er gut für die Medien, egal ob sie ihn mögen oder nicht. Alles was Klickzahlen generiert, ist gut für die Medien. Egal ob DonaldTrump,  Irina Beller oder welcher Penis zu welchem Sternzeichen passt.

 

Wem glaubst Du?

 

Auch ich habe mein Vertrauen in Medien, Politik und Wissenschaft weitgehend verloren. Ich vertraue meinem gesunden Menschenverstand, wobei das wohl jeder von sich behauptet. Bedingungsloses Vertrauen habe ich in meine Frau und meinen Sohn.

 

Dein letztes Wort?

 

Dafür ist es wohl noch zu früh. Aber wenn du darauf bestehst: Es gibt keinen Gott, tut Gutes und geniesst euer Leben.

#chronos (1976)

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«Warum willst du den Job?»

«Ich kann nachts nicht schlafen», antwortete der «Taxi Driver» Travis Bickle (Robert De Niro) im gleichnamigen Film von Martin Scorsese. Der preisgekrönte und kontrovers diskutierte Film zeigte die psychische Deformation von «Gottes einsamstem Mann», das Abgleiten von Frustration in einen zerstörerischen Wahn: «Hört zu, ihr Wichser, ihr Scheissköpfe. Hier ist ein Mann, der sich nicht mehr alles gefallen lässt.»

Aufsehen erregte 1976 auch eine Studie der US-Regierung, wonach weltweit pro Kopf 12 330 Dollar für Rüstungsgüter und nur gerade mal 129 Dollar für Schulbildung ­ausgegeben ­werden.

Erkenntnisse anderer Art erlangte ein ­Unterausschuss des US-Senats in der Lockheed- Affäre: Angehörige der Geschäftsführer des ­Flugzeugbauers hatten insgesamt 22 Millionen Bestechungsgelder bezahlt, um den Verkauf von Militärflugzeugen «argumentativ» zu unterstützten. Die Millionenbeträge waren an «Volks­vertreter» nach Deutschland, Italien und Japan ­geflossen und hatten Rücktritte und Verur­teilungen zur Folge. In den Niederlanden wurde Prinz Bernhard gezwungen, alle öffentlichen ­Ämter abzugeben. Der Partylöwe bestritt stets, 1,1 Millionen Dollar Schmiergelder erhalten zu haben. Nach seinem Tod wurde es öffentlich: Er hatte doch.

«Das Dogma ist weniger wert als ein Kuhfladen», hatte der chinesische Diktator ­philosophiert, der 1976 von geschätzten 1,5 Millionen Menschen zu Grabe getragen wurde. Wie gross die Wunden sind, die der kommunistische Staatsgründer und Massenmörder Mao Zedong mehreren Generationen zugefügt hat, zeigte ein Ereignis im Jahre 2016: In der Provinz Hanan wurde eine gigantische Mao-Statue von 37 Metern Höhe errichtet. Bereits nach wenigen Tagen war sie zerstört. Von Vandalen sagten die einen, wegen einer fehlenden Baubewilligung sagte die Regierung.

1976 ereignete sich in den Produktionshallen der italienischen «Todesfabrik» (La Republica) Icmesa eine Explosion. Erst nach neun Tagen ­meldete die Eigentümerin Hoffmann-La Roche/Givaudan die Zusammensetzung der Giftwolke: Dioxin. Inzwischen waren in Seveso die Blätter der Bäume vergilbt und Haustiere gestorben. Über 600 Menschen wurden evakuiert, die Zahl der Missgeburten vervierfachte sich darauf. Die ­Ursachen des bisher grössten Giftgasunglücks der ­Nachkriegszeit waren mangelhafte Technik und unqualifizierte Hilfskräfte. Roche weigerte sich, Entschädigungen in Höhe von 300 Millionen zu bezahlen. Die ersten Todesopfer kommentierte der damalige Roche-Chef Adolf Jann so: «Die Frau, die leider gestorben ist, litt unter Asthma.» Erst nach einem Jahr zahlte Roche 30 Millionen in einen «Soforthilfefonds»: «Wir haben nicht die Absicht, die Schulden der ganzen Lombardei zu bezahlen.»

