Flüchtlingswellen in der Antike

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Flüchtlingswellen zur Zeit Cäsars (Auszug der Helvetier / Gallischer Krieg)

Das Gute an historischen Romanen: Sie haben nicht das Verfalldatum von zeitgenössischen Romanen. Mein Roman »Cäsar Druide« erlebte in den letzten 16 Jahren zahlreiche Neuauflagen (Heyne Verlag), u.a. in deutscher, spanischer und italienischer Sprache, erschien im letzten Jahr (leider) unter dem neuen Titel »Das Gold der Kelten«, was viele Leser zurecht verärgert, wenn sie zweimal das gleiche Buch gekauft haben.

Erzählt wird die Geschichten des jungen spastischen Druidenlehrlings, der in der Nordwestschweiz aufwächst und sich dem Zug der Helvetier anschliesst und Schreiber in Cäsars Kanzlei war. In einem Gutachten der Uni Basel wird bestätigt, dass der Abenteuerroman auf dem neusten Stand der Cäsarforschung basiert. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Wie in allen meinen Büchern ist auch »Cäsars Druide« ein Mutmacher, weil der Roman von einem jugendlichen Helden erzählt, der schwierige Lebenssituationen meistert und nie aufgibt.

https://www.cueni.ch/buecher/das-gold-der-kelten/

#chronos (1933)

News-Week_Feb_17_1933,_vol1_issue1«You will have the tallest, darkest leading man in Hollywood», versprach Regisseur Merian C. Cooper der Schauspielerin Fay Wray, falls sie die weibliche Rolle in «King Kong und die weisse Frau» ­annehmen würde. Der Film wurde ein Erfolg und war mit seiner revolutionären Stop-Motion-Tricktechnik wegweisend. Bei diesem Verfahren ­werden Standbilder in rascher Abfolge aneinandergereiht, um Bewegung zu simulieren. Revolutionär war auch die erstmalige Unterlegung von Dialogen mit Musik und der Einbau von realen Schauspielern in Miniaturmodellen.

Ausserhalb der Kinos betrat ein anderes ­Monster die Weltbühne: Im Januar 1933 wurde Adolf Hitler durch Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Hitlers Machtübernahme beendete die Weimarer Republik und legte den Grundstein für das «Dritte Reich». In seiner ersten Ansprache forderte Hitler die rücksichtslose Germanisierung. Bereits im März wurde in Dachau das erste von über hundert Arbeits- und Vernichtungslagern eingerichtet. Damit begann die systematische Ausrottung von Millionen Juden, Sinti, Roma, Homosexuellen und ­Behinderten. Im Oktober erliess Hitler das «Schriftleitergesetz», das die Gleichschaltung der Presse einleitete und 1300 Journalisten vor die Tür setzte. Nachdem Deutschland auch noch aus dem Völkerbund ausgetreten war, unterzeichneten 88 deutsche Schriftsteller das «Gelöbnis treuester Gefolgschaft» zu Adolf Hitler …

In den USA löste der Demokrat Franklin D. Roosevelt den Republikaner Herbert Hoover ab, er versuchte mit einem «New Deal» die Folgen der Weltwirtschaftskrise zu lindern. Der «New Deal» ­leitete weitgreifende ­Wirtschafts- und Sozial­reformen ein, unter ­anderem ein Programm für unterernährte ­Schulkinder und ­für Sozialversicherungen.

«Sind Sie Seemann?»

«Seh ich vielleicht aus wie ein Cowboy?»

Das war der erste Dialog, den der Zeichner Elzie Crisler Segar seiner Comic-Figur Popeye in den Mund legte. 1933, vier Jahre später, ­produzierten die Fleischer Studios für Paramount Pictures die erste Folge von «Popeye the Sailor». Erst in diesen siebenminütigen Zeichentrick­filmen, die auch im Vorprogramm der meisten Kinos liefen, wurde der Spinat als Zaubertrank ­eingeführt. Schuld daran war der Basler Universitätsprofessor Gustav von Bunge, der 1890 den Eisengehalt von 100 Gramm Spinat mit 35 Milligramm angegeben hatte. 2007 enthüllte das British Medical Journal, dass sich der ­Professor um eine Dezimalstelle verhauen hatte. Somit hatten ganze Generationen von ­Heranwachsenden die vegetarische Variante des Waterboardings über sich ergehen zu lassen, ohne dass sich jemals Eisenwerte und Schulnoten ­verbessert hätten. Segar starb 1938, erst 44-jährig, an Leukämie. Mit seinem Tod verlor auch der pfeifenrauchende Matrose mit dem losen ­Mundwerk den subtilen Humor und verrohte zunehmend.

