DIRTY TALKING Textauszug, Seiten 123 – 130

Textauszug DIRTY TALKING Seiten 123 – 130

Bischof Miguel Mateo Degollado empfing Wilson mit offenen Armen. Er war ein grossgewachsener Mann mit hängenden Hamsterbacken und kurzen, graumelierten Haaren. Hochwürden waren bester Laune, wie schon beim morgendlichen Telefonat. Er breitete gönnerhaft die Arme aus, als wolle er ein imaginäres Meer teilen und schaute demütig und dankbar zu seinem unsichtbaren Freund an der Decke: »Gott meint es gut mit uns.«

»Mit Ihnen ganz bestimmt, Hochwürden.«

»Nehmen Sie doch Platz«, bat der Bischof freundlich und wies Wilson den Stuhl vor seinem massiven Schreibtisch zu. Wilson hatte ihm am Telefon erzählt, dass es der Wunsch seiner verstorbenen Eltern gewesen sei, ihr Vermögen dem Bistum zu vermachen, und dass Wilson als Testamentsvollstrecker alles Notwendige in die Wege leiten sollte. Die Story gehörte bestimmt nicht zu Wilsons Highlights, aber entscheidend ist nie, ob eine Story wahr ist, sondern ob sie glaubwürdig ist. Der Bischof gestand ihm mit einem Leidensgesicht, das selbst das Antlitz Jesu am Kreuz toppte, dass ihn der Tod seiner Eltern tief berührt und dass er nach dem Telefongespräch gleich für ihre Seelen gebetet habe. Als Wilson nicht reagierte, schnitt Hochwürden eine noch herzzerreissendere Grimasse, als leide er unter Koliken und sprach Wilson in einer oscarwürdigen Rede das herzliche Beileid des gesamten Bistums Basel aus.

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»Das war sicher nett gemeint, Hochwürden«, sagte Wilson mit bedrückter Stimme, »aber, ich glaube, meine Eltern selig schmoren bereits in der Hölle, und wenn sie jetzt ihr Vermögen der Kirche vermachen, wird der Teufel höchstens ein Holzscheit weniger ins Feuer werfen.«

Der Bischof hob erstaunt die Brauen, reagierte aber nicht darauf, denn er wollte die Verhandlung nicht gefährden. Er drückte auf eine Taste seines Tischtelefons und flüsterte: »Schwester Bernadette, zwei Kaffee mit Gebäck und eine Flasche Mineralwasser.«

Nun strahlte er Wilson an und erzählte ihm mit grosser Begeisterung, dass sie hier im Bistum alles hätten, was sie bräuchten, er habe eine Haushälterin, einen Chauffeur, nur den Kaffee müsse er am Morgen selber machen, weil er bereits um sieben Uhr aufstehe.«

»Oh, bereits um sieben, das ist sehr beeindruckend«, heuchelte Wilson und kam zur Sache: »Ich habe gelesen, dass Sie gute Nerven haben und das Leben nehmen, wie es ist. Das wird bei unserem heutigen Gespräch von Vorteil sein.«

Der Bischof verstand nicht ganz, nickte aber freundlich und sagte, er lehne prinzipiell jede Anfrage für Homestorys ab, die meisten auf jeden Fall, aber wenn es um den Glauben ginge, sei es seine Aufgabe, das Wort Gottes zu verbreiten und das Wohl der Kirche zu mehren. Zurzeit sei die katholische Kirche stark unter Druck. Zu Recht. Mit jedem neuen Missbrauchsfall verliere die Kirche Gläubige, das stimme ihn sehr traurig. Das sei auch in finanzieller Hinsicht sehr unschön, weil es die Pflicht der Kirche sei, die Opfer wenigstens finanziell zu entschädigen.

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        »Ich habe davon gehört«, sagte Wilson, »ihr bezahlt jedem Opfer fünftausend Euro. Aber das ist nicht gerade viel für die Vergewaltigung eines Minderjährigen.«

»Das sind jährlich Millionen, Herr Wilson, Millionen. Wir wollen Zeichen setzen!«

Hochwürden sagte, es bräuchte nun eine ehrliche Aufarbeitung, absolute Transparenz und Nulltoleranz. Damit werde ein erster Schritt getan, damit die Menschen wieder Vertrauen in die Kirche schöpfen. Er ballte energisch die Faust und sagte, die Täter müssten gerecht bestraft werden. Den Opfern müsse Gerechtigkeit widerfahren …«

»Damit wären wir fast schon beim Thema«, unterbrach ihn Wilson.

»Wie meinen Sie das?«, fragte der Bischof irritiert, »soll das Geld etwa Missbrauchsopfern zugutekommen?«

»Hier liegt ein Missverständnis vor, Hochwürden. Es geht zwar um eine Schenkung, aber mein Mandant wird der Beschenkte sein und Sie werden der grosszügige Gönner sein.«

Bischof Miguel Mateo Degollado verrutschte das Gesicht: »Ich verstehe nicht, wie war Ihr Name?«

»Sagt Ihnen der Namen Juan Pérez etwas?«

»Nein«, antwortete der Bischof wie aus der Pistole geschossen.

»Überlegen Sie, lassen Sie sich Zeit, ich gebe Ihnen ein paar Anhaltspunkte. Sie waren als Priester Vorsteher des bischöflichen Priesterseminars Nikolaus von Myra. Keine Erinnerung?«

»Natürlich erinnere ich mich.«

»Sie waren für die Lebens- und Ausbildungsgemeinschaft der Seminaristen verantwortlich.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

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        »Einer Ihrer damaligen Seminaristen hat sich gegen das Zölibat entschieden.«

»Das kommt vor.«

»Nachdem Sie ihn jahrelang vergewaltigt haben.«

»Oh« machte der Bischof und wusste nicht mehr, in welche

Richtung er schauen sollte.

