Faust Gottes

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Sie nennen ihn liebevoll «Pacman», den kleinen Boxer mit dem grossen Kämpferherzen, den Aufsteiger aus den Slums von General Santos City im Süden der Philippinen. Als Emmanuel Dapidran Pacquiao (37) Mitte der achtziger Jahre mit dem Boxen begann, musste er Geld verdienen, um seine Familie zu ernähren. Er sammelte leere Flaschen im Müll. Für seinen ersten Fight erhielt er zwei Dollar.

Seitdem schreibt er Sportgeschichte. In acht Gewichtsklassen wurde er Weltmeister. Letztes Jahr verdiente er laut Forbes 160 Millionen Dollar und besass eine halbe Milliarde Vermögen. Das US-Magazin Time nahm ihn 2009 in das Ranking der hundert einflussreichsten Persönlichkeiten auf. Selbst Boxlegenden wie Muhammad Ali sind von seinem schnellen, aggressiven Stil begeistert, von seinem erbarmungslosen Nachsetzen, wenn der Gegner zu taumeln beginnt. «Pacman» prügelt sich wie ein Strassenkämpfer durch den Ring. Wenn er boxt, sitzt die Nation vor dem TV. Die Kriminalitätsrate sinkt dann auf nahezu null.

Am 9. April dieses Jahres besiegte er in der legendären MGM Grand Garden Arena von Las Vegas Timothy Bradley und verkündete anschliessend seinen Rücktritt vom Boxsport. Er wolle sich ab jetzt seiner Politkarriere widmen. Sie hatte 2010 begonnen, als er nach einer ersten, misslungenen Kandidatur mit 80 Prozent der Stimmen zum Regierungschef der südlichen Provinz Sarangani gewählt und Abgeordneter im Kongress geworden war.

«Anarchie der Familien»

Jetzt hat er die nächste Stufe der Karriereleiter erklommen. Vor drei Tagen wurde er in den Senat gewählt, in sechs Jahren darf er für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren. Er hat gute Chancen, denn die geringe Institutionalisierung der Parteien führt oft zu spontanen Parteiwechseln. Die Wähler entscheiden sich nicht für Parteien, sondern für Celebrities oder für Mitglieder der elitären Grossfamilien, die seit Jahrhunderten Politik und Gesellschaft dominieren und oft auch Gatten und Kinder an den Schaltstellen der Macht platzieren.

Pacquiaos Ehefrau Jinkee ist bereits Vizegouverneurin der Provinz Sarangani, und niemand zweifelt daran, dass auch ihre fünf Kinder früher oder später politische Ämter bekleiden werden. Die «Anarchie der Familien» führt dazu, dass die reichen Clans ihren Nachwuchs gleich durchnummerieren, wie das bei Herrschern üblich ist (und bei Päpsten üblich war). Der amtierende Präsident Benigno Aquino III. «erbte den Thron» von seiner Mutter Corazon Aquino. Sie war die Ehefrau von Benigno Aquino Jr., der als Oppositionsführer erschossen worden war. Nicht ungewöhnlich für ein Land, das in den letzten zwölf Jahren während der Wahlkämpfe jeweils 120 bis 310 Tote zu beklagen hatte. Nicht umsonst nennt man die Philippinen den «Wilden Westen Asiens».

Pacquiao hat seine Politikkarriere minutiös geplant, mittlerweile behauptet er, Gott habe das entschieden. Der liebe Gott war nicht immer präsent im Leben dieses Mannes, der von klein auf erfahren musste, dass es angesichts der erbärmlichen Armut in seinem Land weder einen barmherzigen noch einen allmächtigen Gott geben konnte. Seinen kometenhaften Aufstieg feierte das Energiebündel mit ausgelassenen Partys, reichlich Alkohol und als rastloser Frauenheld.

Doch eines Tages war schlagartig Schluss, wie sein damaliger Trainer Freddie Roach dem britischen Guardian erzählte : «He doesn’t party any more, doesn’t drink anymore, doesn’t fuck around with girls no more.» Was war geschehen, dass Pacquiao plötzlich auf Partys, Alkohol und One-Night-Stands verzichtete?

Ob es unmittelbar nach einem besonders harten linken Haken in einem Boxkampf geschah, ist nicht bekannt – auf jeden Fall berichtet Pacquaio mit kindlicher Begeisterung, dass er zwei Engel erblickt habe – weiss, mit grossen Flügeln. Dann sei ihm auch noch der Chef persönlich erschienen, Gott. Pacquiao suchte keinen Neurologen auf, sondern legte den Rosenkranz seiner erzkatholischen Mama Dionisia beiseite und wurde evangelikaler Christ. Seitdem ist er per du mit dem Allmächtigen und beginnt angeblich zu zittern, wenn er seine Ankunft spürt. Pacquiao sagt, dass er jetzt viele Träume und Visionen habe, deshalb wolle er sich seit Beendigung seiner Boxkarriere nur noch nach den Befehlen Gottes richten.