Ein ganz anderes Gift besang die Rockband Eagles auf ihrem fünften Album. War der Song «Hotel California» eine Metapher für die Drogensucht, ein Hotel, das scheinbar jeden Wunsch erfüllt und aus dem es kein Entrinnen mehr gibt?

«You can checkout any time you like, but you can never leave!» Songwriter Don Felder schrieb später in seiner Autobiografie, «Hotel ­California» sei immer das, was die Menschen darin sehen möchten.

1976 gründeten Steve Jobs, Steve Wozniak und Ronald Wayne mit einem Startkapital von 1300 Dollar die Garagenfirma Apple. Wayne stieg am nächsten Tag gleich wieder aus. Wer zu früh geht, den bestraft das Leben auch. Aber wieso «Apple»? Wozniak schrieb in seiner Auto­biografie, dass Jobs gerade eine Apfeldiät machte und der Name dann vor dem Konkurrenten Atari im Telefonbuch stehen würde.

»Schweiz entköppeln«

IMG_0967Das Theater Neumarkt rief zur nationalen „Ent-Köppelung“ auf, um mit Flüchen den bösen Geist des Julius Streicher aus der Seele von Weltwoche Chef Roger Köppel zu vertreiben. Wer ist Julius Streicher?

Julius Streicher (1885 – 1946) war ein furchtbarer Nazi, der selbst Mitgliedern der NSDAP zu rechtsextrem war. Das NSDAP-Mitglied war Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“ und leitete ab 1933 das „Zentralkomitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze“, 1935 publizierte Streicher das Plakat „Todesstrafe für Rassenschande“. Nach Kriegsende wurde er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tod verurteilt und hingerichtet. Wer zwischen Streicher und Köppel keinen Unterschied sehen will, trivialisiert die grauenhaften Verbrechen der Nazis.

Einer, der sich wie Roger Köppel gerne exponiert und provoziert, bietet seinen Gegnern genügend Angriffsflächen für substanstielle Kritik. Es gehört jedoch zum Repertoire populistischer Kulturschaffender, jeden rechtskonservativen Journalisten mit Nazischurken gleichzusetzen. Ein „rechter Journalist“ ist stets einer, der rechts vom eigenen Standort steht. Wer sich einredet, er verfüge über die moralische Lufthoheit, braucht keine Argumente, er kann sich mit launischen Stammtischparolen begnügen und erntet im eigenen Umfeld stets Applaus.

Mit dem Wortspiel „ent-köppeln“ ist wahrscheinlich „ent-köpfeln“, bzw „ent-haupten“ gemeint. Die Besucher der Homepage werden eingeladen, ihr geliebtes Hassobjekt zu verfluchen. Zur Auswahl standen unter anderem folgende Flüche: Querschnittlähmung, Ebola, Verkehrsunfall. Die Initianten versprachen, den Wünschen der Abstimmungsteilnehmer nachzukommen… Ist das nun Satire, geschmacklose Satire oder bereits ein Fall für die Gerichte? Man stelle sich den Aufschrei bei vertauschten Rollen vor. Welchen historischen Vergleich würden die Initianten ziehen, wenn plötzlich Rechtsextreme zum Marsch auf das Theater Neumarkt in Zürich blasen würden?

Köppel-Bashing ist sehr beliebt, weil es absolut ungefährlich ist und die Initianten zu ernsthaften Kandidaten für kulturelle Auszeichnungen macht. Gefährlicher wäre eine Satire gegen Islamisten, die in Schweizer Innenstädten Hetzschriften (»Buch der einfachen Rechtswissenschaft“) verteilen, die zur Ermordung von Juden, Schwulen und Ungläubigen aufrufen. Aber was die Initianten antreibt ist eben nicht die Sorge um unseren demokratischen Rechtsstaat, sondern das Bemühen um Publicity ohne Leistung.