»Auch das kommt vor, nicht wahr?«

»Haben Sie Beweise?«, fragte der Bischof leise und starrte

Wilson an, als wolle er gleich über ihn herfallen. In diesem Augenblick betrat Schwester Bernadette das Arbeitszimmer, was ihn sichtlich nervös machte. Sie schenkte beiden Kaffee ein, stellte das Gebäck in die Mitte des Tisches und verliess nach einer kleinen Verbeugung den Raum.

»Soll ich für den Mittagstisch ein weiteres Gedeck auflegen?«, fragte sie.

Der Bischof machte eine abwehrende Handbewegung. Wilson schien, dass er dabei leicht zitterte, er nahm einen Schluck Kaffee, schmeckte hervorragend. Er nickte dem Bischof anerkennend zu und sagte, Gott meine es wirklich gut mit ihm. Dieser ging nicht darauf ein und schob den Teller mit dem Konfekt angewidert über den Tisch, als wolle er sagen, Wilson solle das ganze Zeug fressen und dann verschwinden. Als Schwester Bernadette die Tür hinter sich geschlossen hatte, fragte er erneut, ob er Beweise habe.

Wilson nahm das schwarze iPhone 14 aus seiner Tasche und spielte ein Audiofile ab. Das Audiofile. Man hörte, wie der junge Juan Pérez während der Probefahrt seine Erlebnisse schildert. Der junge Mexikaner beschrieb auch das markante Geschlechtsteil des Bischofs.

»Vor Gericht«, sagte Wilson mit gespieltem Bedauern, »müssten Sie natürlich Ihren kleinen Mann entblössen. Ihr

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        Leberfleck ist so einmalig wie eine Tätowierung. Falls die Ränder nicht scharf abgegrenzt sind, sollten Sie allerdings einen Dermatologen aufsuchen. Da helfen keine Gebete mehr. Aber dem Richter ist die Farbe Ihres Schwanzes egal. Er soll auffallend hässlich sein und gekrümmt wie ein Bischofsstab. Dafür hat er beinahe die Masse eines Eselspenis. Für ein derart monströses Ding bräuchten Sie eigentlich einen Waffenschein. Sie sollten sich schämen. Und mit diesem Monstrum haben Sie den damals minderjährigen Juan Pérez vergewaltigt? Er war noch ein Kind, Hochwürden! Was sagt der liebe Gott dazu? Hat er zugeschaut und sich dabei einen runtergeholt? Oder war er gerade in Urlaub?«

»Pendejo!«, schrie der Bischof und sprang von seinem Stuhl auf, »Sie wissen nicht, mit wem Sie sich anlegen!«

»Pendejo?«, fragte Wilson, »ohne Untertitel kann ich Sie schlecht verstehen.«

»El cabrón! Sie mieser kleiner Erpresser!«

»Was für ein hässliches Wort, Hochwürden, ich bin ein einfacher Geschäftsmann und versuche als Anwalt einem armen Jungen zu helfen.«

»Okay, 5000 Euro? Das ist der weltweite Standard.«

»Wir dachten eher an 250 000 Euro.«

»Vor ein paar Tagen waren es noch 100 000.«

»Die Inflation kennt kein Erbarmen, Hochwürden, morgen ist es bestimmt mehr.«

Degollado verwarf die Hände und gluckste hysterisch:

»Woher soll ich eine Viertelmillion nehmen?«

»Sie verdienen im Jahr 245000, um Dinge zu verkaufen,

die es gar nicht gibt. Stellen Sie sich vor, BMW verkauft Autos, die es gar nicht gibt und die Lufthansa verkauft Flüge zu Destinationen, die auf keiner Landkarte vermerkt sind. Wer für

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        solche Fakenews 245000 im Jahr verdient, bezieht einen fürstlichen Lohn.«

»Damit bestreite ich meinen Lebensunterhalt«.

»Die Frau von der Tankstelle verdient diese Summe in zehn Jahren, obwohl sie im Gegensatz zu Ihnen reale Dinge verkauft, Hüttenkäse, Chips und Dosenbier.«

»Ich habe Unkosten, Miete, Köchin, Sekretär, Chauffeur …«

»Das alles bezahlt der Staat beziehungsweise die Verkäuferin an der Kasse mit ihren Kirchensteuern.«

Degollado schwieg eine Weile.

»Wahrscheinlich bitten Sie gerade den Heiligen Geist um Erleuchtung, aber wenn ich kurz unterbrechen darf …«

Plötzlich wirkte er furchtlos und entschlossen: »Ich werde zur Polizei gehen …«

»Das ist eine gute Idee, denn bei einer Selbstanzeige erhält man Rabatt. Statt 12 Jahre nur noch zehn. Aber zuvor geht Ihr Pimmel auf Tournee, Fotoshooting bei der Untersuchungsbehörde, Demos vor dem Gerichtssaal …«

»Wurde Kardinal Georgette Pell in Australien etwa verurteilt?«, stiess er hervor.

»Ja, er wurde zu sechs Jahren verurteilt.«

»Davon hat er dreizehn Monate abgesessen, darauf wurde er vom obersten Gericht in Brisbane freigesprochen. Also, packen Sie ihr Handy ein und machen Sie, dass Sie von hier verschwinden.«

Wilson blieb sitzen: »In Brisbane gab es kein Beweisvideo, in Ihrem Fall ist die Beweislage eine ganz andere. Wir haben ein Video. Wir haben sogar zwei Videos. Aufnahmen aus Mexiko und eine Aufnahme von jetzt eben.«

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        Wilson zeigte auf die Brusttasche seines Hemdes. Darin steckte sein iPhone 13 mit dem Hofnarren auf dem Case, nur gerade das Kameraauge lugte hervor.

