108 Blick »Von linken und rechten Faschisten«

«Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‹Ich bin der Faschismus.› Nein, er wird sagen: ‹Ich bin der Antifaschismus.›» Das Zitat stammt vom italienischen Sozialisten Ignazio Silone (1900– 1978), nachzulesen in François Bondys Buch «Pfade der Neugier: Portraits».

Die Antifaschisten nennen sich heute «Antifa» und marschieren meist vermummt mit Slogans wie «Zürich nazifrei» durch die Strassen. Stehen die Nazis etwa kurz vor der Machtübernahme?

Im Jahr 2020 wurden gemäss dem Lagebericht 2021 des Nachrichtendienstes des Bundes 208 Ereignisse im Bereich Links- und 21 Ereignisse im Bereich Rechtsextremismus beobachtet. Bei den Gewalttaten wurden beim Linksextremismus 107 Fälle registriert, beim Rechtsextremismus ein Fall.

Hat etwa die Antifa die Schweiz bereits erfolgreich von den Nazis gesäubert? Oder macht sie aus einer überschaubaren Gruppe militanter Extremisten gleich eine halbe Armee, um ihre Saubannerzüge zu legitimieren und ihre Aktionen noch heldenhafter erscheinen zu lassen?

Rechtsextremisten und Linksextremisten sind Brüder und Schwestern im Geiste. Sie haben mehr Gemeinsamkeiten mit Mussolinis Schlägerbanden und der Prügeltruppe des russischen Innenministeriums (Omon), als ihnen lieb ist.

Der heute 86-jährige Horst Mahler sorgte in Deutschland als linker Terrorist für Furore, heute ist er Neonazi und Holocaustleugner. Er hält seine 180-Grad-Pirouette nicht für einen Seitenwechsel, sondern für eine Weiterentwicklung. Geblieben ist der Extremismus. Wechsel ohne Wandel gibt es auf beiden Seiten.

Der Engländer Matthew Collins gehörte einst zur rechtsextremen Combat-18-Gruppe, heute kämpft er gegen seine einstigen Kumpels.

Qaasim Illi, Vorstandsmitglied des Vereins Islamischer Zentralrat Schweiz (IZRS), wurde 2005 in Schaffhausen wegen des Besitzes von verbotener Pornografie mit menschlichen Ausscheidungen verurteilt. 2020 trägt er Bart und wird wegen Veröffentlichung zweier islamistischer Propagandavideos verurteilt.

Was die meisten linken und rechten Extremisten oft gemeinsam haben: Antisemitismus, Antikapitalismus, Demokratiefeindlichkeit und Missachtung der Meinungsfreiheit. Einem totalitären Staat sind sie selten abgeneigt. Sofern sie alleine am Steuer sitzen.


Claude Cueni schreibt jeden zweiten Freitag im Blick. Zuletzt erschienen im Verlag Nagel & Kimche die Romane «Genesis» (2020) und «Hotel California» (2021).

Im August 2022 erscheint der Thriller »Dirty Talking«.

107 Blick »Tote Pferde kann man nicht reiten«

Der kleine Junge erschrak zu Tode. Ein zotteliger Eisbär von zwei Meter Länge hatte seine riesigen Pranken auf seine Schultern gelegt. Er schrie, doch seine Eltern lachten ihn aus. Sie befahlen ihrem Sohn, endlich stillzuhalten, damit der Fotograf an der Strandpromenade Ostseebad ein unverwackeltes Bild schiessen konnte. 

Heute findet man ab und zu auf Flohmärkten vereinzelt Schwarz-Weiss-Fotos, auf denen Touristen mit einem Eisbären posieren. Die Unbekannten im Eisbärenkostüm sitzen auf Motorrädern, posieren mit US-Soldaten, schieben Kinderwagen, stehen stramm neben Geschäftsleuten in feinem Tuch oder herzen Frauen in Badeanzügen in einer zweideutig frivolen Art, die heute eine hysterische Bärenjagd auslösen würde

Den Hype ausgelöst hatte der Berliner Zoo in den 1920er-Jahren. Um die Attraktivität zu erhöhen, steckte er einen hitzebeständigen Angestellten in ein schneeweisses Eisbärenkostüm und schickte ihn zusammen mit einem Fotografen vor den Eingang. Heute kann man in den Niederlassungen von Madame Tussauds in London, New York oder Shanghai mit Albert Einstein, Queen Elisabeth oder Dwayne Johnson posieren. Damals waren solche Erinnerungsfotos so aussergewöhnlich, dass daraus ein Geschäft wurde. Eingespielte Duos traten an Jahrmärkten auf und sicherten sich damit ein gutes Einkommen. Ein Fotoshooting kostete mehr, als ein Arbeiter in der Stunde verdiente. 

Nie das Ende von allem

Ende der Sechzigerjahre besassen immer mehr Menschen einen eigenen Fotoapparat, Kameras aus Fernost eroberten den Massenmarkt, das Schwitzen im Eisbärenkostüm hatte ein Ende. Die Fotografen suchten sich neue Sujets, denn «auf toten Pferden kann man nicht reiten». Wer die Weisheit der Dakota-Indianer nicht beherzigte, den bestrafte das Leben. Kostümierte Maskottchen wurden im Fussball, in Disneyparks und vor Fast-Food-Ketten gebräuchlich, aber die Zeit der Eisbären war endgültig vorbei. 

Der technische Fortschritt beendet sowohl die kleinen als auch die grossen Hypes, die der Zeitgeist ausscheidet. Er lässt Branchen sterben und neue entstehen. Das Ende von etwas ist nie das Ende von allem.

Die Eisbären sind verschwunden, der Drang nach dem «besonderen Foto» ist geblieben. Im Selfiezeitalter ist jeder sein eigener Eisbär.