So wie mancher Kettenraucher nach erfolgreichem Entzug militanter Nichtraucher wird, mutierte Lebemann Pacquiao zum ultrareligiösen Eiferer, zum militanten Prediger. Er ersetzte Trainerlegende Roach durch den Prediger Dudley Rutherford und zitiert seitdem in jedem Interview religiöse Kalendersprüche. Das ist beinahe schiefgegangen. Im Februar verpasste sich Pacquiao mit einer Bemerkung fast selbst einen K.-o.-Schlag. In einem Fernsehinterview behauptete er, dass Homosexuelle «schlimmer als Tiere» seien. Er erlebte darauf einen Shitstorm. In einer Umfrage danach verlor er vorübergehend 12 Prozentpunkte.

Pacquiao entschuldigte sich darauf eher halbherzig. Doch dann läutete er eine weitere Runde ein und sagte, er habe nur die Bibel zitiert: Homosexuelle verdienten gemäss der Bibel den Tod. 3. Mose 20,13. Punkt. Er habe nur die Wahrheit gesagt, die Wahrheit aus der Bibel, und er würde nur Gottes Befehl gehorchen.

Amerikanische Sportgrössen distanzierten sich von «Pacman». Hauptsponsor Nike nannte die Äusserungen «absolut widerwärtig» und kündigte mit sofortiger Wirkung die Zusammenarbeit: «Wir haben keine Beziehung mehr zu Manny Pacquiao.» Andere Sponsoren zogen nach. Für den grössten privaten Steuerzahler der Philippinen war dies freilich nur ein kleiner Parkschaden.

Religiöse Eiferer sind selten konsequent. Es ist nicht überliefert, ob Gott Pacquiao eingeflüstert hatte, Steuern zu hinterziehen. 2009 schuldete er dem Steueramt rund 300 Millionen Dollar, seine Konten wurden eingefroren, das Steuergericht verfügte einen Pfändungsbeschluss. Aber selbst als man ihn längst überführt hatte, stritt Pacquiao alles ab: «Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten?» (Psalm 27,1)

Konvertiten aller Couleurs vereint die Vehemenz, mit der sie ihre neue, extremistische Ideologie vertreten. Es ist, als ob sie befürchteten, auch von diesem neuen Glauben wieder abzufallen. So wie Wahhabiten genau nach dem Leben des Propheten leben wollen, aber dennoch Mobiltelefone benützen und sich die Zähne bei Ungläubigen flicken lassen, so will auch Pacquiao die Bibel nicht als Patchwork aus geschichtlichen Ereignissen und historisierenden Mythen verstehen, sondern als genaue Anleitung für ein Leben im 21. Jahrhundert.

Gegen Sexualaufklärung

Was man von einem Senator Pacquiao in den nächsten sechs Jahren erwarten darf, darauf weist sein Leistungsausweis als Kongressabgeordneter hin. Obwohl die Philippinen gemäss Unicef zu jenen zehn Ländern gehören, die am meisten mangelernährte Kinder unter fünf Jahren aufweisen, opponierte Pacquiao gegen jegliche Form von Geburtenkontrolle und Sexualaufklärung: Die Überbevölkerung sei gottgewollt. Mit solchen Einsichten wurde er zum religiösen Maskottchen der kirchlichen Institutionen. Mit Genugtuung nahmen sie zur Kenntnis, dass Pacquiao die Kandidatur von Rodrigo Duterte für das Amt des neuen Staatspräsidenten nicht unterstützen wollte. Duterte hatte den Papst einen Hurensohn genannt. Doch wenige Tage vor dem Urnengang wechselte Pacquiao ins Lager des umstrittensten Kandidaten. Schliesslich will er ihn in sechs Jahren im Präsidentenamt beerben.

Einige Medien kritisieren, dass Pacquiao nicht die geringste Ahnung von den zu behandelnden Dossiers habe und sich mehr für seine Karriere als Sänger, Model, Schauspieler und Prediger interessiere. Ein Journalist schrieb, er finde das nicht so schlimm. Als Kongressabgeordneter sei «Pacman» an nur vier von 179 Sitzungen erschienen. Er hoffe, dass Pacquiao auch als Senator nicht öfter erscheinen werde.

Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. In seinem zuletzt erschienenen Roman «Pacific Avenue» beschreibt er zwei Reisen auf die Philippinen, eine im Jahre 1521 an Bord von Magellans «Trinidad» und eine im Jahre 2015 zu seiner philippinischen Verwandtschaft.

© Die Weltwoche; 12.05.2016; Ausgaben-Nr. 19; Seite 54

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