»Die Aufnahme läuft, seit ich Ihr Büro betreten habe.«

Der Bischof dachte fieberhaft nach. Wilson wollte behilflich sein: »Wurde der Kardinal Pell nach dem Freispruch wieder überall mit offenen Armen empfangen?«

Der Bischof schlug die Faust auf den Tisch. Er hyperventilierte, schaute erneut wild in alle Himmelsrichtungen und schüttelte unaufhörlich den Kopf, als könne er es nicht fassen, dass er mit dieser alten Geschichte erpresst wurde.

»Na? Wieder online mit Ihrem unsichtbaren Freund da oben?«

Hochwürden schwieg und presste die Lippen zusammen. Es hatte ihm die Sprache verschlagen.

»Herr Degollado, im Grunde genommen geht es um Mathematik. Wenn Sie verurteilt werden, verlieren Sie jährlich einen Lohn von 245000 Schweizer Franken. Unser kleiner Juan Pérez verliert gar nichts. Wenn Sie bezahlen, haben wir eine klassische Win-Win-Situation: Der kleine Juan erhält eine Viertelmillion und Sie erhalten weiterhin jedes Jahr eine Viertelmillion Lohn. Lehrt man auf dem Priesterseminar auch Mathematik oder nur Science-Fiction? Sie entscheiden jetzt, ob Sie weiterhin wie ein mittelalterlicher Fürst hier oben auf dem Felsen residieren oder ob Sie sich bis ans Ende Ihrer Tage in Somaliland verkriechen. Das ist durchaus eine Alternative. Die Alten dort unten sprechen noch Italienisch, die Warlords und islamistischen Terrorgruppen verstehen ein paar Brocken Englisch. Vielleicht können Sie bei den Piraten als Seelsorger anheuern. Aber wahrscheinlich werden diese Sie ausstopfen und als Galionsfigur an den Bug binden. Eine maritime Version von Jesus am Kreuz.«

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Wilson erhob sich und verbeugte sich knapp: »Es ist Zeit, Busse zu tun, sprach der Herr. Also, setzen Sie Ihren Arsch in Bewegung und schicken Sie eine SMS, wenn das Geld bereit ist.«

Er nahm ein kleines Heft mit dem Titel Spe Salvi von einem Stapel, der auf dem Schreibtisch lag und notierte seine Telefonnummer auf das Cover. Der Bischof nahm das Büchlein und warf es demonstrativ in den Papierkorb. Drohend schaute er zu Wilson hoch und sagte leise, ein Mann müsse wissen, wann er zu weit gehe. Sagt Ihnen der Name Marcial Maciel Degollado etwas?«

»War Delgado nicht ein argentinischer Fussbalspieler?«

»Degollado! Marcial Maciel Degollado! Er war mein Onkel. In meinen Adern fliesst sein Blut, das Blut der Degollados. Nehmen Sie sich in Acht. Was mein Onkel einst gesät hat, ist zu einem kräftigen Baum herangewachsen. Schon mancher ist von seinen Ästen erschlagen worden. Sie werden in der Hölle schmoren.«

»Dann freue ich mich auf das Wiedersehen, Hochwürden.«

Mehr Textproben – Seiten 1-14: Lesen

Mehr über den Roman

146 Blick »Es fährt ein Zug nach Nirgendwo«

1972 sang man noch die Hymne auf die Wirtschaftslokomotive Deutschland. 50 Jahre später gilt der damalige Hit von Christian Anders: «Es fährt ein Zug nach Nirgendwo.» Die deutsche Kavallerie lahmt, das Internet lahmt, der Wirtschaftsmotor stottert, die Infrastruktur lottert, auf den Baustellen sieht man mehr Dixie-Klos als Arbeiter, Behördengänge sind so kafkaesk wie auf den Philippinen, Kölner Silvesternächte gibt es das ganze Jahr über, Bildungsfremde strömen ins Land, deutsche Fachkräfte fliegen ins Ausland. Immer mehr Deutsche sind Analphabeten, immer mehr Analphabeten werden Deutsche. Passiv-Kanzler-Scholz nennt die Kernkraft «ein totes Pferd», jetzt importiert er das tote Pferd. 

Laut OECD liegt Deutschland inzwischen auf dem letzten Platz der G7-Staaten. Staatliche Überregulierung und ideologische Borniertheit lähmen den Alltag. Mittlerweile erlebt auch die Bevölkerung die Deindustrialisierung aufgrund der enormen Stromkosten. Die Kaufkraft schmilzt. 73 Prozent glauben, dass die unqualifizierteste Regierung der Nachkriegszeit nicht fähig ist, ihre Aufgaben zu erfüllen. «Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht» (Heine). 

Der «U.S. News Best Countries Report 2023» hat schon wieder die Schweiz aufgrund von 73 Kriterien zum besten Land der Welt erkoren. Obwohl wir in allen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Belangen erfolgreicher sind als der Nettozahler der europäischen Verschuldungsunion, lassen wir uns von «unseren Freunden» einschüchtern. Wir leisten uns eine direkte Demokratie, Deutschland würde sich das nie getrauen, die Regierung hat sich längst von der Bevölkerung verabschiedet. Das Einzige, was uns die Politelite im Norden voraushat, sind 178 Lehrstühle für Genderforschung und die Chuzpe, die Führerschaft in Europa für sich zu beanspruchen.