1933 erwarb Farny Wurlitzer das Patent für einen Musikbox-Mechanismus und brachte bald darauf die erste chromverzierte Jukebox im Art- déco-Stil auf den Markt. Für die Wirte war die Jukebox ein billiger Ersatz für die Livebands und eine zusätzliche Einnahmequelle. Als die US-­Regierung 1933 das Alkoholverbot aufhob, ­schossen Bars mit Musikboxen wie Pilze aus dem Boden. In den 50er-Jahren brachte der Rock ’n’ Roll den weltweiten Durchbruch und ­Kulturpäpste warnten wieder einmal vor der ­Versklavung des Menschen durch den Automaten. Erst mit dem Aufkommen der Diskotheken in den 70er-Jahren verlor die Jukebox an Attraktivität. 1974 musste der Marktführer, die Chicagoer ­Wurlitzer Company, die Produktion einstellen.

Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. www.cueni.ch

© Basler Zeitung, 11.9.2015

Buchvernissagen in ZH und BS

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Donnerstag, 17. September in Zürich: Orell Füssli, Kramhof, 20:15

Dienstag, 22. September in Basel: Thalia, Freie Strasse, 19:30

Türöffnung jeweils 15 Minuten vor Beginn. 

#chronos (2009)

Michael-Jackson

«You are not alone, I am here with you», sangen die untröstlichen Fans vor dem Anwesen des King of Pop. Der mit fast einer halben Milliarde ­verkaufter Tonträger erfolgreichste Entertainer aller Zeiten erlitt im Alter von 51 Jahren einen plötzlichen Herzstillstand. Michael Jacksons Privatarzt Conrad Murray (Monatslohn 150 000 Dollar) hatte ihm zum Einschlafen das Narkosemittel Propofol verabreicht. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung zu vier Jahren Haft verurteilt.

«Yes, we can», war eine Dialogzeile aus der weltweit ausgestrahlten Kinderserie «Bob the Builder». US-Politstratege David Axelrod übernahm den Slogan für die Präsidentschaftskampagne von Barack Obama und begleitete damit den ersten Afroamerikaner ins Weisse Haus. Im gleichen Jahr erhielt Obama für «seine Stärkung der internationalen Diplomatie» den Friedensnobelpreis.

Während die UNO das Internationale Jahr der Aussöhnung verkündete, listete der «Fischer Atlas» für das Jahr 2009 achtunddreissig ­kriegerische Konflikte auf.

Unblutig, aber nicht minder desaströs waren die Auswirkungen der globalen Finanzkrise, die im Sommer 2007 als US-Immobilienkrise begonnen hatte. Nach dem Platzen weiterer Blasen ­meldeten immer mehr Unternehmen Insolvenz an; Banken, die ihren Top­shots jahrelang Boni in Millionenhöhe ausbezahlt hatten, ­mussten nun mit den Steuer­geldern des kleinen Mannes gerettet werden. Weltweit nahm die verantwortungslose Staatsverschuldung zu, die Weltwirtschaft geriet ins Straucheln, Japan rutschte in die schwerste Rezession der Nachkriegszeit und die Wall Street hatte den grössten Skandal ihrer Geschichte:

Seit den 70er-Jahren hatte der Finanz- und Börsenmakler Madoff mit absurden Traumrenditen Anleger geködert und mit dem frischen Geld neuer Anleger bezahlt. Tausende von Investoren mussten die Erfahrung machen, dass Renditen ab fünf Prozent möglicherweise mit einem etwas grösseren Risiko ­verbunden sind. Sie bezahlten diesen Lehrgang mit Verlusten von über 65 Milliarden Dollar. Madoffs ältester Sohn Mark erhängte sich 2010 in der Wohnung, sein jüngerer Bruder starb ein Jahr später an Krebs.

«Es gibt überhaupt nur zwei Dinge auf der Welt, die mir Spass machen – das Zweite ist der Film.» 2009 wurde der polnische Filmregisseur Roman Polanski aufgrund eines internationalen Haftbefehls bei seiner Einreise in die Schweiz verhaftet. Er war 1977 von einem Strafgericht in Los Angeles wegen «Vergewaltigung einer ­Minderjährigen unter Verwendung betäubender Mittel» angeklagt worden und war geflohen. Die internationale Kulturszene setzte sich für seine sofortige Freilassung ein. Nur gerade Regisseur Luc Besson erinnerte an die Prinzipien des ­Rechtsstaates: Rechtsgleichheit.