Es braucht gerade für Kulturschaffende wesentlich mehr Mut, diese Aktionen zu kritisieren, als mit einer selbstverliebten Herde zu blöcken, die jeden Kritiker in den eigenen Reihen als 1/16 Nazi diffamiert und exkommuniziert.

Wir alle lesen Artikel, die uns nerven, vielleicht nervt auch dieser Text, aber man muss ihn nicht zu Ende lesen und wenn man es dennoch tut, muss man ihn aushalten und dabei nicht vergessen, dass Andersdenkende, die sich innerhalb des demokratischen Spektrums artikulieren, keine Feinde sind, sondern einfach Leute, die, aus welchen Gründen auch immer, andere Ansichten vertreten.

Nachtrag: Uebrigens: 500.000 Likes (oder Flüche) gibts für einige hundert Dollar. Sollte für ein subventioniertes Theater kein Problem sein.

© 2016 Blick

#chronos (1948)

Bildschirmfoto 2016-03-11 um 04.15.32«Falls andere das können, kannst du es auch.» Bill Rosenberg (1916–2002), Sohn jüdischer Einwanderer, hatte nach dem Krieg Fabrikarbeiter in Boston mit Snacks und Kaffee beliefert. Als er 1948 bereits zweihundert Catering-Fahrzeuge im Einsatz hatte, eröffnete er die Imbissbude «Open Kettle» (Offene Kanne). Er servierte Donuts mit bunten Fett-Zucker-Glasuren, aber nicht in den üblichen fünf Variationen, sondern in 52 ­verschiedenen Ausführungen. Zwei Jahre später nannte er seinen Betrieb «Dunkin’ Donuts». Heute arbeiten 120 000 Mitarbeiter in 55 Ländern für das Franchise-Unternehmen und Homer Simpson schwärmt immer wieder: «Mmmm, donuts.»

Ein bekennender Donuts-Liebhaber, der sich sogar mit Donuts ablichten liess, war auch US-Präsident Harry S. Truman, der 1948 in seinem Amt ­bestätigt wurde. Er hatte zuvor die Rassen­trennung in den Streitkräften aufgehoben und den Marshallplan unterschrieben, der 5,3 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau Europas ­freimachte. Mit den Geldern sollten aber auch neue Absatzmärkte geschaffen und die kommunistische Expansion eingedämmt werden.

Eine halbe Milliarde ging an Deutschland, das im Zuge der Währungsreform die Reichsmark durch die D-Mark ersetzte. Eine Folge davon war die Strafblockade Westberlins durch die ­Sowjetunion. Die Alliierten errichteten eine ­Luftbrücke und versorgten die Berliner aus der Luft. Nebst Nahrungsmitteln brachten die «Rosinenbomber» auch die erste Nummer des Wochenmagazins Stern und die erste Nummer der Masturbationsvorlage Quick unter die Leute. Die Sekretärin des Chefredaktors war Traudl Junge. Kurz vor ihrem Tod diktierte sie ihre ­Memoiren. Der Titel war: «Bis zur letzten Stunde. Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben».

Die neuen Grenz­ziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg schafften die Grundlage für zahlreiche neue Kriege. Der UN-Teilungsplan konnte die jüdisch-arabischen Spannungen erwartungs­gemäss nicht entschärfen. Kurz vor Beendigung des britischen Mandats verlas Ben-Gurion am 14. Mai 1948 die israelische Unabhängigkeits­erklärung. Bereits am nächsten Tag griff eine ­arabische Allianz, bestehend aus Ägypten, Syrien, Libanon, ­Jordanien und dem Irak, den neuen Staat an. Sie ­wiesen den UN-Teilungsplan zurück, ­bestritten das Existenzrecht Israels und wollten die neuen Nachbarn vernichten.