Helmut Schmidt (SPD) warnte 1980: «Wer die Grünen wählt, wird sich später bitterst Vorwürfe machen.» Grüne wie Aussenministerin Annalena Baerbock («Egal, was meine Wähler denken») und Wirtschaftsminister Robert Habeck («Was ist eine Insolvenz») lösen keine Probleme. Sie benennen sie um und radeln das Land gendergerecht gegen die Wand. Die AfD kann sich Wahlwerbung sparen. 

145 Blick »Hannibal und menschengemachte Algorythmen«

Futurist David Shrier glaubt, dass innerhalb von 5 bis 7 Jahren zwischen 30 und 80 Prozent der Arbeitsplätze durch künstliche Intelligenz ersetzt werden. Eher 30 oder eher 80 Prozent? Das hängt vom Modell ab und somit vom eingesetzten Algorithmus, der von Menschen mit handverlesenen Daten gefüttert wird.

1992 lernte ich, was ein Algorithmus kann. Zusammen mit Ingo Mesche, dem Vater des Moorhuhns, und Andy Seebeck, dem Vater der interaktiven TV-Telefonie-Spiele in Europa, entwickelte ich «Hannibal», ein Strategiespiel für DOS- und Amiga-Computer. Das Game basierte auf den Bevölkerungszahlen und Anbauflächen von 756 historischen Städten, die der Althistoriker Karl-Julius Beloch 1886 publiziert hatte.

 

Hintergrund war der Zweite Punische Krieg (218 und 201 v. Chr.). Andy Seebeck programmierte einen Algorithmus, der jeweils hochrechnete, wie sich Regendauer und Niederschlagsmenge auf Reisedauer und Nahrungsmittelproduktion auswirken. Die Wetterdaten entnahm er einem geschätzten Jahresdurchschnitt. Drehte man geringfügig am Rad des Algorithmus, bremste der Schlamm die Geschwindigkeit der Armee, drehte man das Rad etwas zurück, brachte das Wetter Dürre, Ernteausfälle und Hungersnöte, was wiederum die Armee schwächte. Bei Temperaturen über 40 Grad wurde die Wetterkarte als Warnung blutrot eingefärbt. Alles war miteinander verzahnt. Wir hatten eine klare Vorstellung vom Schwierigkeitsgrad. War dieser zu hoch, demotivierte man Spieler, war er zu niedrig, verlor man die Hardcore-Gamer. Die Lösung: drei unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, also drei von Menschenhand programmierte Algorithmen. Der Spieler hatte die Wahl.

 

Heute basiert alles auf Algorithmen, vom Währungsrechner über den Body Mass Index (BMI) bis zu Corona- und Klimaprognosen. Das ist hilfreich, weil man durch Veränderung der Parameter Optimierungspotenzial entdeckt. Forschungsgelder erhalten mehrheitlich jene Teams, die belegen, was politisch gewünscht wird. Es ist jedoch nicht hilfreich, wenn alle vom Mainstream abweichenden Modelle von der öffentlichen Debatte ausgeschlossen werden. Die Bevölkerung will sämtliche Argumente hören. Wir sind keine Deppen, die sich keine eigene Meinung bilden können.

NZZ Porträt: »Ich bin der Autor, der niemals stirbt.«

NZZ Interview – Matthias Niederberger                                                    28.7.2023

 

– Wie geht es Ihnen?

 

Es geht mir gut, aber auf tiefem Niveau.

 

– Schreiben Sie derzeit an einem Buch oder auf sonst eine Weise literarisch?

 

Ich wollte dieses Jahr meinen Roman »Bonnie & Clyde & der Achtzylinder« beenden, der Verlag hatte bereits den Publikationstermin für nächstes Jahr reserviert, aber die Polyneuropathie, eine Spätfolge der erfolgreichen Leukämiebehandlung, hat mittlerweile die Nerven in meinen Fingern geschädigt. Wenn das Tippen auf der Tastatur für einige Finger so schmerzhaft ist wie eine Zahnwurzelbehandelung, beenden Sie keinen 450seitigen Roman mehr. Auch nicht mit einem Gummistift. Der reicht nur für kürzere Texte. Ich habe deshalb aus dem Manuskript eine Shortstory für das Kulturmagazin »Literarischer Monat« geschrieben. Erscheint Ende Jahr. Da ich mein ganzes Leben täglich geschrieben und noch nie ein weisses Blatt angestarrt habe, leide ich natürlich unter Entzugserscheinungen. Aber ich habe noch genug zu tun. Daniel Bodenmann hat das englische Kinodrehbuch zu meinem autobiographischen Roman »Script Avenue« verfasst, das bereits in Los Angeles, New York, Tokio, Berlin und auf anderen Festivals ausgezeichnet wurde. Jetzt gilt es, Produzenten zu überzeugen.

 

– In «Script Avenue» heisst es: «Solange ich schreibe, werde ich nicht sterben.» Können Sie das etwas genauer erläutern, und stimmt das auch heute noch?

 

Früher erkrankte ich oft nach Abschluss eines grossen Projekts an einem Infekt.  Das wollte ich vermeiden und flüchtete in meine fiktiven Welten. Kaum hatte ich einen Roman beendet, schrieb ich bereits den nächsten, fast jedes Jahr ein neues Buch. Das Schreiben gab mir eine Struktur, ein Ziel. Was ich anfange, will ich auch zu Ende bringen. Disziplin und Durchhaltewillen sind wichtig. Ich stehe täglich, wenn auch nicht freiwillig, um zwei Uhr morgens auf, beginne mein Rehabprogramm und lese zwei bis drei Stunden die internationale Presse. Wer nur ein Medium konsumiert erfährt nur einen Teil der Fakten. Halbe Wahrheiten sind keine Basis für eine Debatte.