Als die 47-jährige Schottin Susan Boyle die Bühne der Castingshow «Britain’s Got Talent» betrat, wurde sie von Jury und Publikum wegen ihres Asperger-Syndroms verspottet. Doch als sie «I Dreamed a Dream» anstimmte, verschlug es selbst dem Berufszyniker Simon Cowell die Sprache: 150 Millionen Mal wurde der Clip auf Youtube angeschaut und Susan Boyle startete eine erfolgreiche internationale Karriere.

Was Hyperinflation und Währungsreformen bedeuten, konnte man 2009 in Zimbabwe beobachten. Nachdem bereits im Jahr zuvor beim Zimbabwe-Dollar Nummer 3 zehn Nullen gestrichen worden waren, erhielt man nach der erneuten Währungsreform für den Zimbabwe-Dollar Nummer 4 für eine Billion alte Dollars gerade noch einen einzigen neuen Zimbabwe-Dollar.

Jede Papierwährung findet eines Tages zu ihrem eigentlichen Wert: null (gemäss Voltaire).

Neuer Roman

pazific-anzeige

 

Gut zum Druck erteilt. Ab Freitag, den 18. September im Buchhandel. 

#chronos (1955)

cueni_jamesdean_1955_chornos«Wenn jemand sagt, er wolle über etwas nicht sprechen, so bedeutet das in der Regel, dass er an nichts anderes denken kann», schrieb Nobelpreisträger John Steinbeck in seinem Roman «Jenseits von Eden» (East of Eden). Der Weltklassiker wurde 1955 von Elia Kazan mit James Dean in der Hauptrolle verfilmt.

James Dean schloss noch im Herbst des ­gleichen Jahres eine Lebensversicherung ab, drehte einen Werbespot für Verkehrssicherheit («Fahrt vorsichtig!»), kaufte sich den legendären Renn­wagen Porsche 550 Spyder und prallte mit übersetzter Geschwindigkeit ungebremst in einen Ford, der ihm die Vorfahrt genommen hatte. Trotz Abenddämmerung hatte er die Scheinwerfer nicht eingeschaltet. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus 24-jährig.

Dass auch Rauchen tödlich enden kann, berichtete Reader’s Digest in einem Artikel über die Ursachen von Lungenkrebs. Marlboro verpasste ihren Zigaretten umgehend einen Filter, Designer Frank Gianninoto entwarf die rotweisse Verpackung und Leo Burnett erschuf den harten Marlboro Man im Wilden Westen. Durch die Emotionalisierung der Kampagne stieg der ­Verkauf bereits nach wenigen Monaten um das Fünfzig­fache. Vielleicht lag es auch daran, dass man der Marlboro das süchtig machende Ammonium beigemischt hatte. Heute ist Marlboro die meistverkaufte Zigarette und gehört zu den zehn wertvollsten Marken der Welt.

Bundeskanzler Konrad Adenauer war militanter Nichtraucher, denn «Raucher vernebeln nicht nur die Luft, sondern meist auch ihren eigenen Geist, so kann man dann leichter mit ihnen fertig werden …» Er reiste nach Moskau, um die letzten deutschen Kriegsgefangenen nach Hause zu holen.

Zehn Jahre nach Kriegsende waren Lebensmittel immer noch knapp, Fisch gab es jedoch in rauen Mengen. Die Firma Birds Eye zersägte kurzerhand gefrorenen Fisch in kinder­gerechte Portionen, panierte sie, briet sie kurz an und fror sie gleich wieder ein.

Heute assoziiert man Birds Eye nicht mehr mit Fischstäbchen, sondern mit dem weltberühmten The Bird’s Eye Jazz Club am Kohlenberg 20 in Basel.

Aufsehen erregte 1955 auch die Afroamerikanerin Rosa Parks, die sich in Alabama weigerte, ihren Sitzplatz im Bus einem weissen Fahrgast zu überlassen. Der anschliessende Aufruhr gilt als Geburtsstunde der schwarzen Bürgerrechts­bewegung. Das oberste Gericht gab ihr recht und beendete damit die Diskriminierung in öffentlichen Verkehrsmitteln.

1955 verfehlte der leidenschaftliche Jäger und Brauereibesitzer Hugh Beaver einen Goldregenpfeifer nur knapp und startete Recherchen über den schnellsten Vogel der Welt, um seinen Fehlschuss zu relativieren. Darauf schrieben die Zwillinge Ross und Norris McWhirter den ersten Sammelband der Rekorde, der seitdem jedes Jahr die Bestsellerlisten anführt. Einem Brauerei­besitzer haben wir also zu verdanken, dass wir heute wissen, dass der Weltrekord im Dauer­glotzen bei 87 Stunden und 43 Sekunden liegt und dass die Fingernägel von Chris Walton 6,02 Meter lang sind. Leider verschweigt das Buch, wie Chris «The Dutchess» die tägliche ­Körperpflege bewältigt.

