SRF Skype Interview: Quarantäne

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Das Coronavirus zwingt immer mehr Menschen ins Homeoffice oder sogar in die Quarantäne. Wie lange hält man das durch? Unter Umständen jahrelang, wie der Basler Schriftsteller Claude Cueni zeigt. Sein Immunsystem ist nahezu auf null. Das Skype-Gespräch führte Michael Perricone. Aufnahme: 11.3.2020 / Sendung 13.3.2020


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SRF: Herr Cueni, wie lange sind Sie jetzt schon in Quarantäne?

Claude Cueni: Ich bin seit Jahren über den Winter immer in Quarantäne – ich habe praktisch ein Generalabonnement. Ich bleibe in der Wohnung und gehe nicht raus. Ich habe keine Besucher.

Sie kommunizieren aber mit Leuten ausserhalb der Wohnung.

Natürlich. Ich habe Kollegen und Freunde, mit denen man sich austauscht, meistens über die sozialen Medien. Das geht prima.

Aber es ist schon eine Vereinsamung?

Ja, man wird zum Robinson. Aber ich bin ein Robinson mit einer grossartigen Frau, deshalb ist es nicht so schlimm.

 

Sie sind Schriftsteller, schreiben fast jährlich ein Buch. Was empfehlen Sie Leuten in Quarantäne, welche diese Inspiration nicht haben?

Man soll nicht auf Dinge fokussieren, die man nicht mehr tun kann, sondern darauf, was man tun kann. Es ist wie bei einer Speisekarte: Man findet dort keine Sachen, die man nicht bestellen kann. Man soll sich nicht wünschen, mit der Frau im Meer zu schwimmen oder mit dem Mountain-Bike im Elsass rumzufahren. Man muss solche Sachen einfach von der Liste streichen. Man macht sich bloss unglücklich, wenn man immer hadert.

 

Auch ins Ausland zu Reisen, ist für Sie seit Jahren keine Option mehr. Weshalb denn eigentlich?

Damit ich keine Keime oder Bakterien auflese. Diese Gefahr ist einfach zu gross. Ich war das Leben lang topfit, habe viel Sport gemacht. Aber nach dem Tod meiner ersten Frau bin ich an Leukämie erkrankt, hatte auch eine Knochenmarktransplantation. Die fremden Zellen stossen meine Organe ab, vor allem die Lunge. Deshalb erhalten Transplantierte Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken, damit es keine Abstossungen mehr gibt. Nur ist man dann empfänglich für allerlei, teilweise sehr schweren, Folgeerkrankungen. Das ist der Preis fürs Überleben. Bei mir wurden mittlerweile 60 Prozent der Lunge abgestossen, deshalb schaffe ich keine Höhe 1500 Meter.

Was würde denn passieren, wenn Sie sich mit Corona anstecken?

(Lacht) Das wäre wahrscheinlich das Ende. Das ist ja auch die Befürchtung bei den meisten Hochrisikopatienten. Und sie haben den Eindruck, dass der Bundesrat die Grenzen erst dann schliesst, wenn alle AHV-Bezüger tot sind.

Sie finden, die Massnahmen des Bundesrates sind zu zögerlich. 

Absolut. Wenn jeden Tag 70’000 Grenzgänger hereinkommen (aus Italien, Anm. der Red.) und nur ein Prozent infiziert wäre, dann sind das 700 Leute. Und man argumentiert ja damit, dass man diese Leute auch für das Gesundheitswesen braucht. Aber wenn dieses auch durchinfiziert würde, dann hätte das überhaupt keinen Nutzen gehabt.

Dennoch wirken Sie gelassen. 

Der ganz wichtige Punkt für meine Gelassenheit ist, dass ich dann eine Sterbebegleitung in Anspruch nehmen kann, wenn es so weit ist. Das verstehen die Leute, die dagegen sind, leider überhaupt nicht. Es fehlt ihnen wohl an Lebenserfahrung oder an Empathie. Aber das ist genau die Option, die den Alltag erträglich macht.

Welche Hoffnungen haben Sie? Doch nochmals um die Welt zu reisen? 

(Lacht) Ich denke nicht so weit. Ich denke daran, was ich heute mache und was ich morgen mache.

Seit zehn Jahren sind Sie in dieser Situation. Gibt es da nicht auch Momente der Verzweiflung?

Selten. Aber natürlich, es kommt vor. Dem kann man mit Strategien begegnen: Ich gehe dann meistens an den Computer und schreibe an einem Roman weiter. Oder ich sitze auf dem Sofa und singe Lieder.

 

Sie singen Lieder?

(Lacht) Oldies aus den 70er und 80er Jahren. Denn man kann nicht gleichzeitig singen und sich Sorgen machen.

 

Spüren Sie auch eine Solidarität oder finden Sie, die Leute seien zu Unachtsam?

Ich hörte kürzlich eine TV-Moderatorin nach dem Tod eines Corona-Patienten sagen, der Mann sei bereits 76-jährig gewesen, also nichts, das einem beunruhigen könnte. Das gibt mir schon zu denken.

 

Zum Schluss: Am 20. Juli kommt ihr neuer Roman raus. Wovon handelt er?

Von einer Pandemie! Aber das ist reiner Zufall, das fertige Buch wurde bereits im Oktober an der Frankfurter Buchmesse den Verlagen angeboten. Geschrieben habe ich es in den zwölf Monaten davor.

 

Gibt es ein Happy-End?

Das verrate ich Ihnen doch nicht.

 

 

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