»Gehet hin und tötet«, Textprobe Seiten 1-3

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Textprobe Seiten 1-3

Der Roman erschien in deutscher Spache erstmals als Hardcover bei Heyne München, später bei Lenos unter dem Titel »Der Bankier Gottes«.


VATIKANSTADT  Seiten 1-3

»Es ist nur ein Gerücht«, versuchte Luigi Albertini den alten Mann zu beschwichtigen. Doch jetzt war es zu spät. Er hatte es ausgesprochen, dieses Gerücht, und nun saß der ausgemergelte Greis mit dem schütteren Haar wie eine Mumie in seinem Barocksessel. Er erhob mühsam die rechte Hand für eine abwehrende Geste, als wollte er andeuten, dass es nun genug sei. Die Hand sank kraftlos auf die Armlehne zurück. Die Augen in den tiefliegenden Höhlen waren starr auf die Wand gerichtet. Der alte Mann hatte Angst. Vereinzelte Regentropfen klatschten gegen die hohen Glasfenster der päpstlichen Privatgemächer. Der Petersdom erwachte im Morgengrauen. Nichts würde mehr so sein wie vorher. Luigi Albertini kniete neben dem Heiligen Vater nieder und wiederholte, dass es doch nur ein Gerücht sei. Albertini war ein gutaussehender Mann von knapp vierzig Jahren, sportlich durchtrainiert und kein gewöhnlicher Diplomat des Heiligen Stuhls. Er war als Nuntius mit Spezialauftrag direkt dem Papst unterstellt. Er war der Nunzio Apostolico Con Incarichi Speciali, der Geheimagent des Papstes. »Ich dachte«, sprach der alte Mann mit heiserer Stimme, »ich würde diesen Sommer nicht mehr erleben. Der Herr würde mich vorher zu sich rufen. Er hat es nicht getan. Manchmal fragte ich mich, ob er mich wohl vergessen hat. Ob auch Gott Dinge vergisst. Doch jetzt ergibt alles einen Sinn.« Dem Heiligen Vater versagte die Stimme. Er hustete, versuchte den Schleim aus den verklebten Bronchien zu lösen. Ein paar Speicheltropfen schlierten über die schmalen Lippen. Er ließ es geschehen. Er hatte ein Leben lang versucht, mit dem Rauchen aufzuhören, aber er hatte es nie geschafft. Weder Gebete noch Kehlkopfoperation, noch Chemotherapien hatten ihn zur Vernunft gebracht. Und dennoch gab es nicht ein einziges Foto, das ihn mit einer Zigarette zeigte. Die beiden Männer schwiegen für eine Weile. Zwei Spatzen setzten sich auf den Fenstersims und schüttelten das kalte Nass aus ihrem Gefieder. Erst jetzt fiel dem Papst auf, dass die Spatzen oft zu zweit auf seinem Fenstersims landeten und dass er sein Leben allein verbracht hatte. Eine tiefe Melancholie erfasste ihn. »Dann ist es jetzt so weit«, flüsterte der Heilige Vater. »Es ist wirklich nur ein Gerücht, Eure Heiligkeit«, wiederholte Luigi Albertini, »es stammt von den Leuten, die sich in Rom in der Basilika San Clemente treffen.« Er erhob sich und trat einen Schritt zum Fenster. Eine Straßenkehrmaschine fuhr lärmend über den morgendlichen Petersplatz und verscheuchte die Vogelschwärme. Dann knatterte der Motor, und schwarzer Rauch entwich dem Auspuff. Die Maschine blieb stehen. Der Mann von der Straßenreinigung stieg aus und zündete sich eine Zigarette an. In Italien gewöhnt man sich daran, dass nichts funktioniert. Schwarzer Rauch über dem Petersplatz, dachte Luigi Albertini. Er glaubte nicht an Vorzeichen. Er würde sich später an die Straßenkehrmaschine erinnern, die Vogelschwärme, die Glocken, die zur Frühmesse läuteten, den bröckelnden Kitt im Fensterrahmen, das Wasser, das sich innen auf dem Fenstersims sammelte und an der Tapete entlang hinuntertropfte und in den Teppich sickerte. Er würde sich erinnern, dass der Papst dagesessen hatte, mit offenem Mund, unbeweglich und mit düsterem Blick, als würde er von einer diabolischen Sinnestäuschung heimgesucht, als sehe er eine gewaltige Flutwelle auf sich zurollen, gigantische Wellen, die sich zu einem Berg auftürmen und ihn für immer wegspülen würden. Der Papst hatte Angst. War sein Glaube zu schwach? Es gibt Nachrichten, die keine Reflexe mehr auslösen, keine Fluchtbewegung, kein Aufbäumen, keinen Protest, kein Flehen, kein Bitten. Es gibt Nachrichten, deren Tragweite man sofort begreift, weil sie endgültig sind. Irreversibel. Man begreift sie mit dem ganzen Körper. Albertinis Nachricht war eine solche. Der Heilige Vater wusste an jenem Morgen sofort um die Bedeutung von Albertinis Worten. Er erinnerte sich, wie man ihn als frisch gewählten Papst in den geheimen Archiven des Vatikans eingeschlossen und ihn gebeten hatte, die Siegel eines Dokuments zu brechen, um die letzten Geheimnisse zu erfahren. Er hatte alles gelesen, bis in die frühen Morgenstunden. Danach hatte er das knapp zweihundertseitige Dossier eigenhändig wieder versiegelt, zu Händen seines Nachfolgers. Doch jetzt fragte er sich, ob es nach ihm noch einen Nachfolger geben würde. Denn das Gerücht war in Umlauf gesetzt worden. Bald würde es sein blindwütiges Zerstörungswerk in Gang setzen.