Während in England die Eisenbahner streikten, knackte die Knutschkugel von VW die Millionengrenze und wurde erneut das meistverkaufte Auto des Jahres. Der VW 1200 hatte damals 30 PS und kostete 3950 D-Mark.

Während Shirley MacLaine wegen Hitchcock «Immer Ärger mit Harry» hatte, sorgte sich Carl Perkins um seine blauen Velourslederschuhe und schrieb den Rockklassiker «Blue Suede Shoes».

Well, it’s one for the money

Two for the show

Three to get ready

Now go, cat, go

Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel.

© Basler Zeitung vom 14.8.2015

Vitus Huonder, Bischof der Pädophilen?

Der Blogbeitrag, auf den sich Blick und Blickamabend beziehen:

Das römisch-katholische Bistum Chur betrieb bis 1972 das katholische Internat Kollegium Maria Hilf. Danach ging es an den Kanton Schwyz über. Seit 2007 leitet Vitus Huonder als Bischof das Bistum Chur.

2014 erwähnte ich in meinem Roman „Script Avenue“ einen pädophilen Priester, der 1973 im Internat Schwyz auch als Präfekt zuständig war. Nach dem üblichen Entrüstungssturm teilte der damalige SVP Landammann und Regierungspräsident Walter Stählin der Presse mit, seine „Taskforce“ habe keine Fakten gefunden und würde den Fall deshalb ad acta legen, alles sei meiner Fantasie entsprungen. Stählin hatte keine Fakten, weil er die damaligen Mitschüler nicht befragen wollte. Das zeigt, dass Politiker manchmal auch dann lügen, wenn sie die „Wahrheit“ sagen.

Einige Wochen später besuchte mich der Bischofsvikar und Offizial der Diözese Chur, Kanonikus Msgr. Dr. med., Dr. iur.can  Joseph M. Bonnemain des Bistums Chur und wollte Näheres über die damaligen Vorfälle im Jahre 1973 im Internat Schwyz erfahren, weil der Kanton ihm die Namensliste der damaligen Mitschüler hartnäckig verweigerte…

Nach Rücksprache mit ehemaligen Mitschülern gab ich Dr. Bonnemain die Namen, Adressen und Telefonnummern jener Mitschüler, die bereit waren, als Zeitzeugen Auskunft zu geben. Ich zeigte ihm auch meinen damaligen Tagebucheintrag vom November 1973: „Das Glockengebimmel regt mich auf, der schwule Präfekt auch.“ Gemeint ist der pädophile Präfekt Costa, der ausgewählte Schüler immer wieder sexuell belästigte (mehr nicht). Er wurde wahrscheinlich noch zu einer Zeit eingestellt, als das Internat unter der Leitung des Bistums stand.

Herr Dr. Bonnemain war aufrichtig daran interessiert, die Fakten kennenzulernen, die ihm die Kantonsregierung hartnäckig vorenthielt. Wir sprachen auch ausführlich über ganz andere Themen, z.B. über die Art und Weise wie Menschen sterben, da ich meine Frau verloren hatte und er in Zürich Sterbende begleitet. Er hat mich in jeder Beziehung sehr stark beeindruckt und ich würde mir wünschen, dass es mehr Menschen wie Dr. Bonnemain in den Führungsspitzen der Katholischen Kirche gibt.

Er hat die Zeitzeugen später nicht kontaktiert. Vielleicht war er nach unserem Gespräch und der Durchsicht der Liste mit den Zeitzeugen bereits überzeugt, dass er es nicht mit einem Phantasten zu tun hatte.

Aber er muss selbstverständlich seinem Bischof Vitus Huonder davon berichtet haben. Ich hätte gerne gehört, dass Vito Huonder darauf die Pädophilen in den eigenen Reihen der „Gräueltat“ bezichtigt.


Antworten zu den am häufigsten gestellten Fragen:

Wurden Sie missbraucht?

Nein, ich, mein Kollege Dominique Hildebrand und andere, wurden wiederholt sexuell belästigt, aber nicht missbraucht. Ob andere missbraucht wurden, ist mir nicht bekannt.

Wieso habt ihr euch nicht bei der Internatsleitung beschwert?

Wir waren grossgewachsene, athletische Jugendliche in der Pubertät, während der pädophile Präfekt ein sehr schmächtiger Mann von vielleicht 1.55 war. Wir waren ihm physisch weit überlegen und deshalb nie in Gefahr. Da er uns jeweils von hinten an den Hintern griff, war es für eine Abwehr schon zu spät.