Nicht minder kriegerisch ging es in ­Griechenland zu. Hier tobte ein Bürgerkrieg ­zwischen Regierungstruppen und kommunistischen Rebellen, die von der Sowjetunion ­unterstützt wurden. Auch Asien kam nicht zur Ruhe. In China marschiert Maos Volksbefreiungsarmee in die Mandschurei ein; Korea wurde in zwei Staaten aufgespalten: Im Norden terrorisierte fortan die totalitäre «demokratische» ­Volksrepublik ihre Bürger, im Süden wurde die Republik Korea (Südkorea) ausgerufen. Auch die Aufteilung von Britisch-Indien in ein muslimisch dominiertes Pakistan und ein hinduistisch ­geprägtes Indien führte zu kriegerischen ­Auseinandersetzungen um den ehemaligen ­Fürstenstaat Kaschmir. Dabei kam der ­berühmteste Pazifist seiner Zeit ums Leben: der 78-jährige Anwalt, Asket, Revolutionär und «religiöse Atheist» Mahatma Gandhi fiel einem ­Attentat zum Opfer.

1948 brachte der deutsch-französische ­Regisseur Max Ophüls (1902–1990) den Film «Brief einer Unbekannten» in die US-Kinos. Der Film basierte auf der Novelle eines anderen ­Pazifisten: Stefan Zweig (1881–1942). Er war an der «Zerstörung seiner geistigen Heimat Europa» verzweifelt und hatte sich mit einer Überdosis Veronal sechs Jahre zuvor in Brasilien das Leben genommen.

#chronos (1948) Folge 35

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Die ersten 50 chronos Folgen erscheinen Ende Jahr in Buchform

#chronos (1979)

chronos1979«Und sie bewegt sich doch!» 1979 setzte Papst Johannes Paul II. eine Kommission ein, um nach dreieinhalb Jahrhunderten die Rehabilitierung von Galileo Galilei (1564–1642) zu prüfen. Nach Jahren intensiver Forschung kamen die ­vatikanischen Ermittlungsbehörden zum Schluss, dass dem toskanischen Gelehrten Unrecht ­geschehen war und dass die Erde doch ziemlich rund ist. Einige Islamgelehrte wie Bandar ­al-Khaibari predigen heute noch, dass die Erde stillsteht. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen stets gegen die Religion erkämpft werden.

«1979» hatte auch für die islamische Welt eine grosse Bedeutung. Es entspricht dem Jahr 1400 des islamischen Kalenders. Gemäss Überlieferung beginnt dann die «Endzeit». Schah Mohammad Reza Pahlavi, der Schah von Persien, setzte sich in Begleitung von Kaiserin Farah Diba ins Ausland ab und überliess den Pfauenthron dem 77-jährigen Religionsführer Ayatollah ­Khomeini. Dieser hob die seit fünfzig Jahren ­geltende Säkularisierung wieder auf, führte die Scharia ein und entzog den Frauen alle Rechte, die sie einst im Zuge der «Weissen Revolution» erhalten hatten.

Auch in Nicaragua wurde ein Alleinherrscher gestürzt. Sandinistische Revolutionstruppen ­marschierten in der Hauptstadt Managua ein und beendeten die 35-jährige Diktatur des Somoza- Clans. Der letzte Somoza floh mit seinem ­Generalstab nach Florida. Die mit grotesker ­Brutalität ­regierende Somoza-Dynastie hatte fast die gesamte ­Wirtschaft des ­Landes unter ihre Kontrolle gebracht. ­Aufgrund ihrer ­antikommunistischen ­Haltung waren sie lange von den USA unterstützt und an der Macht gehalten worden.

Auch in Kambodscha wurde ein Diktator gestürzt: Pol Pot. Die vietnamesische Armee marschierte in Phnom Penh ein und beendete die Terrorherrschaft der ­maoistischen Roten Khmer, die beim Versuch, das Land in eine »blühende kommunistische Zukunft« zu führen, rund zwei Millionen ­Menschen umgebracht hatten. Viele flohen. Ein Frachtschiff nahm die ersten vietnamesischen Flüchtlinge auf und rettete über 11 000 von ihnen vor dem Ertrinken und dem Hungertod. Das Schiff hiess »Cap ­Anamur« und gab der Hilfsorganisation deutscher Notärzte den Namen.