106 Blick »Licht aus«

 

Wo der Herr nicht die Stadt behütet, dort wacht der Wächter umsonst», heisst es in Psalm 127. Doch da der Herr keine Securitas-Dienste verrichtet, wurde in den rasch anwachsenden Städten des 18. Jahrhunderts ein neuer Beruf geboren: der Nachtwächter.

Er sorgte für Law and Order und sagte sogar die Stunden an, was Schlafende bestimmt brennend interessiert hat.

Die Zeitanzeige diente vor allem dem Nachweis, dass er seinem Beruf nachkam. Eine frühe Version der Stechuhr. Mit Hellebarde, Schlüsselbund, Laterne und Horn schritt er die Gassen ab, überprüfte die Stadttore und erfüllte auch polizeidienstliche Aufgaben. Trotzdem entsprach sein Ansehen in etwa dem des Henkers. Man war auf ihn angewiesen, aber man mochte ihn nicht.

Mit dem weiteren Anwachsen der Städte wurde der nächtliche Allrounder allmählich durch Feuerwehren und Polizeidienste ersetzt, und nach der Elektrifizierung der Städte war er nur noch Geschichte. Es wurde Licht.

Heute möchten Lichtskeptiker diese Errungenschaft am liebsten rückabwickeln, doch aus gutem Grund gab es bereits in der Antike Strassenbeleuchtungen. Öllampen in Mauernischen boten Lichtpunkte, die Spätheimkehrern die Orientierung erleichterten. Vermögende konnten sich zwar einen Sklaven leisten, der ihnen mit einer Fackel voranging, aber in der Regel blieben die Menschen nach Einbruch der Nacht zu Hause. Auch aus Sicherheitsgründen.

Das leuchtete auch dem Sonnenkönig Louis XIV. (1638–1715) ein. Ab 1667 wurden die Strassen von Paris mit Öllampen beleuchtet. In einer Zeit, in der man den Nachttopf noch aus dem Fenster kippte, war es hilfreich, wenn man sah, wohin man trat. Es ging dem König aber nicht um die Verhinderung von Schenkelhalsbrüchen, sondern um das Verscheuchen von kriminellem Gesindel.

Die Zeit der Aufklärung war in doppeltem Sinn die Zeit der Lichter (siècle des lumières). Nicht alle mochten sie. In Winterthur stritten Anfang des 19. Jahrhunderts Konservative gegen Modernisten, weil künstliches Licht angeblich einen Eingriff in die göttliche Ordnung darstellt. Heute fordern einige ein staatliches Verbot von nächtlicher «Lichtverschmutzung» im Stadtgebiet. Gilt für Mieter in Hochhäusern demnächst Lichterlöschen ab Mitternacht?

105 Blick »Die Toten ruhen, die Hinterbliebenen streiten«

Man könnte viele Beispiele für unsinnige Ausgaben nennen, aber keines ist treffender als die Errichtung einer Friedhofsmauer. Die, die drinnen sind, können sowieso nicht hinaus, und die, die draussen sind, wollen nicht hinein.» Mark Twain

 

Bereits vor rund 120 000 Jahren begruben einige Homo sapiens Verstorbene in ihren Siedlungen. Die Ägypter errichteten den Pharaonen Pyramiden, die Römer ihren Adligen luxuriöse Grabmäler auf öffentlichen Plätzen. Weniger Berühmte verbannte man ausserhalb der Stadtmauern, Arme wurden eingeäschert.

 

Nachdem Kaiser Konstantin die christliche Religion anerkannt hatte, entstanden Kirchen mit angebauten Friedhöfen. Die Pest im 14. Jahrhundert führte dazu, dass man Verstorbene vermehrt ausserhalb der Städte begrub, und 500 Jahre später wurde es zur neuen Normalität, weil die Städte aus allen Nähten platzten.

 

Es war schliesslich Napoleon, der 1804 in den von ihm besetzten Gebieten eine Bestattungs- und Friedhofsordnung verordnete. Am Stadtrand entstanden nun parkähnliche Friedhöfe, die nach dem immer gleichen Muster angelegt waren. Mit diesen Reihengräbern wollte Napoleon deutlich machen, dass der Tod alle Menschen gleich macht.

 

1970 bekannten sich in der Schweiz noch 96 Prozent der Bevölkerung zu einer der beiden Landeskirchen. Dreissig Jahre später sind es noch 56 Prozent und 31 Prozent Religionslose. Die restlichen Prozente teilen sich muslimische, jüdische, buddhistische und hinduistische Gläubige. Einige stören sich nun an den christlichen Symbolen auf Schweizer Friedhöfen.

 

Dass Trauernde sehr empfindlich sind, ist verständlich, haben sie doch einen geliebten Menschen verloren. Und viele unter ihnen begegnen an der Beerdigung auch noch all jenen Verwandten, denen man seit Jahren erfolgreich aus dem Weg gegangen ist.

 

Napoleon würde sich dennoch nicht im Grab umdrehen, wenn er miterleben müsste, wie die Fragmentierung der Gesellschaft weiter voranschreitet und jeder die Erfüllung seiner Partikularinteressen verlangt. Er ruht nämlich im Pariser Hôtel des Invalides.

 

Eine für die Steuerzahler günstige Lösung wäre eine Videowand, die Porträts der Verstorbenen oder Hintergründe mit religiösen Motiven abspielt. Eine Multimedia-Jukebox für die Hinterbliebenen.

104 Blick »Tim & Struppi bei den Nazis«

«Wenn ich eine Tochter hätte, würde ich ohne Zweifel zögern, ihre Heirat mit einem Ausländer gutzuheissen, und zwar, um ihr zukünftige Probleme zu ersparen. Wenn ich so darüber nachdenke, vielleicht bin ich immer noch ein Rassist.» Ein spätes Bekenntnis von Georges Remi (1907–1983) alias Hergé aus dem Jahr 1973 im Magazin «Le Point». Der Mann, der Grossartiges geleistet hat, war als Mensch alles andere als grossartig. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er wegen Kollaboration mit den Nazis verurteilt.