Textprobe 2


LIBYEN  

Gleißendes Licht blendete die beiden nackten Männer, die mit spitzen Speeren in die zerfallene Arena des Amphitheaters von Leptis Magna getrieben wurden. Über dem Tor zur Arena standen Männer mit schwarzen Anzügen und dunklen Sonnenbrillen. Ein frischer Wind wehte vom Meer her über die Ruinen des einst so berühmten Theaters. Auf den erhöhten Rängen waren bewaffnete Männer postiert. Eine Flucht war ausgeschlossen.

»Männer«, begann Salvatore Calame mit lauter Stimme, »vor der Asche unseres verstorbenen Bruders Don Antonio Calame werdet ihr einen ehrenhaften Kampf auf Leben und Tod ausführen, so wie es seit den Etruskern Brauch ist. Bedenkt, dass dieser Kampf eine religiöse Handlung darstellt. Mit eurem Blut werdet ihr den Geist des Verstorbenen versöhnen. Wir opfern euer Blut unserem geliebten Don Antonio Calame.«

Furio und Francesco warfen den beiden nackten Männern je ein römisches Kurzschwert, einen Gladius, zu und zogen sich rasch zurück.

»Wir werden niemals gegeneinander kämpfen«, schrie Frank Bohne zu den Männern auf den Rängen. Der Don antwortete nicht. Man hörte nur das Meer, den Wind, und es war weit und breit keine Menschenseele, die den beiden hätte zu Hilfe eilen können. Bohne schaute verzweifelt zu Lustrinelli. Dieser bückte sich nach seinem Gladius. Blitzschnell ergriff auch Bohne seinen Gladius und wich ängstlich zurück. Frank Bohne umklammerte die Waffe mit zitternder Hand. Er hatte Angst. Er war in allen sportlichen Dingen immer schon sehr ungeschickt gewesen. In seiner Playstation war er unbesiegbar. Aber das hier war kein Spiel. Er war irgendwelchen Irren in die Hände geraten. Gleich würde etwas Unglaubliches, etwas schier Unfassbares geschehen. Sie waren hier in Libyen und würden sich gleich einen Gladiatorenkampf auf Leben und Tod liefern. Und das im einundzwanzigsten Jahrhundert! »Das ist der blanke Irrsinn«, schluchzte King Cruel und zeigte den Männern auf den Rängen sein verweintes Gesicht, »lasst es jetzt gut sein! Ich halte das nicht mehr aus!«

»Ich werde nicht gegen dich kämpfen, Junge«, schrie Lustrinelli mit fester Stimme. Die Hitze machte ihm zu schaffen. Er machte ein paar Schritte nach vorne. Plötzlich hielt er inne: »Ich werde keinen Menschen töten«, flüsterte er leise.