In der Pubertät ist es Ehrensache, dass man sich nicht ausgerechnet bei den Autoritäten beklagt, die man verachtet und verspottet. Wir rächten uns jedoch auf vielfältige und kreative Weise an ihm.

Vereinigung von Ehemaligen bestreiten die Vorkomnisse.

Die entsprechenden Leserbriefe, die dazu in der LNN zu lesen waren, stammen von Ehemaligen, die in den 60er Jahren in diesem Internat waren. Wie wollen die wissen, was sich 1973 hinter diesen Mauern abgespielt hat? Wir wollen sie den fehlbaren Präfekten gekannt haben? Sie argumentieren nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann nicht sein.

Wieso hat die Taskforce des Kantons Schwyz keine Fakten gefunden?

Als langjähriger Verfasser von Krimi Drehbüchern, hätte ich alle ca. 70 Schüler angeschrieben, die seinerzeit mit mir diesen offenen Schlafsaal geteilt haben. In diesem Schlafsaal schlief auch der pädophile Präfekt, der abends ab und zu ausgewählte Schüler besuchte. Jedes Bett war auf drei Seiten mit Holz verkleidet und auf einer Längsseite mit einem Vorhang. Ich hätte den ca. 70 Ehemaligen einen anonymsierten Fragebogen zugeschickt und anschliessend Fakten gehabt. 

Die Taskforce hat keine Fakten gefunden, weil sie keine Fakten finden wollte. Das ist auch der Grund, wieso sie sich bis heute hartnäckig weigert, dem Bistum Chur die Liste der damaligen Schüler des Jahres 1973 auszuhändigen. Damit das Bistum Chur die damaligen Schüler nicht befragen kann. 

Ich habe später in wochenlanger Kleinarbeit Ehemalige ausfindig gemacht. Zum Teil hatte ich nach 40 Jahren ihre Namen vergessen. Den wichtisten Zeitzeugen stöberte ich in Marokko auf, er restauriert dort historische Gebäude. Ich gehe davon aus, dass auch er noch von den Medien befragt wird. Einen anderen fand ich in der frz. Schweiz.

Diente dieser Skandal 2014 nicht auch der Promotion ihres neuen Romans „Script Avenue“?

In der Tat werden in der Branche immer wieder kleine Skandale inzeniert, um Bücher, Filme oder Songs zu promoten. Bei der »Script Avenue« war es ein Zufall, der mir am ersten Tag willkommen war, aber bereits am darauf folgenden Tag mächtig ärgerte: Denn in der »Script Avenue» erzählte ich auf  650 Seiten das Leben eines Schweizer Forest Gump von 1956 bis 2010, also rund 50 Jahre Zeitgeschichte. Die Ereignisse im Internat Schwyz belegen nur wenige Monate bzw. nur gerade ca. drei von 650 Buchseiten. Und von diesen drei Buchseiten sind es wiederum nur wenige Zeilen die den »Skandal« ausgelöst haben (siehe Abdruck am Ende dieses Artikels). Als die Regierung in Schwyz beschloss, den Fall »mangels Fakten« ad acta zu legen, beschlossen Verlag und ich, es dabei bewenden zu lassen, damit der Roman als das wahrgenommen werden konnte, was er tatsächlich war: Ein eher philosophisches Werk über die Kürze des Lebens und die Vergänglichkeit aller Dinge, ein Schweizer Forest Gump Roman. 

Welche Bedeutung haben diese Ereignisse für die Ehemaligen heute?

Sie haben nicht die geringste Bedeutung. Wir haben für diese Ereignisse nur Spott übrig. Wieso wir das Ganze nach so vielen Jahren wieder aufwärmen? Wenn wir in den Medien – wie in diesen Tagen – einen Vitus Huonder hören, platzt dem einen oder anderen der Kragen und er erinnert sich an die Vorfälle im Jahre 1973 im Internat Schwyz. Diese Heuchelei ist für uns alle unerträglich.

Ist eine Anzeige gerechtfertigt?

Nein, es gilt Meinungsfreiheit ohne Wenn und Aber. Das gilt sowohl für den heuchlerischen Bischof als auch für seine Kritiker. Zur Meinungsfreiheit gehört, dass man Dinge sagen darf, die niemand hören will. Auch das gilt für beide Seiten. 


2014_05_Cueni_ScriptAvenue_001_Neu KopieDie damals beanstandeten Textstellen in Fettschrift.

Auszug aus dem Roman „Script Avenue“, 640 Seiten, Eine Schweizer Forest Gump Geschichte über 50 Jahre Zeitgeschichte.