 

In diesem Monat wird seine Kultfigur Tim 92 Jahre alt. Das umstrittenste Abenteuer fand im Kongo statt. Der Band erschien 1931, während in europäischen Völkerschauen «halbnackte Neger» wie Tiere zur Schau gestellt wurden. Ausserhalb der Menschenzoos waren die Strassen elektrifiziert, Wolkenkratzer ragten in den Himmel, Dampfschiffe, Züge und Autos verkürzten die Reisewege und Uhren gaben den Takt an. Die Zeitgenossen hielten Weisse deshalb für überlegen und Hergé, ein Kind seiner Zeit, zeichnete einen jungen, weissen Reporter, der von vier Kongolesen in einer Sänfte durch die Savanne getragen wird.

 

Erstaunlich, denn damals berichtete bereits die gesamte Weltpresse über die Kongo-Gräuel des nimmersatten belgischen Königs Leopold II. Acht bis zehn Millionen Kongolesen waren zwischen 1888 und 1908 ermordet worden, um die Gewinnung von Kautschuk für die boomende Automobilindustrie zu beschleunigen. Hergé muss das gewusst haben. Kein Verleger würde heute so was drucken.

 

Muss man also dieses Album verbieten?

 

Der Kongolese Bienvenu Mbutu Mondondo meint: ja! Er klagte 2012 vor einem belgischen Gericht, dass der Comic Schwarze als «notorische Faulenzer» darstelle und dass sie «aussehen wie Affen und wie Geistesgestörte reden». Das Gericht entschied, die Klage sei durchaus zulässig, aber unbegründet, weil sie nicht gegen das Rassismus-Gesetz von 1981 verstosse. Vielmehr spiegle Hergés Darstellung der Afrikaner die damalige Zeit wider.

 

Geschichte ist oft abscheulich, skandalös und abstossend. Verbieten bedeutet, den damaligen Zeitgeist zu leugnen und die Vergangenheit zu verfälschen. Wie soll man die Gegenwart verstehen und daraus lernen, wenn Geschichte gelöscht wird?


Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. In seinem parodistischen Roman «Warten auf Hergé» machen sich Tim & Struppi auf die Suche nach ihrem Schöpfer.


 

Weltwoche: Der grosse Reset muss warten

© Die Weltwoche
13. Januar 2022 / leicht aktualisierte Fassung vom 18. Mai 2022 und 10. Januar 2023
Bitte nach unten scrollen.

The Great Reset


Claude Cueni


Ich bin kein Marketingmann in eigener Sache, sondern – wenn Sie so wollen – eine asoziale Figur», kokettierte der Gründer des World Economic Forum (WEF), Klaus Schwab, 83, im Gespräch mit seinem Biografen Jürgen Dunsch. Der deutsche Professor Schwab, der sich gerne in der Pose des Messias inszeniert, sagt Sätze wie: «Ich verbringe nicht gerne Zeit mit Menschen, die mich geistig nicht weiterbringen.» Besonders schätzt er die Gespräche mit der «grossen Führungspersönlichkeit» Prinz Charles, einem seit Geburt steuerfinanzierten Privatier, der das Klima retten will. Innerhalb und ausserhalb der Familie.

1971 veranstaltete Klaus Schwab mit seiner Frau Hilde ein Management-Symposium in Davos. Es kamen 440 Teilnehmer. Fünfzig Jahre später waren es bereits 3000, darunter Staatsoberhäupter, Wissenschaftler, die Schwergewichte aus Finanz und Wirtschaft, und Weltstars aus der Unterhaltungsindustrie. Soziologieprofessor Jean Ziegler, 87, ärgert sich: «Ihm gelingt es, mit seinem WEF-Zirkus, der nichts anderes ist als heisse Luft, ein Millionenvermögen zu machen.»

Der Umsatz von Schwabs steuerbegünstigter Stiftung überstieg vor der Pandemie die 300-Millionen-Grenze, mittlerweile beschäftigt das im Kanton Genf domizilierte World Economic Forum 700 Vollzeitmitarbeiter aus über achtzig Nationen. Industrie- und strategische Partner bezahlen für eine Teilnahme an den Initiativen des Forums zwischen 250 000 und 500 000 Schweizer Franken. Seit 2015 ist das WEF in der Schweiz als gemeinnützige internationale Organisation anerkannt und hat somit die gleichen Privilegien wie das Rote Kreuz.

Was verdient Schwab mit seinem Business, das er unter dem Label «Weltenrettung» betreibt? Als Vorsitzender des Stiftungsrates und Präsident der Stiftungsleitung in Personalunion zahlt er sich ein Jahressalär von rund 800 000 Schweizer Franken aus. Im Vergleich zu seinen illustren Gästen ein eher bescheidenes Einkommen. Doch Schwabs Datingplattform für die Weltelite ist heute eine gutgeölte, Bundessteuer-befreite Geldmaschine.

Die Einnahmen gehen an Schwabs Stiftung, die Ausgaben für die Sicherheitsmassnahmen in Davos werden hingegen dem Schweizer Steuerzahler aufgebürdet: 45 Millionen Franken (2020). Das WEF, das über Reserven von über 300 Millionen Franken verfügt, beteiligte sich bisher lediglich mit rund 2 Millionen. Schwab rechtfertigt die Kostenaufteilung mit der Bedeutung des WEF für die Welt. Er erwähnt Erfolge wie das Davoser Abkommen zwischen der Türkei und Griechenland. Er habe es persönlich eingefädelt und damit einen Krieg verhindert. Manchmal sagt er auch: «Eigentlich ist es [das WEF] ein grosses Familientreffen.» Das Motto bleibt gleich: «Improving the state of the world» – den Zustand der Welt verbessern. Nicht mehr und nicht weniger.