Friedlicher endete die Abspaltung des ­nördlichen Juras vom Kanton Bern nach 165-jähriger Zugehörigkeit. Ganz so gewaltfrei verliefen die Geburtswehen des 26. Schweizer Kantons allerdings nicht: Der Separatist Christophe Bader hatte vor dem Berner Rathaus eine Bombe zünden wollen. Der Sprengsatz detonierte frühzeitig. Er wurde nicht in Stücke gerissen, sondern von der Wucht der Explosion getötet. Als seine Mutter in der Aufbewahrungshalle in Saignelégier vom «letzten Schweizer Terroristen» Abschied nahm, fragte sie den toten Sohn: «Warum hast du das getan? War das dein Leben wert?»

Sowjetische Truppen landeten in Kabul und setzten eine neue kommunistische Führung ein. Es war erst der Auftakt zu einem ­langjährigen Konflikt der das Vietnam der ­Sowjetunion ­werden sollte. Nach dem Abzug 1989 folgte bald einmal ein Bürgerkrieg und der Aufstieg der ­Taliban.

In den USA startete der erste Star-Trek-­Kinofilm: «Wieso arbeiten die Transporter der Enterprise nicht, Mr. Scott?» Marlon Brando ­brillierte in «Apocalypse Now» («Wie nennt man das, wenn Mörder Mörder anklagen?») und ­Ridley Scott inszenierte seinen ersten «Alien». Einer der bedeutendsten Surrealisten des 20. Jahrhunderts hatte das Monster erschaffen: der Schweizer H. R. Giger. Nach dem Oscar­gewinn (1980) erhielt er in der Heimat keine grosse Ausstellung mehr. Erfolg hat viele Neider.

© Basler Zeitung – Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel.

#chronos (1958)

 

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«Spiel gut», riet der dänische Kunsttischler Ole Kirk Christiansen seinem Sohn Godtfred, als er ihm in den 30er-Jahren Holzbauklötze zum Spielen gab. Am 28. Juli 1958 meldete sein ­mittlerweile erwachsener Sohn das Steckprinzip für Spielbausteine zum Patent an. Als Markenname wählte er «Leg godt» (dt.: «Spiel gut»). ­Daraus wurde auf dem Patentamt das besser ­verständliche «Lego». Der Konzern erwirtschaftet heute einen Jahresumsatz von ca. 3,4 Milliarden Euro. Trotz einiger Produkteflops und Shitstorms von Gender-Expertinnen und Umweltaktivisten bewerfen auch heute noch Kinder ihre nicht erziehbaren Eltern mit Lego-Bausteinen und ­zwingen ihre Grosseltern, auf allen vieren nach vermissten Einzelstücken zu suchen.

Auf Spurensuche war auch Mount-Everest-Bezwinger Edmund Hillary, als er den Gipfel erreichte. Er hielt Ausschau nach Hinweisen auf eine eventuell frühere Ersteigung durch die vor 29 Jahren in Gipfelnähe verschollene ­Seilschaft von Mallory und Irvine. Er fand angeblich ­keinerlei Spuren. Einem Zweifler sagte er, dass es nicht darauf ankomme, wer als Erster oben war, sondern wer als Erster wieder unten war, lebendig.

Während auch in Europa während des «Kalten Krieges» Gefriertemperaturen erreicht wurden, erstarkte die Friedensbewegung und marschierte im weltweit ersten «Ostermarsch» auf das Gelände des Kernwaffen­forschungs-Zentrum in Aldermaston (Grossbritannien). Die ­«Campaign for Nuclear ­Disarmament» hatte dazu ­aufgerufen und dem britischen Künstler und Kriegsdienstverweigerer Gerald Herbert Holtom (1914 – 1985) den Auftrag erteilt, ein Logo zu entwerfen. Sein­ ­«Peace»-Zeichen wird heute weltweit als Friedenssymbol verwendet.