»Ich auch nicht«, schluchzte Bohne, »ich kann das nicht.«

»Wenn sie uns töten wollen, sollen sie es tun«, sagte Lustrinelli, während er ein paar weitere Schritte auf Bohne zuging.

»Wir werfen einfach unsere Waffen weg«, sagte Bohne. Seine Stimme überschlug sich. Es war so erbärmlich hier zu stehen, nackt in der glühenden Sonne, und um sein Leben zu winseln. Lustrinelli zeigte keinerlei Regung. Nackt stand er vor dem Programmierer und wartete. Lustrinellis Unerschrockenheit machte Bohne Angst. Ein böser Traum, fuhr es Bohne durch den Kopf, es ist alles nur ein böser Traum. In diesem Moment durchbohrte Lustrinellis Gladius seinen Bauch. Lustrinelli hatte derart wuchtig zugestoßen, dass er den Halt verlor. Er sackte vor dem verblüfften Programmierer in die Knie und schaute zu ihm hoch. Sein Gladius hatte Bohnes Weichteile oberhalb der linken Hüfte durchbohrt. Lustrinelli wollte den Gladius wieder aus dem Fleisch ziehen, aber Bohne hielt das Schwert fest. Er schaute zu den Rängen hoch. Wabernde Luft verzerrte die schwarzen Gestalten bis zur Unkenntlichkeit. Er sah, dass sie sich ihm näherten, wie stumme Geister aus der Unterwelt. Nur nicht den Gladius herausziehen, dachte Bohne. Ein wildes Schnauben ließ ihn aufhorchen. Furio und Francesco hatten einen Stier in die Arena getrieben. Einen Stier! Es war noch nicht vorbei.

»Lebend werde ich euch von größerem Nutzen sein!«, schrie Lustrinelli, so laut er konnte. »Du besudelst das Andenken des Verstorbenen«, schrie Salvatore in die Arena hinunter, »steh auf, und kämpfe wie ein Mann.«

Dann erhob sich Lustrinelli und wandte sich dem Stier zu. Der Deutsche torkelte rückwärts, als habe er sich noch nicht entschieden, ob er langsam verbluten oder sofort tot umfallen wollte. Unterdessen senkte der Stier seinen monströsen Schädel und scharrte mit dem Fuß im Staub der Arena. Da brüllte Lustrinelli, so laut er konnte: »Sol invictus!«

Der Stier setzte eine Tonne Körpergewicht in Bewegung und donnerte mit stampfenden Hufen auf Lustrinelli los, der erneut »Sol invictus« brüllte.

Mehrere Schüsse peitschten über die Arena. Lustrinelli ging zu Boden und versuchte mit seinem linken Arm sein Gesicht zu schützen. Er sah, wie der Stier vor ihm einknickte. Der schwere Kopf wurde zu Boden gedrückt, während das Hinterteil des Stiers zuerst in die Höhe flog und dann seitlich verkrümmt mit einem dumpfen Schlag auf der Erde aufschlug, während laufend weitere Schüsse abgefeuert wurden. Nach einer Weile richtete sich Lustrinelli auf. Er keuchte und rang nach Luft. Er war unverletzt. Der Stier vor ihm lag im Sterben. Blut floss aus seinem weit aufgerissenen Maul. Dann verdrehte das Tier die Augen, die Zunge glitt heraus. Lustrinelli roch den dampfenden Geruch von warmem Blut. Der Präsident der italienischen Nationalbank wollte aufstehen. Es ging nicht. Seine Knie waren wie aus Watte. Er war unverletzt, aber er konnte sich nicht mehr rühren. Salvatore kam allein die Stufen der Arena herunter. Er blieb vor dem knienden Lustrinelli stehen.

»Was weißt du über die Dinge, die jeder sieht und keiner ahnt?«, fragte Salvatore leise.

»Sol invictus«, antwortete Lustrinelli leise und senkte sein Haupt. Er wollte leben, einfach nur leben.