 

«The world is not enough»

In der Öffentlichkeit wirkt Klaus Schwab stets etwas steif und schüchtern. Aber das täuscht. Sein Ego kennt keine Grenzen. Es ist so gross, dass er sich mit fremden Federn schmücken muss. Unverdrossen behauptet er, Urheber der Stakeholder-Theorie zu sein. Diese wurde jedoch bereits 1963 am amerikanischen Stanford Research Institute entwickelt. Angesichts der in der Tat eindrücklichen unternehmerischen Leistung hat er das nicht nötig, aber «The world is not enough».

Ein früherer WEF-Manager schildert, wie Schwab interne Diskussionen abwürgt: «Ich weiss, ich habe recht. Die Frage ist nur, wann.» Folgerichtig ist sein Forum kein Ort für reale Debatten. Wer unfehlbar ist, braucht keine second opinion. Wenn in der römischen Antike ein siegreicher Feldherr im Streitwagen über das Forum zum Capitol fuhr, hatte er stets einen Sklaven dabei, der ihm zuflüsterte: «Bedenke, dass du nur ein Mensch bist.» Auf Klaus Schwabs Triumphwagen hat es nur Platz für Klaus Schwab.

Er beteuert, dass am Weltwirtschaftsforum auch kritische Stimmen Platz haben. Das gilt jedoch nur für Gäste, die untereinander kontroverse Meinungen austauschen. Wer hingegen das WEF kritisiert, erhält keinen Zugang, wer kritisch berichtet, wird nicht akkreditiert. Wiederholt machte die Zürcher Wochenzeitung (Woz) diese Erfahrung. Bemerkenswerter war jedoch die schriftliche Begründung: Das WEF bevorzuge jene Medien, mit denen es auch das Jahr über «zusammenarbeite». Eine WEF-Variante von embedded journalism? Hofberichterstattung wird mit Einladungen ans Weltwirtschaftsforum belohnt.

Seit 1998 residiert das WEF in einem futuristisch anmutenden Gebäudekomplex hoch über dem Genfersee. Wenn Besucher den Firmensitz besuchen, sehen sie als Erstes neben dem Eingang ein Ölgemälde mit dem Konterfei von Klaus Schwab. Das erinnert an den Personenkult vergangener Zeiten.

Doch das WEF hat sein Hauptquartier nicht in Peking, sondern in Cologny, einer der teuersten Gemeinden der Schweiz. Für einen Quadratmeter Bauland bezahlt man bis zu 38 000 Schweizer Franken. Schwab überblickt von seinem lichtdurchfluteten Büro aus die malerische Landschaft der Schweizer Riviera. Je höher die Teppichetage, desto kleiner und unbedeutender erscheinen die Menschen unten auf den Strassen.

Schwab ist ein Kind der Teppichetage, das in einem eigenen Universum aufwuchs. Sein Vater war kaufmännischer Direktor des Zürcher Maschinenbauers Escher Wyss (seit 1969 Sulzer AG). Schwab sagt Sätze wie: «Wenn es uns allen schlechtgeht, kann es dem Einzelnen nicht gutgehen.» Geht es Klaus Schwab schlecht? Er hat den «planetarischen Notfall» diagnostiziert. Wer, ausser Klaus Schwab, könnte das Unheil noch abwenden?

Deshalb haben er und ein Autorenteam ein Buch geschrieben: «Covid-19: The Great Reset» («Covid-19: Der Grosse Umbruch)», ein Plädoyer für eine «Neugestaltung der Welt», wie sie in keiner Demokratie zu verwirklichen ist. Obwohl er im Vorwort sein Buch «einen bescheidenen Beitrag» nennt, lässt er auf rund 330 Seiten keinen Zweifel daran, dass hier ein bedeutendes Manifest «zur Rettung der Welt» vorliegt. Mit dem Buch will er «den richtigen Weg weisen», und es versteht sich von selbst, dass nur Klaus Schwab den richtigen Weg kennt.

Er malt den Zustand der Welt in düsteren Farben, eine Dystopie jagt die andere, er warnt vor sozialen Unruhen, gar vor Revolutionen – und bevor wir vollends in Panik geraten, reicht uns der Erlöser die Hand und präsentiert sein «Komitee zur Rettung der Welt», die absolute Herrschaft der Technokraten, Weltkonzerne und internationalen Organisationen, eine radikale Transformation von oben nach unten. Es ist ein Plädoyer für historisch gescheiterte Theorien, die dem Menschen nur staatliche Misswirtschaft, weniger Wohlstand, Pressezensur und eine tiefere Lebenserwartung beschert haben.

Er schreibt, die Pandemie müsse als «Gelegenheit genutzt werden, um institutionelle Veränderungen in die Wege zu leiten» und einen Reset zu erzwingen. Auch Wolfgang Schäuble, von 2009 bis 2017 deutscher Finanzminister, sagte in einem Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen: «Der Widerstand gegen Veränderungen wird in der Krise geringer. Wir können die Wirtschafts- und Finanzunion, die wir politisch bisher nicht zustande gebracht haben, jetzt hinbekommen.»

 

Angst gebiert falsche Propheten

Daraus schliessen Verschwörungstheoretiker, Covid-19 sei von langer Hand geplant worden, und verweisen auf den «Event 201», der am 18. Oktober 2019 in New York stattfand. Das Johns Hopkins Center for Health Security hatte damals mit dem WEF, der Bill & Melinda Gates Foundation und Seuchenexperten eine Pandemie durchgespielt. Es ist nicht unüblich, dass sich Gesundheitsminister mit Seuchenexperten zusammensetzen, um Pläne für den Ernstfall auszuarbeiten, zumal wir auch in Zukunft Pandemien erleben werden, ausgelöst von sogenannten Zoonosen, vom Tier auf den Menschen übertragbaren Infektionskrankheiten. Katastrophenpläne braucht man, bevor man welche braucht, und heute dringender denn je. Täglich starten über 200 000 Flugzeuge und bringen Menschen und Viren von einem Ort zum andern. Was früher in eine Epidemie ausartete, wird heute gleich zur Pandemie. Sollte sich jedoch eines Tages herausstellen, dass das Virus in einem US-Labor entstanden ist, würde das ein neues Licht auf den »Event 201» werfen. 