 

– Sie haben Ihr letztes Buch eigentlich schon geschrieben. Nun war es doch nicht das letzte. Wie fühlt sich das an?

 

Etwas merkwürdig. »Hotel California« war tatsächlich als »letztes Buch« geplant, der Roman war ein Lebensratgeber für meine damals noch ungeborene Enkelin. Mein Arzt sagte mir kürzlich, mein Krankheitsverlauf sei in der Tat ungewöhnlich. Ich bin mittlerweile der Autor der niemals stirbt. Aber das ist nicht mein Verdienst. Ich habe eine grossartige Frau an meiner Seite, einen wunderbaren Sohn und geniesse im Zellersatzambulatorium der Basler Hämatologie eine hervorragende Pflege und Betreuung.

 

– Zu SRF sagten Sie vor einigen Jahren: «Je beschissener eine Biografie, desto besser wird das Buch.» Schreibt man besser, wenn man ein Leben mit vielen Schicksalsschlägen hat? Inwiefern bezieht sich das auf Sie selbst?  

 

Ich weiss nicht, ob man besser schreibt. Aber sicher authentischer, und das ist etwas das die Leserinnen und Leser schätzen. Ich kriege regelmässig Mails von Menschen, die sich für einen Roman bedanken, weil er ihnen Mut gemacht hat, Mut, nicht aufzugeben. Besonders berührt hat mich die Mail eines mexikanischen Spastikers. Nach der Lektüre der spanischen Uebersetzung von »Cäsars Druide« hatte er nach Jahren wieder den Mut gefasst, sich um einen Job zu bemühen und einen gefunden. Die Hauptfigur in dieser Dramatisierung des Gallischen Krieges ist ein junger, keltischer Spastiker, der in Caesars Schreibkanzlei anheuert. Fast alle meine Romane sind Mutmacher. In gewissem Sinne habe ich mir meine Vorbilder selber erschaffen. Ich wurde mein eigener Motivator, Unterhalter und Hofnarr.

 

– Bekannt wurden Sie mit historischen Romanen: Blicken Sie lieber in die Vergangenheit als in die Zukunft?

 

Wer die Vergangenheit kennt, versteht die Gegenwart besser und kann sich eher ein Bild von der Zukunft machen. Mich fasziniert seit Teenagertagen die Universalgeschichte. Je mehr man weiss, desto mehr will man wissen.

 

– Sie veröffentlichen regelmässig eine Kolumne im Blick, schreiben über Klimakleber, Schuhe, ChatGPT. Ihre Zeit ist befristet und wertvoll. Weshalb tun sie genau das? 

 

Weil es mir Freude macht. Weil ich gerne recherchiere. Das würde ich auch ohne Auftrag tun. Ich bin mir bewusst, dass mir meine teilweise politisch nicht korrekten Kolumnen im Kulturbetrieb dauerhaft geschadet haben. Meine Bücher werden seitdem in der Schweiz kaum noch besprochen. Viele Kollegen teilen zwar meine Ansichten, aber in der Oeffentlichkeit tun sie so, als hätten sie immmer noch ihr Che-Guevara Poster auf dem Klo. Sie fürchten vielleicht den Verlust von Werkbeiträgen und Literaturpreisen. Ich werde nie verstehen, wieso Schriftstellerinnen und Schriftsteller ihren Rohstoff, die Sprache, verhunzen. Die Neue Political Correctness hat uns zu einer Gesellschaft von Heuchlern, Duckmäusern und Feiglingen gemacht.

 

– Der Schweizer Strafrechtsprofessor und Autor Peter Noll sagte einmal, es lebe sich besser, wenn man den Tod vor Augen habe. Wie denken Sie darüber?

 

Es lebt sich anders. Manchmal fühlt man sich wie ein Ausserirdischer auf einem fremden Planeten, weil man grenzwertige Erfahrungen gemacht hat, die anderen fremd sind. Das trennt. Man wird bescheiden und etwas stiller, man zieht sich zurück. Man wird auch gelassener, weil man weiss: Vieles ist bedeutungslos. Peter Noll kann ich sehr gut verstehen.

 

– Wie wichtig ist Humor in Ihrer Situation?

 

Mit Humor, egal wie schwarz er ist, meistert man auch grenzwertige Situationen besser. Humor verhindert, dass man in Selbstmitleid zerfliesst. Humor entspannt.

 

– In einem Interview sprachen Sie einmal von der «narzisstischen Selfie-Gesellschaft.» Nehmen wir uns selbst zu wichtig?

 

Auf jeden Fall. Der junge Clemens Traub und ehemalige Friday for Future Aktivist, nannte Kapitel 8 seines Bestsellers: »Die Jagd nach dem nächsten Selfie. Arzttochter sucht Anwaltssohn«. Der Asphalt ist für etliche Klimakleber eher eine Datingplattform und Selfie-Kulisse, mal Asphalt, mal Palmenstrand. Die »Letzte Generation« ist ohne Zweifel die letzte Generation, die derart privilegiert und verwöhnt aufwachsen durfte. In meiner Muttersprache nennt man sie »pourri gâté«, wobei gâtè sowohl verwöhnt als auch beschädigt bedeutet. Pourri ist die Steigerungsform und bedeutet verfault. Auch meine Generation wurde seinerzeit als »pourri gâté« bezeichnet. Verweigerung, Rebellion und Opposition gehören zur Pubertät, aber damals wurden die Kids nicht zu egoistischen Prinzen und Prinzessinen erzogen, die glauben, man könne die arbeitende Bevölkerung verärgern, um die Regierung zu erpressen.

 

– In der Schweiz geht es uns so gut wie noch nie, wir haben alles was wir brauchen ­– und noch mehr. Da bleibt nur noch Selbstoptimierung.