Weniger Probleme mit dem Kriegsdienst hatte Elvis Presley, der mit dem Truppentransportschiff General Randall in Bremer­hafen anlegte, um als Soldat einer ­Panzereinheit bei der in Deutschland stationierten US-Armee Wehrdienst zu leisten. Der damals grösste Star der Rock- und Popkultur wurde bei seiner Ankunft von kreischenden Fans frenetisch begrüsst.

Selfies waren noch nicht möglich. In Deutschland kam gerade das erste Autotelefon in den ­Verkauf, es kostete allerdings noch die Hälfte eines Neuwagens. Für Deutschland bedeutsamer war das neue Gleichstellungsgesetz, das Frauen fortan erlaubte, auch ohne die Zustimmung des Ehemannes einen Beruf auszuüben. Da Frauen nun weniger Zeit zum Kochen haben würden, brachte Knorr eine Fertigsuppe mit Champignons auf den Markt, «die wirklich den höchsten ­Anforderungen entspricht».

Den höchsten Anforderungen genügte auch der bisherige Ministerpräsident Charles de Gaulle, den die Franzosen mit grosser Mehrheit (78 Prozent) zum französischen Staats­präsidenten ­wählten. Charles de Gaulle bezeichnete sich selbst als Monarchist: «Je suis un ­monarchiste, la ­République n’est pas le régime qu’il faut à la France.»

«Einer allein fährt manchmal ohne Ziel herum. Zwei zusammen haben meistens ein Ziel» war eine Dialogzeile aus Alfred Hitchcocks ­«Vertigo» mit James Stewart und Kim Novak. Der Film wurde seinerzeit von Filmkritikern als «weit hergeholter Unsinn» bezeichnet und ist heute auf der S&S Liste als einer der besten Filme aller Zeiten aufgeführt. Jede Expertenschaft ist relativ.

Absolut sicher waren sich hingegen die ­Experten bei der Einschätzung eines 17-jährigen Brasilianers, der im WM-Finale gegen Schweden (2:5) zwei Tore zum Sieg beitrug. Nach 1283 Toren in 1364 Spielen sagte Fussballgott Pelé: «Ein Leben ohne Fussball kann ich mir nicht ­vorstellen. Ich hoffe, man kann auch im Himmel Fussball spielen…»

© Basler Zeitung 12.1.2016

#chronos (2008)

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Am 8. Januar 2008 rief der demokratische Senator Barack Obama anlässlich einer Rede im Bundesstaat New Hampshire zum ersten Mal: »Yes, we can!« Obwohl sein Wahlkampfmanager den Slogan »Change can believe in« festgelegt hatte, setzte sich der aus der Kinder TV Serie »Bob der Baumeister« entliehene Slogan durch. Drehbuchautor und Beatles Fan Keith Chapman (*1959) hatte den Zwischenruf am Ende des Songtextes »All you need ist love« genutzt. Der Slogan »Ja, wir können«, oder sinngemäss »Ja, wir schaffen es«, wurde darauf oft kopiert. Zuletzt von einer deutschen Physikerin, die tatsächlich glaubte, es gebe keine Obergrenzen.

»Yes, we can« muss sich auch Sotheby’s gedacht haben, als sie 2008 an einer Auktion die »Merda d’artista« des italienischen Konzeptkünstlers Piero Manzoni für 132.000 Dollar versteigerte. Der Künstler hatte 1961 neunzig nummerierte Dosen mit jeweils 30 Gramm seiner Fäkalien gefüllt und zum damaligen Goldkurs von 37 Dollar pro Unze verkauft. Piero Manzoni soll von seinem Vater, einem Dosenfabrikanten, dazu inspiriert worden sein als dieser beim Anblick seiner Kunstwerke sagte: »Deine Arbeit ist Scheisse.« Einer der Kunstsammler konnte nicht widerstehen und zerstörte die Dose, um Klarheit zu schaffen. Es war tatsächlich drinn, was draussen draufstand. Die zerstörte Dose wurde nicht wertlos, sondern zu einem neuen Kunstwerk: »Boîteouverte de Piero Manzoni«.