(Aktualisierung vom 4.12.2022: Auf den Ursprung im Labor deutet ein Element im genetischen Code des Virus – die sogenannte Furin-Spalte – hin, die bei natürlichen Coronaviren nicht vorkommt.)

Covid-19 ist real, doch immer mehr Regierungen, Parteien und Institutionen sehen darin eine einmalige Chance, die Angst der Bevölkerung auszunützen. «Angst hat die Götter erschaffen», sagte der römische Philosoph Lucretius, aber Angst gebiert auch Despoten und falsche Propheten. Man beruhigt die Bevölkerung damit, dass die Massnahmen, sowohl die sinnvollen als auch die weniger sinnvollen, lediglich vorübergehend sind. Vorübergehend bedeutet in der Politik stets: für immer.

1915 erhob der Bund wegen des Ersten Welts eine «direkte Bundessteuer», die er «Kriegssteuer» nannte, ab 1934 «Krisenabgabe», und nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hiess sie «Wehrsteuer». Der Krieg ist vorbei, die direkte Bundessteuer ist geblieben. Und genau das – die Fortführung der Massnahmen – befürchten viele nach Ausklingen der Pandemie. Weil Politik und Medien kaum noch Vertrauen geniessen.

Wie in jedem populären Katastrophenfilm folgt im letzten Buchkapitel die Erlösung: Ein Technokratenkomitee zur Rettung der Welt beendet die «Tyrannei des BIP-Wachstums». Eine «globale Ordnungsmacht» nach marxistischen Prinzipien bringt eine aus den Fugen geratene Welt wieder in Ordnung, angeführt von einer EU im Weltformat unter dem Kommando von WHO, Uno, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und dem «Grossen Steuermann» Klaus Schwab.

Wäre die Welt ein Computerspiel, «Sim City – The Pandemic», der Spieler würde gleich zu Beginn Schwabs «Great Reset» umsetzen, die Demokratie abschaffen und das chinesische Social-Credit-System einführen. Nur, wir sind keine Pixel, und kontroverse Debatten sind die Tugend der Demokratie.

Selbst wenn man Schwabs Kernaussagen eins zu eins zitiert, wird man von ihm umgehend als Verschwörungstheoretiker diffamiert. Schwab ist dünnhäutig. Vielleicht sollte er sein eigenes Buch nochmals lesen.

Ein wichtiger Punkt in Schwabs «Neugestaltung der Welt» ist die Abschaffung des Bargeldes. Das Argument «Schwarzgeld unterbinden» war nicht wirklich überzeugend, das Argument «Hygiene» schon eher. Bestrebungen gab es bereits vor Ausbruch der Pandemie, denn der Staat braucht die Möglichkeit, bei Bedarf die digitalen Sparguthaben der Bevölkerung per Mausklick zu plündern. Wie 2013 auf Zypern, als übers Wochenende der «grösste Bankraub der Geschichte» (Spiegel) abgewickelt wurde.

Wir wissen alle, dass man die weltweite Staatsverschuldung von aktuell 62,5 Billionen Dollar nicht mehr anständig tilgen kann. Wenn man in Schwabs global überregulierter Welt nur noch mit dem Handy bezahlt, kann sich das «Komitee» per Mausklick direkt bedienen. Wer das Bargeld kapert, kapert den Menschen.

 

»China ist ein Vorbild für viele Länder.«

Ergänzt man Schwabs «Gesundheitszertifikat am Handgelenk» mit Tracing- und Traffic-Funktionen, sind wir schon ziemlich nah beim chinesischen Social-Credit-System, das jedes Fehlverhalten mit Bewegungseinschränkungen oder Geldbussen (die in Echtzeit abgebucht werden) bestraft. Wäre es nicht auch für das Klima hilfreich, wenn der CO2-Fussabdruck jedes Individuums sichtbar wäre? Ein grünes Social-Credit-System zur Rettung der Erde?

Schwab macht keinen Hehl daraus, dass er das chinesische System mag. Er ist Ehrenbürger der Hafenstadt Dalian in der Provinz Liaoning, 2018 erhielt er die Freundschaftspreismedaille Chinas für seinen Einsatz in der Reform- und Öffnungspolitik. Es kommt nicht von ungefähr, dass das WEF auch in Peking ein Büro betreibt. Es wurde jahrelang von Schwabs Sohn Olivier geleitet, der mit einer Chinesin verheiratet ist. Er hat dort bereits rund 300 Firmen für eine WEF-Mitgliedschaft gewinnen können. In einem Interview mit dem chinesischen TV Sender CGTN am Rande des Apec-CEO-Gipfels im November 2022, sagte Klaus Schwab:

»Ich denke, China ist ein Vorbild für viele Länder« und

»dass das chinesische Modell sicherlich ein sehr attraktives Modell

für eine ganze Reihe von Ländern ist.«

Was Klaus Schwab wirklich denkt, aber nicht sagt, lässt sich auf der Website des World Economic Forums nachlesen. Er lässt die Dänin Ida Auken, ein Mitglied der Young Global Leaders des WEF, für seine «schöne neue Welt» schwärmen. Sie beschreibt das Jahr 2030 so: «Ich besitze nichts, habe keine Privatsphäre, und das Leben war nie besser.» Gilt das auch für den Messias? Nicht erstaunlich, dass die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung das WEF als steuerfinanzierte Privatparty einer abgehobenen Elite ablehnt.

Hier der vollständige Text von Ida Auken in deutscher Uebersetzung.