Script Avenue

Die Ereignisse in Schwyz werden auf lediglich drei Seiten thematisiert. Auszug:


Die Mythen

Ich lebte von da an im Schatten einer monumentalen Bergpyramide, die von den Einheimischen Die Mythen genannt wurde. Wenn ihre Schädel unter dem Druck des warmen Föhnwindes zu explodieren drohten, sagten sie: Das sind die Mythen.

Am Fuß des Berges erstreckte sich auf einem grün bewachsenen Hügel ein langes Gebäude mit Kuppeln. Da das Gebäude isoliert in der Landschaft stand, hielt man es nicht gleich für eine Kirche. Das war nicht ganz falsch, denn in diesem Gebäude geschahen Dinge, die man in einer Kirche nicht tut.

Ich fand mich also wieder im katholischen Kollegium Maria Hilf des Bistums Chur, zugleich Internat und Gotteshaus. Hier wurden die schwarzen Schafe aus den verdorbenen Großstädten gesammelt, gezüchtigt, erniedrigt, gebrochen und nach einigen Jahren als zivilisierte Säugetiere in die Universitäten entlassen. Doch dieser religiöse Kerker war immer noch besser als der bisherige Gulag, ganz zu schweigen von Vilaincourt. Maria Hilf wurde ihrem Namen nicht gerecht. Die Internatsschule wurde von vier Dutzend Geistlichen geleitet. Sie züchtigten die gefallenen Engel aus Sodom & Gomorrha mit inquisitorischer Strenge, als wollten sie Gott beweisen, dass er in ihnen gute Feldweibel hatte. Vereinzelt kamen auch einige Bauernsöhne aus dem Dorf in die Anstalt. Sie mieden jedoch den Kontakt mit den Gescheiterten aus den Großstädten, denn sie verstanden sie nicht: Ihre forsche und flapsige Art war ihnen fremd. Sie kannten ihre Songs nicht und verstanden ihre Pointen nicht.

Als wollten meine Eltern mich zusätzlich bestrafen, veranlassten sie, dass ausgerechnet Onkel Arthur mich in dieses erzkatholische Zuchthaus brachte. Wir sprachen die ganze Fahrt über kein einziges Wort. Als wir schließlich ankamen, sagte er, dass er für die Internatskosten aufkommen werde, weil er noch was gutzumachen habe. Jetzt bezahlte ein pädophiler Kriegsverbrecher mein Wirtschaftsgymnasium. Ich tröstete mich damit, dass ich von nun an wenigstens meine Eltern nicht mehr sehen und hören würde. Ich hätte es aber vorgezogen, wenn man mir vor dem Eintritt den Schädel rasiert, die Füße in Ketten gelegt und einen quergestreiften schwarzweißen Pyjama angezogen hätte. Stattdessen wurde ich vor der Abfahrt zum ersten Mal in meinem Leben zu einem Friseur geschickt, der mich für teures Geld wie ein tuntiges Schulmädchen frisierte: gewellte Locken, über der Stirn war das Haar wie eine Perücke aus dem 18. Jahrhundert geföhnt, ein bisschen Chris Norman, als er noch bei Smokie sang und noch nicht den Crèmeschnitten verfallen war.

So wie er sahen die meisten Pop-Idole der 70er-Jahre aus. Tja, die Frauen wünschten sich damals feminine Männer, die ihre Joints teilten, einmal wöchentlich das Klo reinigten und beim Anblick von neugeborenen Meerschweinchen von Weinkrämpfen geschüttelt wurden. Die Männer wurden zu Softies dressiert, bis die Frauen zwanzig Jahre später ihre gezüchteten Pantoffelhelden nicht mehr ertrugen und sich wieder nach echten Machos mit maskulinem Kinn und mächtigem Brustkasten sehnten. Tja, als die Männer zu Frauen wurden, wurden die Frauen eben zu Männern.

Ich trug zu meiner peinlichen Frisur auch neue Kleider und sah aus wie ein Konfirmant aus Vilaincourt. Ich sollte damit einen guten Eindruck machen, der erste Eindruck sei eben wichtig, Kleider machen Leute und so. Ich kann dem ausnahmsweise zustimmen. Bei meinem Anblick war den anderen Schülern sofort klar, dass ich ein Großstadtspießer war, ein langweiliger Streber und möglicherweise sogar schwul, ich wurde gemieden. Bei der ersten Gelegenheit – also noch vor dem Frühgottesdienst – verkloppte ich den übelsten Spötter. Diese Taktik hatte ich von Onkel Arthur gelernt und aus unzähligen Knastfilmen, gleich am Anfang richtig reinhauen. Ich kaufte einem Schüler ein Paar Jeans und ein Black Sabbath-T-Shirt ab und machte allen klar, dass ich ein cooler Typ war und mit mir nicht zu spassen war.