Haben wir zu grosse Erwartungen an uns selbst und an das Leben? Und haben wir vielleicht auch Bescheidenheit verlernt?

 

Kinderzimmer sehen bei uns aus wie Abteilungen von Franz Karl Weber, während Kinder in ärmeren Ländern mit dem spielen, was die Natur hergibt und dabei wesentlich zufriedener sind. Ich habe seit 13 Jahren täglich Kontakt mit meiner Grossfamilie in der philippinischen Provinz. Mehrmals wöchentlich fällt in den umliegenden Dörfern der Strom aus oder fliesst kein Wasser. Bei uns jammert man gendergerecht über ein zu kurzes iPhone-Kabel. Wir haben jegliche Verhältnismässigkeit verloren. Vor lauter Ichbezogenheit sehen wir nicht mehr über den eigenen Tellerrand hinaus, sehen nicht, dass die westliche Welt und ihre Werte laufend an Bedeutung verlieren. Deutschland, das immer wieder die Führerschaft Europas für sich reklamiert, marschiert auch beim Niedergang voran. Aber die Welt wird deshalb nicht untergehen, denn der Westen ist nicht die Welt.

 

– Was zählt wirklich im Leben? Können wir uns dessen überhaupt bewusst sein, wenn der eigene Tod gefühlt in weiter Ferne liegt?

 

Als ich damals während der Knochenmarktransplantation extrem hohes Fieber entwickelte und die Krankenschwester meiner Frau sagte, man könne jetzt leider nichts mehr tun, fragte ich mich nicht, wie viele Romane ich geschrieben habe, sondern was ich für andere Menschen getan habe. Denn was am Ende übrigbleibt, das sind die Gene, die man weitervererbt hat und die guten Taten. Ich bin weder religiös noch abergläubisch, aber ich denke, dass im reiferen Alter Schenken mehr Freude und Befriedigung schafft als Beschenktwerden. Deshalb finanziere ich seit 13 Jahren u.a. Stromgeneratoren, Wasserpumpmaschinen und Schulausbildungen auf den Philippinen.

 

– Was sind Ihre Wünsche? Haben Sie noch Ziele?

 

Meine Wünsche sind längst erfüllt. Als junger Autor wünschte ich mir beruflichen Erfolg. Später hoffte ich, dass mein Sohn trotz Handicap ein gutes Leben hat und dass ich nach dem Krebstod meiner ersten Frau nochmals die ganze grosse Liebe erfahre. Dies alles ist in Erfüllung gegangen. Schmerzfreie Nächte bleiben eine Illusion, die Ziele sind bescheidener geworden. Ich nehme einen Tag nach dem andern, gemäss dem Motto von Winston Churchill: »If you’re going through hell, keep going«.

 

Claude Cueni 28.7.2023

 

 

 

Claude Cueni: «Ich bin der Autor, der niemals stirbt»


Er leidet an einer unheilbaren Krankheit. Trotz Muskelkrämpfen schreibt Claude Cueni jeden Tag. Er entwickelte über die Jahre Computerspiele, schrieb Drehbücher für den «Tatort», seine Romane verkauften sich tausendfach. Im schweizerischen Literaturbetrieb bleibt er jedoch ein Aussenseiter.


Von Matthias Niederberger


«Ich wurde mein eigener Motivator, Unterhalter und Hofnarr.» – Claude Cueni. Karin Hofer / NZZ


Claude Cuenis Küche wird streng bewacht. In einer Ecke, gleich neben dem Bartresen, steht eine lebensgrosse Figur von John Law, dem Erfinder des Papiergeldes. Law ist die Hauptfigur von Cuenis bekanntestem Roman, «Das grosse Spiel». Mit ihrem langen Lockenhaar und der gemusterten Weste bildet die Figur einen krassen Gegensatz zum glatzköpfigen, Schwarz tragenden Cueni, der gleich daneben am Esstisch sitzt und ein kleines Mikrofon installiert.

Das Mikrofon ist nötig, weil Cueni schlecht hört. Die Krankheiten haben seinen Körper malträtiert. Das sieht man ihm auf den ersten Blick nicht unbedingt an. Zumindest heute nicht. Für einen Todkranken bewegt er sich auffällig mühelos, seine Stimme klingt kräftig. Auf die Frage, wie es ihm gehe, sagt er: «Gut, aber auf tiefem Niveau.»

2009 erkrankte Cueni an Leukämie, kurz nachdem seine damalige Frau gestorben war. Es folgten Chemotherapien, Bestrahlungen und eine Knochenmarktransplantation. Seither gehören Schmerzen zu Cuenis Alltag. Um zu verhindern, dass seine Lunge abgestossen wird, wird das Immunsystem künstlich niedergehalten. Seit 2010 hat Cueni über 50 000 Tabletten geschluckt. Den Winter verbringt er jeweils in Quarantäne, nicht erst seit der Corona-Pandemie.

Dina, Claude Cuenis zweite Frau, bringt Wasser und Kaffee an den Tisch. Seit 13 Jahren sind sie verheiratet. Kennengelernt haben sie sich in der U-Bahn von Hongkong. Während des Gesprächs betont Cueni mehrmals, dass er kein Pflegefall sei. «Aber ohne Dina hätte ich schon längt aufgegeben.»