Schwab droht ab und zu damit, seine Manege ins Ausland zu verlagern. Reisende soll man nicht aufhalten. Mit Ausnahme der Davoser Hotellerie, der Tourismusvereine und der eingeladenen VIPs würde niemand die Zirkusgäste vermissen, die zu Hunderten in die Schweiz jetten, um den Leuten einzutrichtern, dass sie dem Klima zuliebe auf Flugreisen (und einiges mehr) verzichten sollten. Bei den anschliessenden Partys mit Apéro très riche bedauert die «Grossfamilie», dass sich so viele Menschen ausgeschlossen fühlen.

Wie viele Technokraten, die privilegiert aufgewachsen sind, versteht auch Schwab die Natur des Menschen nicht wirklich. Er glaubt, dass die Gesellschaft während und nach der Pandemie mehr Empathie und Solidarität zeigen wird.

Die Geschichte belegt das Gegenteil. Epidemien und Pandemien haben die Gesellschaft stets gespalten und zu egoistischem und asozialem Verhalten geführt, weil jeder Nachbar eine potenzielle Gefahr darstellte. Nur gerade nach örtlich und zeitlich begrenzten Naturkatastrophen beweisen die Menschen Solidarität. Schwab unterschätzt die Natur des Menschen, den Drang nach Selbstbestimmung und Freiheit.

Während in China (mit Ausnahme von Hongkong) kaum jemand vermissen wird, was er nie genossen hat, zeigen die gesellschaftlichen Verwerfungen in der westlichen Welt, dass wir uns nicht zu einem kleinen Pixel degradieren lassen werden, das von einem Software-Algorithmus gesteuert wird und uns von der Wiege bis zum Tod begleitet, bevormundet, belohnt und bestraft. Schwabs Utopie nützt nur den Technokraten, die sie entworfen haben.


 

103 Blick »Ich esse meine Freunde nicht«

 In der Antike assen die Menschen selten Fleisch. Zu teuer. Fleisch war den Reichen vorbehalten. Das ist heute nicht anders. Während in armen Ländern wie Bangladesch oder Mosambik weniger als sieben Kilo Fleisch pro Kopf und Jahr verspiesen werden, sind es in den USA und Australien über 100 Kilo.

Zu den frühen Vegetariern gehörten um 500 v. Chr. die Anhänger des Universalgelehrten Pythagoras: Sie hielten fleischlose Ernährung für gesünder und hilfreicher für die Askese. Doch erst 1801 wurde in London ein Vegetarier-Verein gegründet. Der irische Literaturnobelpreisträger (1925) George Bernard Shaw (1856–1950) schrieb: «Tiere sind meine Freunde, und ich esse meine Freunde nicht.»

Heute gehört fleischlose Ernährung in Industrieländern mehrheitlich zum Lifestyle einer jungen, gut ausgebildeten urbanen Gruppe, aber es ist noch zu früh, um auf einen weltweiten Trend zu schliessen. Der Westen ist nicht die Welt. Nicht alle auf diesem Planeten können sich den Luxus leisten, woke zu leben.

In den vergangenen Jahrzehnten konnten noch nie so viele Menschen einer extremen Armut entkommen. Aber die wollen endlich Fleisch essen. Auch wenn Corona vorübergehend Millionen wieder verarmen liess, wird der weltweite Fleischkonsum nach der Pandemie weiter steigen. Allein in den letzten 20 Jahren hat die Weltbevölkerung um rund 1,6 Milliarden zugenommen.

Es gibt viele nachvollziehbare Gründe, wieso jemand auf Fleisch verzichtet. Manchmal sind es ethische, religiöse, gesundheitliche, ökologische Bedenken oder das Tierwohl.

Da wir immer tiefer in unberührtes Tierreich vordringen, werden Zoonosen, also Übertragungen von Viren von Tier zu Mensch, häufiger auftreten und den Appetit auf Fleisch nicht gerade fördern.

Den Durchbruch für das «fleischlose Fleisch» werden nicht jene erzielen, die Eingänge von Fleischproduzenten blockieren, sondern die von Aktivisten wenig geschätzten Nahrungsmittelkonzerne, die in ihren Labors Fleisch aus Muskelzellen züchten. Stark im Kommen sind auch kreative Start-ups, die Planted Meat produzieren, also pflanzenbasierten Fleischersatz.

Am Ende entscheiden Geschmack, Preis, Marketing und Distributionskanäle über die Akzeptanz. Bis dann gilt: Essen und essen lassen.

Das indiskrete Interview

© Die Weltwoche – 06. Januar 2022



Weltwoche: Wer ist ein Mensch, der zu wenig Anerkennung bekommt?

Cueni: Dr. med. Erika Preisig, die sich international für eine liberale Freitodpraxis einsetzt.

Weltwoche: Wo werden Sie am liebsten gestreichelt?

Cueni: Ich bin da nicht so wählerisch. Gesicht ist gut, Penis ist auch nicht schlecht.

Weltwoche: Verdienen Sie genug?

Cueni: An der Börse: Ja. Als Autor: Nein. Weil mein Verlag seit einem Jahr ankündigt, die Autorenhonorare umgehend zu überweisen.

Weltwoche: Wovor fürchten Sie sich?

Cueni: Vor einem endlos langen Sterben auf einer Intensivstation. Ich mag nicht Schlange stehen.

Weltwoche: Wer ist Ihr Vorbild?

Cueni: Als Teenager Henry Miller. Als Erwachsener vielleicht John Law of Lauriston, der Mann, der nie aufgab und Geld aus Papier erfand.

Weltwoche: Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten?

Cueni: Humor, Selbstironie, Authentizität, Empathie, ein grosses Herz; die Körbchengrösse ist mir hingegen egal.

Weltwoche: Welcher Bundesrat ist überflüssig?

Cueni: Lügenbaron Alain Berset mitsamt seinem Hut.

Weltwoche: Wer sollte unbedingt in den Bundesrat gewählt werden?

Cueni: Eine Person mit Unternehmerblut, die nicht von der Uni direkt in die Politik ging.

Weltwoche: Wessen Tagebuch würden Sie sofort lesen wollen?