2008 lag der Unzenpreis für »das barbarische Relikt« nicht mehr bei 37 Dollar, sondern bei über 1000 US Dollar pro Feinunze Gold. Tage zuvor hatte die Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz angemeldet und der US Börse den höchsten Tageseinbruch seit Bestehen des Aktienindexes beschert. Der Oelpreis stieg auf über 100 US Dollar (zurzeit unter 30). Die US Aufsichtsbehörde musste die vom Bankrott bedrohten Hypothekarbanken Fannie Mae und Freddie Mac retten.

Ein unglaublicher Fall von Inzest erschütterte die Weltöffentlichkeit: In Oesterreich war eine 40jährige Frau befreit worden, die von ihrem Vater 24 Jahre lang in einem Keller festgehalten und vergewaltigt worden war. Sie hatte während ihrer Gefangenschaft sieben Kinder geboren. Zwei Jahre zuvor hatte bereits der Fall der Oesterreicherin Natascha Kampusch ein weltweites Medienecho ausgelöst. Sie war als Zehnjährige entführt und acht Jahre lang festgehalten worden.

»Ich sterbe fast jeden Tag« spottete Fidel Castro in Anspielung an all die misslungenen Mordanschlägen, »das macht mir viel Spass und ich fühle mich dadurch nur gesünder«. Nach 49 Dienstjahren trat der am längsten regierende nichtmonarchische Herrscher des 20. Jahrhunderts von all seinen Aemtern zurück und übergab das Zepter seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Raul. Er sollte das sozialistische Einparteiensystem weiterführen, obwohl seine Tauglichkeit längst von der Geschichte widerlegt worden war.

»I’m alone and I deserve to be all alone«, sagte der 56jährige Mickey Rourke in Darren Aronofskys Veteranen Drama »The Wrestler«. Der Film begeisterte 2008 die amerikanischen Kinozuschauer und bescherte dem Ex-Boxer (»Ich wollte wieder ein Mann sein«) einer seiner zahlreichen unerwarteten Comebacks auf der grossen Bühne. Bob Dylan schrieb über Mickey Rourke: »Er kann dein Herz mit einem einzigen Blick brechen.«

Die britische Sängerin Amy Macdonald erreichte mit ihrer Single »Mr Rock & Roll« die Chartsplazierungen im übrigen Europa. Sie besang die narzistische Selfie Generation: »So called Mr. Rock & Roll, Is dancing on his own again, Talking on his phone again«.

Realität versus Ideologie

Jugendliche-belaestigen-Frauen-in-Kairo-Archivbild-Manchmal muss man seine liebgewonnene Ideologie der Realiltät anpassen.

Als Muslima aufgewachsene Femen-Aktivistin Zana Ramadani: «Das Frauenbild, das uns in der Silvesternacht entgegenschlug, wird im gesamten islamischen Kulturkreis gelebt. In Mazedonien, wo ich herkomme, hätte unter Muslimen genau das Gleiche passieren können. Auch in Pakistan oder Bangladesch. In jedem islamischen Land hätte das passieren können und passiert dort auch täglich. Denn die Werte sind schuld an den Geschehnissen. Es sind die Werte des Islam.»

Die Zivilisastionsstufe einer Kultur ist an der Gleichberechtigung von Mann und Frau abzulesen.