»Du bist keiner von uns«, flüsterte Salvatore, »wer hat es verraten?«

»Dario Baresi, der Neapolitaner, der in London mit Gold handelt.«

»Dario Baresi«, flüsterte Salvatore fassungslos, »er bricht den Schwur …«

»Ich habe ihm das Gold des Heiligen Stuhls übergeben. Im Auftrag des Vatikans.«

»Der Vatikan hat sein Gold Don Calame anvertraut, wir haben es dir anvertraut. Und du hättest es uns zurückgeben müssen.«

»Nein. Es ist das Gold des Vatikans.«

»Es wäre an Don Calame gewesen, dieses Gold an den Vatikan zurückzugeben. Wir hätten eine Lösung gefunden. Aber du hast dem Vatikan geholfen, sich von Don Calame zu lösen. Dabei verdankst du alles, was du bist, Don Calame. Aber du hast es vergessen. Du verleugnest ihn und lässt ihn im Stich. Du verrätst unsere Freundschaft.«

»Ich konnte nicht anders«, stieß Lustrinelli aus, »es war die strikte Anweisung des Vatikans, das Gold an Dario Baresi zu übergeben. Aber Dario Baresi ist doch einer von euch!«

»Nein, er war einer von uns. Baresi ist wie du. Durch uns ist er geworden, was er ist. Er hat den Auftrag des Vatikans erhalten, weil er sich von uns losgelöst hat. Und jetzt hat er sogar den Vertrag gebrochen. Sol invictus.«

»Sol invictus, aber ich werde es nicht verraten. Ich weiß nichts über eure Bräuche und Ziele.« »Schweig, Lustrinelli. Du wirst uns zu Dario Baresi führen. Er versteckt sich. Wer weiß, vielleicht hat Sol invictus heute tatsächlich dein Leben gerettet.« Salvatore blinzelte in die Sonne, als erwarte er von ihr eine Antwort. Die Hitze war drückend.


Textprobe 3


»Kennen Sie die Filme von Sergio Leone?«

»Ja.«

Albertini schüttelte genervt den Kopf. Was soll die Frage?

»The Good, the Bad and the Ugly, 1966. Mein Geburtsjahr. Ich habe alles gesehen, was damals in die Kinos kam. Aber nur bei diesem Film musste ich weinen. Bei einer Szene.« Francesco atmete tief durch und schaute durch das Panoramafenster in den Garten hinaus. Er kannte Furios Part auswendig.

»Es gibt da eine Szene im Strafgefangenenlager der Nordstaatler. Die gefangenen Südstaatler müssen draußen Musik spielen, The Story of a Soldier, während drinnen in der Holzbaracke Tuco gefoltert wird.«

»Geht’s nicht etwas kürzer?«, unterbrach ihn Francesco.

»Writing is re-writing, ich finde, die Szene wird jedes Mal besser.«

Furio wandte sich wieder Albertini zu, der sich allmählich unwohl fühlte.

»Eli Wallach wird in der Holzhütte zusammengeschlagen, gefoltert, der arme Kerl verliert sogar einen Zahn … und am Ende, und genau darauf will ich hinaus, gesteht er doch alles. Gesteht, wo der Goldschatz vergraben liegt. Und da fragt sich der Zuschauer, wieso zum Teufel hat der arme Kerl nicht sofort geplaudert? Dann hätte er noch all seine Zähne, hm?« Furio grinste breit. Francesco zuckte die Schulter. Er gab Furio recht. Das war eine neue Wendung. Eine eindeutige Verbesserung.

»Aber dann holen sie Clint Eastwood rein«, sagte Francesco und setzte die Erzählung fort, »weil Eli Wallach gesagt hat, der Goldschatz ist auf dem Friedhof vergraben, aber nur der Blonde weiß, in welchem Grab. Und es gibt Tausende von Gräbern da draußen. Also holen sie den Blonden rein. Clint Eastwood. Er sieht das Blut am Boden. Und erneut beginnt die Musik zu spielen …«

»Ja, und jetzt machen wir uns Sorgen«, brummte Francesco wie zu sich selbst. Furio fuhr fort: »Und Clint Eastwood sagt: ›Wollen Sie mir die gleiche Behandlung zukommen lassen?‹ Dabei wäre es schöner, wenn er sagen würde: ›Spielt die Musik für mich?‹ Stellen Sie sich das mal vor. Clint Eastwood kommt rein. Die Musik beginnt zu spielen, und er fragt: ›Spielt die Musik für mich?‹« Furio nahm einen Schluck Wasser und wischte sich die Lippen ab. Nach einer Weile fragte Luigi: »Worauf wollen Sie hinaus?«

»Wir werden dir sehr weh tun, Luigi.«


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