Tippen mit dem Gummistift

1980 schrieb Cueni sein erstes Buch. Er veröffentlichte historische Romane, Kriminalromane, Hörspiele und Theaterstücke, schrieb über 50 Drehbücher, unter anderem für Fernsehserien wie «Alarm für Cobra 11», «Peter Strohm» und den «Tatort». Ausserdem entwickelte er Computerspiele und gründete eine Firma, die 1991 das erste interaktive TV-Telefonie-Format in Europa entwickelte. Cuenis Roman «Das grosse Spiel» über den Papiergeld-Erfinder John Law landete 2006 auf Platz eins der Schweizer Bestsellerliste. Das Buch wurde in 12 Sprachen übersetzt, die deutsche Version verkaufte sich 35 000 Mal.

Mit seinen 67 Jahren könnte Cueni längst im Ruhestand sein. Aber er schreibt immer noch so viel, wie es sein Körper zulässt. Häufig wird er um zwei Uhr morgens von Muskelkrämpfen geweckt. Sind sie erst einmal abgeklungen, liest er zwei bis drei Stunden die internationale Presse, bevor er schreibt. Weil seine Finger schmerzen, tippt er mit einem Gummistift auf die Computertasten. Eine mühselige Angelegenheit.

Eigentlich habe er dieses Jahr seinen Roman «Bonnie & Clyde & der Achtzylinder» beenden wollen, sagt Cueni, eine Entmythologisierung des amerikanischen Verbrecherduos. Doch die Polyneuropathie, eine Spätfolge der erfolgreichen Leukämie-Behandlung, hat mittlerweile die Nerven in seinen Fingern geschädigt. «Wenn das Tippen auf der Tastatur so schmerzhaft ist wie eine Zahnwurzelbehandlung, beenden Sie keinen 450-seitigen Roman mehr.» Deshalb schreibt Cueni nur noch kurze Texte, eine alle zwei Wochen in der Schweizer Boulevardzeitung «Blick» erscheinende Kolumne beispielsweise.

Das Schreiben, erklärt Cueni, gebe ihm eine Struktur. Früher sei er oft nach Abschluss eines grossen Projekts an einem Infekt erkrankt. «Das wollte ich vermeiden und flüchtete in meine fiktiven Welten.» Kaum hatte er einen Roman beendet, schrieb er bereits den nächsten – fast jedes Jahr ein neues Buch.

Vom Leben geplagt

Schon bevor er erkrankte, hatte Cueni ein schwieriges Leben. Als Kind litt er unter der Repression seiner streng katholischen Eltern. Cueni spricht von einem «gewalttätigen, religiösen Irrenhaus». Später brach er die Schule ab, um Schriftsteller zu werden, und schlug sich zeitweise mit Gelegenheitsjobs durch. Cuenis Sohn erlitt nach der Geburt eine spastische Lähmung. Seine erste Frau und Jugendliebe starb 2008 an Krebs.

Schreibt man besser, wenn die eigene Biografie derart viele Schicksalsschläge aufweist? Er wisse es nicht, sagt Cueni, «aber sicher authentischer. Das ist etwas, das die Leserinnen und Leser schätzen.» Fast alle seine Romane sind Mutmacher. In gewissem Sinne habe er sich seine Vorbilder selbst erschaffen: «Ich wurde mein eigener Motivator, Unterhalter und Hofnarr.»

Humor sei für ihn enorm wichtig. Er und seine jetzige Frau Dina könnten sogar über seine schmerzhaften Krampfanfälle lachen. Mit Humor, egal, wie schwarz er sei, meistere man grenzwertige Situationen besser, ist Cueni überzeugt: «Er entspannt und verhindert, dass man in Selbstmitleid zerfliesst.»

Keine Zeit für Networking

Im Schweizer Literaturbetrieb war Cueni stets ein Aussenseiter . Wenn bekannte Schweizer Autoren aufgezählt werden, fällt sein Name kaum je. Cueni gewann weder einen Literaturpreis, noch wurde er jemals an die Solothurner Literaturtage eingeladen. Dafür gibt es wohl mehrere Gründe. So haben sich zwar einige von Cuenis Romanen gut verkauft, wurden aber in den letzten Jahren kaum noch in den Feuilletons besprochen.

Zudem ist Cueni ein Mann, der in der Öffentlichkeit gerne den Konflikt sucht. In seinen «Blick»-Kolumnen regt er sich über «Klimaheuchler» auf, über die Rot-Grünen, die nicht wahrhaben wollten, «dass man nicht jede Kultur integrieren kann». Und er echauffiert sich über politische Korrektheit: «Viele Kollegen teilen zwar meine Ansichten, aber in der Öffentlichkeit tun sie so, als hätten sie immer noch ihr Che-Guevara-Poster auf dem Klo. Die neue Political Correctness hat uns zu einer Gesellschaft von Heuchlern, Duckmäusern und Feiglingen gemacht.» Er werde nie verstehen, wieso Schriftsteller ihren Rohstoff, die Sprache, verhunzten. Mit solchen Aussagen macht man sich im Literaturbetrieb keine Freunde.

Cueni sieht den Hauptgrund für sein Aussenseiterdasein noch mal woanders: «Ich hatte keine Zeit für Networking.» Wer die richtigen Leute kenne, erhöhe seine Chancen, als ernsthafter Autor wahrgenommen zu werden, massiv. Er habe jahrelang «wie am Fliessband» schreiben und Bücher verkaufen müssen, um die Therapie für seinen handicapierten Sohn zu bezahlen. Abends ging er dann lieber ins Bett als an einen Apéro.

Auf die Philippinen reisen

Mit «Hotel California» hat Claude Cueni sein Abschiedswerk eigentlich schon geschrieben. Der 2021 erschienene Roman war als Lebensratgeber für seine damals noch ungeborene Enkelin gedacht. Mittlerweile ist sie vier Jahre alt, und ihr Grossvater lebt immer noch. Ein Arzt habe ihm kürzlich gesagt, sein Krankheitsverlauf sei ungewöhnlich. Eigentlich müsste er längst tot sein, sagt Cueni: «Ich bin mittlerweile der Autor, der niemals stirbt.» Doch das sei nicht sein Verdienst. Er werde hervorragend betreut: von den Hämatologen des Basler Zellersatzambulatoriums, von seiner Frau und von seinem Sohn.