Der Tag begann mit der Frühmesse. Beten, Frühstück und anschließend eine halbe Stunde zur religiösen Besinnung, die wir zum Austausch von Pornoheften nutzten. Tagsüber Schulunterricht.. Unsere Lehrer waren zum größten Teil Priester, Sie können sich vorstellen, wie aufregend die Evolutionsgeschichte dargestellt wurde. Wie konnte man die Erkenntnis, dass wir vom Affen abstammen, mit dem Glauben in Einklang bringen, dass wir nach Gottes Ebenbild designt worden sind? Es gab nur eine logische Erklärung. Dass Gott ein Affe war. Das hat mir später in Bangkok imponiert, als ich die Wandzeichnungen sah über die Entstehung der Welt. Ja, über Bangkok werde ich auch schreiben müssen. Leider.

Mein Vater war kein Affe, er konnte sogar Briefe schreiben. Als Abschiedsgruß sandte er mir einen netten Brief hinterher: Er stellte klar, dass ich meine Mutter krank gemacht hatte, und dass sie bereute, mich auf die Welt gebracht zu haben. Er hätte im Grunde auch nie Kinder haben wollen. Die bräuchte er nicht zum Glücklichsein, er bräuchte nur Gott und frische Luft. Die ehrenwerten Gottesmänner im Internat setzten noch einen drauf und erklärten uns, dass wir der Abschaum der Schweiz seien, den keine staatliche Schule mehr aufnehmen wollte. Mag sein, vielleicht hatten sie sogar Recht. Aber wir wurden auch vom Abschaum der Schweiz unterrichtet. Von katholischen Priestern, die aus nur vage bekannten Gründen hierher abgeschoben worden waren. Der eine soff wie ein Berserker und schlief während des Unterrichts über seinem Pult ein, andere fassten den Zöglingen beim kollektiven Waschen an den Hintern. Sie bestätigten erneut alle Klichees. Glauben Sie den Erfahrungen von Tausenden belästigter Jugendlicher in katholischen Anstalten, Sakristeien und in den Garderoben der Schweizer Gardisten im Vatikan: Pädophile Geistliche sind kein Klichee, sondern eine weit verbreitete Landplage. Vertrauen Sie nie Ihre Kinder einem katholischen Priester an!

In unserem Internat schliefen siebzig Jungs in einem riesigen Schlafsaal, Bett an Bett, nur mit Vorhängen getrennt. An Schlaf war nicht zu denken, man musste immer mit Überfällen und Racheakten rechnen. Einige Jungs wurden ganz übel drangenommen: Einer aus Graubünden wurde eines Nachts von vier Schülern im Schlaf überrascht und festgehalten, während ein Fünfter ihm eine Tube Senf in den After drückte. Ich glaube, es war sogar der extrascharfe Dijon der Firma Thomy. Es war also ratsam, bis nach Mitternacht wach zu bleiben, um Überfälle rechtzeitig zu bemerken. Für mich war das ein ziemlicher Stress, weil ich ja auf einem Ohr nichts mehr hörte und man mit nur einem Ohr schlecht wahrnehmen kann, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. Die Nächte waren überhaupt sehr unheimlich, denn siebzig Jungs stöhnten, schnarchten, murmelten im Traum oder masturbierten in der Dunkelheit. Das war ein bisschen Script Avenue in den Anfangsjahren.

Präfekt Castafiori (Name geändert) erschien jeweils gegen Mittag und starrte mich vorwurfsvoll an. Seine Lippen wurden dabei schmal wie ein Rasiermesser. Castafiori war das Morgenübel, das Nadelöhr vor den Waschtrögen, und jeder musste mit nacktem Oberkörper an ihm vorbei zu den langen Lavabos, die aussehen wie Kuhtränken. Hier putzt man sich die Zähne und wäscht sich den Nachtschweiß vom Körper. Castafiori spricht nie, er ist bloß ein weiterer schwarzer Sack mit kleinen, aufmerksamen Augen. Manchmal lächelt er verschmitzt, wenn seine Lieblinge an ihm vorbeigehen. Ich bin sicher, er atmet ihren Körpergeruch ein. Manchmal tätschelt er einem auf das Hinterteil und grinst schelmisch. Einige rächen sich an ihm und stülpen ihm nachts mit Sperma gefüllte Präservative über die Türfalle seines Zimmers. Nur wenige Schüler dürfen abends sein Zimmer betreten. Dort gibt es eine Menge Alkohol, in diesem Zimmer wird nie über Gott gesprochen, in diesem Zimmer gibt es gar keinen Gott.