Cueni: Keins. Mein Vater notierte fünfzig Jahre lang, was er zu Mittag ass. Als John F. Kennedy starb, schrieb er: «Hackbraten mit Kartoffelstock. Kennedy erschossen.»

Weltwoche: Welche Ihrer wahrhaftigsten Überzeugungen würden nur die wenigsten Menschen mit Ihnen teilen?

Cueni: Dass Schenken mehr Freude macht als Beschenktwerden.

Weltwoche: Wie oft lügen Sie pro Tag?

Cueni: Lügen ist mir zu kompliziert. Man verstrickt sich früher oder später in Widersprüche.

Weltwoche: Glauben Sie an Gott?

Cueni: Ich glaube nicht an blaue Elefanten, die in meinem Kühlschrank Saxofon spielen. Somit glaube ich auch nicht an Gott.

Weltwoche: Wann hatten Sie das erste Mal Sex?

Cueni: Als Schüler fuhr ich per Autostopp nach Paris, um mit einer Prostituierten Sex zu haben. Datum ist mir entfallen, alles andere ist mir geblieben.

Weltwoche: Welche Waffe haben Sie zu Hause?

Cueni: Die komplette Ausrüstung eines römischen Legionärs mit gladius, pilum und pugio. Seit Herbst 2015 habe ich auch einen Revolver.

Weltwoche: Wären Sie gerne eine Frau?

Cueni: Nein, es wäre zu schwierig, einen einfachen Mann wie mich zu finden, der kaum Ansprüche stellt, seine Frau verwöhnt und sie jeden Tag zum Lachen bringt.

Weltwoche: Was stört Sie an Ihrem Körper?

Cueni: Dass er in Slow Motion zerfällt und ich das bei vollem Bewusstsein mitansehen muss.

Weltwoche: Mit welcher bekannten Frau möchten Sie einen schönen Winterabend verbringen?

Cueni: Bekanntsein ist mir echt zu wenig, das ist nicht abendfüllend. Weniger bekannte haben oft den besseren Charakter, das gilt auch für weniger schöne.

Weltwoche: Nehmen Sie Drogen?

Cueni: Nein, sicher nicht. Meine Fantasie sprudelt von Kindesbeinen an wie eine Fontäne.

Weltwoche: Was ist der beste Ratschlag, den Sie je bekommen haben?

Cueni: Gib auf, du wirst es eh nicht schaffen.

Weltwoche: Würden Sie Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin einen Seitensprung verzeihen?

Cueni: Kommt drauf an, ob ich den Kerl mag. Aber eher nicht.

Weltwoche: Warum sind Sie noch nicht Veganer?

Cueni: Ich bin kein dressierter Pudel, der jede Marotte des Zeitgeistes mitmacht. Unter der Woche esse ich Gemüse, Früchte, Eier, Käse. Am Wochenende asiatisch mit chicken oder Fisch, aber stets mit viel Chili.

Weltwoche: Sie dürfen ein neues Gesetz machen. Was gilt ab sofort?

Cueni: Ausländische Sexualstraftäter werden nach Verbüssung ihrer Strafe umgehend ausgewiesen. Der Schutz der Frauen in unserem Land hat Priorität.

Weltwoche: Haben Sie schon getötet?

Cueni: Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll . . . Eine Menge Trauerfliegen, eine Armee Stechmücken und die eine oder andere Wespe. Bei meinem Vater hat es nicht geklappt.

Weltwoche: Wer hat Sie am meisten geprägt?

Cueni: Das tägliche, stundenlange Training meines spastischen Sohnes über viele Jahre hinweg, der langsame Krebstod meiner ersten Frau, meine anschliessende Leukämieerkrankung, die asiatische Lebensfreude meiner jetzigen Frau.

Weltwoche: Hätten Sie lieber eine andere Nationalität, und wenn ja, welche?

Cueni: Ich möchte weder eine andere Nationalität noch ein anderes Geschlecht. Es ist, wie es ist, und ich mache das Beste daraus.


Claude Cueni: «Genesis» (2020). 304 S., Fr. 36.90; «Hotel California» (2021). 160 S., Fr. 27.90. Beide Romane erschienen bei Nagel & Kimche.


 

Wie mich Ben Hur vom Rauchen befreite

 

Kaum hatte ich als Teenager mit Rauchen angefangen, wollte ich wieder damit aufhören. Aber es war kompliziert. Das Mädchen, das ich gerade kennengelernt hatte, rauchte. Sie bot mir eine Zigarette an. Ich wollte die Frau, aber nicht die Zigarette, und dachte, damit ich die Frau bekomme, muss ich wohl die Zigarette nehmen. Die erste Mary Long schmeckte scheusslich, aber es war der Beginn einer grossen Jugendliebe.

Jahre später wollten wir beide mit dem Rauchen aufhören. Wir warfen unsere Zigaretten in den Müll und schauten uns den Dokumentarfilm von Mario Cortesi an: «Der Duft der grossen weiten Welt» (1980). Er zeigte Cowboys, die durch die Prärie reiten, Marlboro-Männer. Doch als sie aus dem Sattel stiegen und zu reden begannen, verrutschte uns das Gesicht: Die harten Kerle hatten einen Luftröhrenschnitt, und ihre Stimmen waren kaum verständlich. Der Schock sass tief. Jetzt brauchten wir wirklich eine Zigarette.

Dann hörten wir wieder auf. Bis zum Geburtstag meiner mittlerweile verstorbenen Frau. Weder die Blumen noch die Uhr noch meine Kochkünste machten sie glücklich: «Könntest du uns wenigstens Zigaretten holen?» So ging das ewig weiter. Wenn wir gemeinsam mit Rauchen aufhörten, entwickelte meine Frau Hyperaktivitäten, sie mutierte zu einer weiblichen Ausgabe von Meister Proper. Ich hingegen wurde zum schweigsamen Couchpotato, der sich Western und historische Monumentalfilme anschaute. Es blieb kompliziert.