#chronos (1954)

randNobelpreisträger Albert Einstein diente gläubigen Christen jahrzehntelang als Beweis, dass selbst die intelligentesten Menschen der Welt an einen Gott glauben. Doch 1954, ein Jahr vor seinem Tod, schrieb Einstein in einem Brief an den Philosophen Erich Gutkind: «Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger aber doch reichlich primitiver Legenden«, Religion sei eine «Inkarnation primitiven Aberglaubens». Sein Bekenntnis zum Atheismus wurde 2008 bei Bloomsbury für 207’600 Pfund versteigert und am 18. Oktober 2012 für drei Millionen und 100 Dollar weiterverkauft.

1954 klagte der Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard bei einem Autorentreffen in New York über die schlechte Bezahlung von SF-Autoren. Sein Kollege Harlan Ellison riet ihm, eine Religionsgemeinschaft zu gründen, um wenigstens Steuerbefreiung zu erlangen. Hubbard gründete die Firma «Scientology», nannte sie «Religionsgemeinschaft», seine späteren Mitarbeiter «Geistliche», sein Büro «Kirche» und schuf mit einer Science-Fiction-Story eine milliardenschwere Psychosekte, die labilen Jugendlichen mit überteuerten Kursen das Geld aus der Tasche zieht.

Wesentlich günstiger und unterhaltsamer war der Roman «Der Herr der Ringe», der 1954 in England unter dem Originaltitel «The Lord of the Rings» erschien. Autor John Ronald Reuel Tolkien verkaufte den grossen Klassiker der Fantasy-Literatur mittlerweile über 150 Millionen Mal.

Leider verlief auch das Jahr 1954, wie alle Jahre davor und danach, nicht ohne kriegerische Konflikte. Kaum hatte der Indochina-Krieg mit der Niederlage der Grande Nation geendet, begann Paris einen achtjährigen Kolonialkrieg gegen die algerische Widerstandsbewegung FLN. Die «französische Doktrin» der «schmutzigen Kriegsführung» erlaubte grausamste Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung und kostete rund einer Million Menschen das Leben.

Gemäss der Devise des römischen ­Schriftstellers Flavius Vegetius Renatus (ca. 390 n. Chr.), man müsse für den Krieg rüsten, wenn man den Frieden wolle, zündeten die USA nach «Ivy Mike» (1952), die zweite und bisher stärkste Wasserstoffbombe über dem Pazifik. Sie entsprach der 846-fachen Stärke der Hiroshima-Bombe, war aber noch nicht ausreichend, um den Planeten im Ernstfall gänzlich auszulöschen. Es wird weiter geforscht.

Der Kalte Krieg wurde auf allen Ebenen ­ausgetragen. US-Präsident Dwight D. Eisenhower unterschrieb den «Communist Control Act of 1954», der die Mitgliedschaft und Unterstützung der Kommunistischen Partei unter Strafe stellte. Da im gleichen Jahr mit der Fernsehnorm NTSC das Farbfernsehen eingeführt wurde, konnte man die McCarthy-Prozesse («Sind Sie oder waren Sie jemals…?») auch in Farbe mitverfolgen.

Zum beginnenden Übergewicht der amerikanischen Bevölkerung trug aber nicht nur das stundenlange Glotzen bei, sondern auch die Fastfood-Kette Burger King, die in Miami ihr erstes Schnellimbissrestaurant eröffnete.

Ein historischer Tag war der 11. April 1954. Der britische Programmierer William Tunstall-Pedoe hatte ermittelt, dass dieser Tag der langweiligste Tag des 20. Jahrhunderts gewesen sei, weil an diesem Datum die wenigsten bedeutenden Ereignisse stattgefunden hätten.

Aufregender war hingegen das erste Transistorradio von Texas Instruments, das kurz vor Weihnachten in die Läden kam. Der kleine Regency TR-1 brachte Elvis Presley mit dem alten Blue-Song «That’s All Right» in die Wohnzimmer. Es war der Beginn seiner Jahrhundertkarriere als Rock-’n’-Roll-Star.

Bild: 1954 präsentieren Wissenschaftler der RAND Corporation den Entwurf eines Home Computers, den sie für das Jahr 2004 prognostizieren