Herr, wir haben gesündigt

Ich war einmal dabei, wir waren zu viert. (…)

Ende des Textauszuges. 


 

#chronos (1903)

 

great-train-robbery-1903-grangerNachdem die Eisenbahn die meisten Grossstädte miteinander vernetzt und das Leben beschleunigt hatte, begann der Siegeszug des motorisierten Individualverkehrs. Henry Ford gründete 1903 in Michigan mit 100 000 Dollar die Ford Motor ­Company, revolutionierte die Fliessbandtechnik und machte als Verfasser des antisemitischen Essays «The International Jew» von sich reden.

Im gleichen Jahr ratterte die berühmte ­Schauspielerin Anna Held mit ihrem futuristischen De-Dion-Bouton-Motordreirad durch ­Milwaukee und entflammte die Leidenschaft zweier Männer. Für ihr Motorrad. William Harley und Arthur Davidson zeichneten die erste ­Konstruktion eines eigenen 116-cm³-Motors und bezogen einen Schuppen hinter dem Haus. Vier Jahre später gründeten sie die «Harley-Davidson Motor Company of Milwaukee», die heute eine Marktkapitalisierung von 13 Milliarden hat.

In England setzten die beiden technikbesessenen Buben eines protestantischen Bischofs zum Höhenflug an. Zuerst flickten sie Fahrräder, ­verkauften die ersten Velos mit zwei gleich ­grossen Rädern, und entwickelten erste Flug­geräte. Die unverheirateten «Wright Brothers» gingen als Pioniere des ersten gesteuerten ­Motorflugzeugs in die Geschichte ein. Doch ­sieben konkurrierende Flugzeugpioniere bestritten diese Pionierleistung. Der Erfolg hat viele Väter, der Misserfolg bleibt ein Waisenkind.

Im russischen ­Kischinew mündete die von Armut und Arbeitslosigkeit geprägte Wirtschaftskrise in einen dreitägigen Massenpogrom von russischen Christen gegen Juden. Nach internationalen Protesten schritten die Behörden ein und ­Theodor Herzl organisierte in Basel den ersten Zionistischen ­Weltkongress.

In England wurde die «Women’s Social and Political Union» ­gegründet. In Berlin beschloss die internationale Währungskonferenz einen festen Wechselkurs zwischen Silber- und Goldwährungen.

Im Vatikan starb Papst Leo XIII. im Alter von 93 Jahren, nachdem er 86 päpstliche Rund­schreiben verschickt und mindestens so viele ­Fässer Vin Mariani genossen hatte. Das war ein berauschendes Getränk aus Rotwein und ­Extrakten des ­Coca-Strauches, dem historischen Vorläufer von Coca-Cola. Möglicherweise ­euphorisiert von ­diesem edlen Tropfen, verlieh ihm Papst Leo XIII., kraft seines Amtes, eine ­Goldmedaille, worauf Leo XIII. fortan die Etikette des Vin Mariani schmückte.

Edwin S. Porter drehte den ersten Western der Filmgeschichte, «The Great Train Robbery». In 14 realistischen Szenen erzählte Porter die Geschichte des Grossen Eisenbahnraubs und gilt seitdem als Pionier der Filmerzählung und ­Montagetechnik. In Farbe war natürlich nur das Filmplakat. Der Film hatte eine rekordverdächtige Länge von zwölf Minuten.

In der Schweiz wurde der erste Hooligan aktenkundig, ein Italiener namens Benito ­Mussolini, der im Polizeirapport als «notorischer, marxistischer Unruhestifter» bezeichnet wurde.

Dass die Auferstehung von den Toten ­durchaus möglich ist, bewies der 1893 ­verstorbene Sherlock Holmes, der in den ­Reichenballfällen den Tod fand und nach der ­Kündigung von 20 000 zornigen Abonnenten wieder zum Leben erweckt werden sollte. Obwohl Arthur Conan Doyle nicht nur Autor, sondern auch Arzt war, weigerte er sich, zu reanimieren: «Wenn ich ihn nicht töte, wird er mich ­umbringen!» Er stellte deshalb unerfüllbare ­Honorarforderungen, doch das Magazin erfüllte sie, und als selbst Doyles Mutter sich den ­Protesten anschloss, wachte Sherlock Holmes im Jahre 1903 in «The Return of Sherlock Holmes» wieder auf. «Elementary, my dear Watson.»

Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. www.cueni.ch © Basler Zeitung