Einmal bestellten wir uns vom Bundesamt für Gesundheit Hochglanzbroschüren mit Abbildungen von Raucherbeinen und kaputten Lungen. Wir klebten die Blätter an die Küchenschränke. Und rauchten eine Mary Long. Wir waren noch keine 30 und dachten, dass alte Menschen zu einer anderen Rasse gehören und alte Kranke sowieso. Und Churchill war immerhin 91 geworden. Wir dachten, wir würden ewig jung und gesund bleiben. Irgendwie.

In den Medien erschienen vermehrt Artikel, die auf die Gefährlichkeit des Rauchens hinwiesen, doch die Sitzungszimmer bei Fernsehanstalten waren immer noch so verqualmt wie Pennsylvania nach der Schlacht von Gettysburg. Mir erging es wie Clint Eastwood. Jedes Mal wenn er seinen Zigarillo wegspickte und einen Bad Guy vom Pferd schoss, zündete er sich den nächsten Glimmstängel an. Kein wirklich gutes Vorbild.

Als Lucky Luke nach 30 Millionen verkaufter Alben dem blauen Dunst abschwor, wurde der Wilde Westen zur Non-Smoking Area. Dieter Scholz hätte ein Vorbild sein können. Er trampte meilenweit für eine Camel durch die Serengeti und gab nach sechs Jahren das Laster auf. Doch Jahre später gestand er, er sei ein Fake-Raucher gewesen, er habe nie geraucht. Anders als der Marlboro-Mann Wayne McLaren. Er starb 1992 an Lungenkrebs.

Meinen 474. Versuch startete ich in der Nacht auf den 1. Januar 2000. Ich zündete mir einmal mehr «die letzte Zigarette» an und schaute mir einen Film auf DVD an: «Ben Hur» mit Charlton Heston. Ich dachte: Was waren das doch für arme Schweine auf diesen römischen Galeeren, und nach einem weiteren Glas Rotwein fühlte ich mit Charlton Heston und dachte: #MeToo, ich sei eigentlich auch ein armes Schwein, das in den Galeeren der Zigarettenindustrie angekettet sei ohne Aussicht auf Befreiung.

Verzichtet man aufs Rauchen, fängt man früher oder später wieder an. Manchmal aus Frust, manchmal aus Freude, man ist da nicht so wählerisch, eine Ausrede findet sich immer. Niemand verzichtet gerne. Ich wollte dieses Mal nicht verzichten, sondern mich befreien. Wie Ben Hur. Das war neu. Obwohl in der römischen Kriegsmarine keine angeketteten Sklaven auf den Ruderbänken sassen, sondern durchtrainierte Legionäre, wurde Ben Hur Teil meiner Autosuggestion. Ich überlebte die Tortur der ersten Tage, und wie fast alles im Leben wird Neues nach einiger Zeit zur Gewohnheit. Das gilt für das Gute wie auch für das weniger Gute. Sparen Sie sich also all die teuren Ratgeber. Der Sieg beginnt im Kopf, das ist nicht nur im Fussball so. Beim Rauchen lautet das Schlüsselwort: Befreien, nicht verzichten.

Und ja, ich bin immer noch Nichtraucher.

102 Blick »Ein Tesla im Jahre 1914«

Ein Tesla im Jahre 1914

«Jeder Arbeiter muss möglichst wenige und möglichst einfache Handgriffe immer wiederholen – und das möglichst schnell.» So begründete der US-amerikanische Ingenieur Frederick W. Taylor (1856– 1915) seine Forderung, wonach in Zukunft nicht mehr der Mensch, sondern das System Priorität hat.

 

Der Wunsch nach Automatisierung, Beschleunigung und Gewinnoptimierung führte Mitte des 19. Jahrhunderts zu den Demontagebändern in den Schlachthöfen von Detroit. Eine Gruppe schlitzte im Akkord Rinder auf, die nächste Gruppe entfernte die Eingeweide, und das Fliessband gab den Takt an. Brauchte ein Schlachter bisher zehn Stunden, um mit seinen Gehilfen eine ganze Kuh zu zerlegen, reduzierten ab 1865 die Fliessbänder die Arbeit auf fünfzehn Minuten. Was früher noch drei Dollar die Stunde kostete, schlug gerade noch mit einem halben Dollar zu Buche, denn jetzt konnten auch Ungelernte eingesetzt werden.

 

Das hat den Farmersohn Henry Ford (1863–1947) nachhaltig beeindruckt. Er war seit frühester Jugend ein Technikfreak und träumte davon, ein Auto zu entwickeln, das sich günstig produzieren liess. Bereits 1914 führte Ford in seinen Werkhallen fliessende Montagebänder ein und ermöglichte mit seinem «Fordismus» auch anderen Branchen billige Massenfertigung.

 

Was heute vor den Toren Berlins entsteht, halten Analysten für ähnlich revolutionär wie Fords Fliessbänder vor rund hundert Jahren. Hier findet die Revolution des Karosseriebaus statt. Benötigte der Unterboden des Models 3 bisher 70 verschiedene Metallteile, pressen nun gigantische Gussmaschinen alles in ein einziges Teil, so einfach und schnell, als handle es sich um ein Spielzeugauto. Während bei der Konkurrenz ein Auto die Fertigungshalle verlässt, werden es bei Elon Musk gleich drei sein.

 

Weniger revolutionär gebärdet sich der Berliner Stadtrat, der zwar Elektrofahrzeuge fördern will, aber immer noch keine definitive Baugenehmigung für die «Gigafactory» ausgestellt hat. An Weihnachten sollte der erste von jährlich 500 000 Teslas die Fabrik verlassen, aber Elon Musk macht gerade die Erfahrung, dass es wohl einfacher ist, den Mars zu kolonisieren, als die ideologisch gelähmte Berliner Bürokratie zu bewegen.