Claude Cueni – Quarantäneprofi
Schweizer Autor, 64 Jahre alt, lebt in Basel.
Claude Cueni – Sie erkrankten 2009 an einer akuten lymphatischen Leukämie (ALL), 2010 folgte eine Knochenmarktransplantation. Seitdem leiden Sie unter einer chronischen Graft-versus-Host-Disease (GvHD). Das heisst, bei Ihnen wird vor allem die Lunge abgestossen. Um dies zu verhindern, wird ihr Immunsystem künstlich niedergehalten. Das macht Sie anfällig für Infekte. Können Sie sich an den Moment erinnern, als Sie realisierten, dass es für Ihre Gesundheit am besten ist, in Quarantäne zu leben?
Seit 2009 verbringe ich jeden Winter freiwillig in der Quarantäne, aber als ich im August 2019 die Intensivstation verliess, sagten mir die Ärzte, ich müsse Infekte vermeiden, dann könne ich noch eine Weile leben, andernfalls könne es schnell vorbei sein. Seitdem lebe ich in einer Dauerquarantäne. Das ist der Preis fürs Überleben. Wenn auch ohne Garantie. Ich habe es rasch als Notwendigkeit akzeptiert und als neue Normalität abgehakt.
Was für Vorkehrungen haben Sie damals sofort getroffen?
Es bedeutet, dass man die Wohnung nur noch für Spitalbesuche verlässt und nach Beginn der Grippesaison keine Besuche mehr empfängt.
Welche Tipps können Sie anderen krebsbetroffenen Menschen geben, welche durch den Coronavirus nun auch nicht mehr in Kontakt mit anderen Menschen kommen sollten?
Die Krankheit macht mich nicht zum Experten. Ein strukturierter und abwechslungsreicher Tagesablauf mit Körperpflege, Fitness, Essenszeiten, Pilleneinnahme ist sicher hilfreich. Es braucht aber auch jemanden im nahen Umfeld, der einkauft und in der Apotheke die Rezepte einlöst. Wenn diese Person fehlt, liefern die Apotheken auch gerne nach Hause, die Grossverteiler sowieso, aber zurzeit gibt es Wartezeiten von ca. vier Wochen. Wenn Sie in der Nacht Krämpfe und Nervenschmerzen haben und früher aufstehen, was bei mir meistens der Fall ist, beginnt der Tagesablauf einfach zeitverschoben.
Claude Cueni, was machen Sie als Quarantäne-Profi persönlich gegen den Blues?
Ich singe Songs aus den 1970ern und 1980ern, denn man kann nicht singen und sich gleichzeitig sorgen. Songs, die man als Teenager gehört hat, öffnen das Tor zur Erinnerung. Man fühlt sich in die Zeit zurückversetzt als das Leben noch unbeschwert und frei von Krankheiten war. Jeder muss seine eigene Strategie finden. Songs sind ein Versuch wert. Online Bücher und Zeitungen lesen, Filme, Dokus und Serien schauen, Computerspiele, kochen… alles was ablenkt, kann hilfreich sein. Man muss sich nicht mit Dingen beschäftigen, die man eh nicht ändern kann. Ändern kann man nur die Einstellung dazu.
Vermissen Sie die Gesellschaft anderer Leute nicht?
Ja, manchmal, wenn jemand eine Mail schickt und schreibt, er würde mich gerne wieder einmal zu einem Kaffee treffen. Oder wenn ich interessante Einladungen erhalte. Aber ich hatte nie einen grossen Freundeskreis. Als meine erste Frau starb und ich sechs Monate auf der Isolierstation lag, konnte ich anschliessend meine Freunde an einer Hand abzählen. Niemand dachte, dass ich überlebe. Man stirbt im Bekanntenkreis meistens bevor man gestorben ist.
Wie pflegen Sie dennoch Kontakte?
Ich lebe seit zehn Jahren eine sehr harmonische Ehe mit meiner Frau Dina. Der wichtigste Aussenkontakt ist mein Sohn. Obwohl er als Strafrichter und Mitinhaber einer Anwaltskanzlei ein volles Programm hat, ruft er mich täglich mehrmals an und wir unterhalten uns eine oder zwei Stunden über Gott und die Welt. Wichtig sind auch die Kontakte über die sozialen Medien. Ich habe über Facebook zwei Freunde gefunden, die ich nicht mehr missen möchte. Über den Messenger tauschen wir uns täglich mehrmals aus und schicken uns interessante Zeitungsartikel. Wir haben viel Humor.
Was macht Isolation mit uns Menschen?
Das, was man mit sich machen lässt. Wenn man viel mit sich alleine ist, braucht es unbedingt eine „Second Opinion“, damit man seine Standpunkte überprüfen kann. Sonst kann man sich verrennen und wird ein schrulliger Kauz.
Die nächste Frage hat nichts mit Corona und Quarantäne zu tun, vielmehr mit Ihrer ursprünglichen Diagnose Krebs. Sind sie heute krebsfrei?
Die Leukämie ist bei mir schon sehr lange nicht mehr nachweisbar. Das Problem sind die Spätfolgen von Chemotherapien, Bestrahlungen und mittlerweile über 40.000 Pillen. Nebst Graft-versus-Host-Disease (GvHD) leide ich an einer „Bronchiolitis Obliterans“, einer rasch fortschreitenden Polyneuropathie und diversen anderen Spätfolgen.
Sehen Sie das Leben, wie Sie es heute führen, als Glück oder als Chance?
Weder Glück noch Chance. Ich kann einem Leben unter dem Damoklesschwert nichts Positives abgewinnen. Aber als Romanautor habe ich das Glück, in meine fiktiven Welten abtauchen zu können. Ich vergesse dann alles. Auch wenn ich nicht schreibe, denke ich über meine Figuren nach, als seien sie real. Ich bin seit frühester Kindheit mein eigener Hofnarr und sehr glücklich dabei.
Claude Cueni – gibt es etwas, dass die Krebsliga tun könnte, um Sie besser zu unterstützen?
Ich finde es sehr gut, dass es die Krebsliga gibt. Als ich an Leukämie erkrankte, sagte mir ein Frauenarzt, den ich erst seit einigen Monaten kannte: „Du brauchst jetzt einen Krankheits-Manager, du wirst bald nicht mehr in der Lage sein, bei all diesen Diagnosen und Behandlungen den Überblick zu behalten.“ Es braucht tatsächlich einen kompetenten Ansprechpartner ausserhalb des Spitalbetriebs, das kann auch die Krebsliga sein.
Ich wünsche allen Menschen, die an einem ähnlichen Schicksal leiden, vom Guten nur das Allerbeste.
Und wir wünschen Ihnen, lieber Herr Cueni, weiterhin viel Inspiration für Ihre Bücher. Mögen alle Viren von Ihren vier Wänden fernbleiben!