Schmerzfreie Nächte blieben allerdings eine Illusion. Sonst hätten sich all seine Wünsche längst erfüllt: «Als junger Autor wünschte ich mir beruflichen Erfolg. Später hoffte ich, dass mein Sohn trotz Handicap ein gutes Leben hat und dass ich nach dem Krebstod meiner ersten Frau nochmals die ganze grosse Liebe erfahre.»

Dann äussert Claude Cueni doch noch einen Wunsch: Er möchte die Familie seiner Frau auf den Philippinen besuchen. Zwar würden sie jeden Tag telefonieren, aber physisch hätten sie sich noch nie getroffen. Im Moment lässt sein körperlicher Zustand das nicht zu. Damit er in ein Flugzeug steigen und den geringeren Luftdruck aushalten kann, muss seine Lungenleistung weiter zunehmen. Dafür trainiert er.

Cueni plante, in der Woche nach dem Gespräch auf den 2100 Meter über Meer gelegenen Gotthardpass zu fahren. Er wollte testen, wie sein Körper bei geringerem Luftdruck reagiert. Für den Notfall sollte ein Sauerstoffgerät ins Gepäck.

Dann kam ein Infekt dazwischen. Vorerst kann Claude Cueni nicht mehr reisen.

144 Blick »Ungeziefer in bunten Kleidern«

Als der spanische Konquistador Hernán Cortés 1519 Mexiko erreichte, kam das nicht gut. Seine Männer brachten Tod und Verderben, die Ureinwohner waren den Viren und Bakterien genauso hilflos ausgesetzt wie der überlegenen Waffentechnik. Einige begrüssten die Neuankömmlinge anfangs mit Freude, wenig später waren sie ihre Sklaven.

 

Magellan eroberte für den spanischen König Philipp die Philippinen (daher der Name), von da an war das Inselvolk für 500 Jahre unterjocht.

 

Die Indianer Nordamerikas nutzen die Feuerkraft der Briten und Franzosen, um andere Stämme zu unterwerfen. Am Ende verloren sie alles, ihr Land und ihr Leben.

 

Wie würden wohl ausserirdische Lebewesen, die auf Shoppingtour durch die Galaxie sind, mit uns verfahren? Ihre Flugobjekte demonstrieren, dass sie uns einige hundert oder gar tausend Jahre voraus sind. Werden Sie uns behandeln, wie wir Tiere behandeln, die wir minderwertig finden, weil sie sich auf Fortpflanzung und essen beschränken? Werden uns die Aliens in Zoos einsperren, in Arenen gegeneinander antreten lassen? Werden sie uns die Haut abziehen, uns in Labors als Versuchskaninchen einsetzen, auf den Märkten als Arbeitstiere verkaufen oder uns als Nuggets verspeisen? Werden wir an neuartigen Viren und Bakterien zugrunde gehen?

 

Wir wissen es nicht. Kann sein, dass sie uns als Ungeziefer in bunten Kleidern einstufen. Niemand kann voraussagen, wie Zivilisationen ticken, die uns technologisch derart überlegen sind.

 

Gemäss Nasa gibt es mehrere Milliarden erdähnliche Planeten in unserer Galaxie. Es ist eher unwahrscheinlich, dass wir alleine sind. Sollte dies eines Tages offiziell bestätigt werden, stehen wir mit kurzen Hosen da, egal ob wir Papst Franziskus, Joe Biden oder Xi Jinping heissen. Einige werden die fremden Lebewesen als Götter verehren, andere werden ähnlich hilflos reagieren, wie der indigene Stamm im brasilianischen Amazonasgebiet, der mit Pfeilen auf den eisernen Vogel zielte, der über sein Dorf ratterte.

 

Stephen Hawking meinte für den Fall, dass wir eines Tages Signale aus dem Weltraum erhalten, sollten wir besser erst antworten, wenn wir uns ein bisschen weiterentwickelt haben. Also wohl eher in einigen tausend Jahren.

Shortstory: Die hölzerne Handprothese von Capitaine Danjou


Die hölzerne Handprothese von Capitaine Danjou

Claude Cueni über seinen Onkel, der einst Fremdenlegionär war


Ich verbrachte meine ersten Lebensjahre in einem kleinen jurassischen Dorf, wo noch heute der Rauch der letzten Hexenverbrennungen über den Höfen weht. Alle meine Tanten und Onkel lebten dort. Bis auf Onkel Arthur. Man sagte mir, er würde eines Tages zurückkehren. Wohl oder übel. Er kam nach einigen Jahren. Ich hörte ihn frühmorgens draussen auf dem Hof Holz hacken. Er hackte nicht, er zerstörte das Holz, er zertrümmerte es mit brachialer Gewalt. Er war ein klein gewachsener Mann mit dem Oberkörper eines Gladiators, eine Naturgewalt. Da ihn die Familie ächtete, suchte er vermehrt den Kontakt zu mir. Er fuhr mich oft in seinem knallroten Cadillac Eldorado ins Kino nach Belfort und sang unterwegs Frank Sinatra.

Einmal verweigerte mir der Besitzer den Eintritt, weil ich noch viel zu jung war. Onkel Arthur schnauzte ihn an: «Weisst du, kleiner Scheisser, was wir in Algerien mit Typen wie dir gemacht haben?» Mein Gott, dachte ich, wie kommt er bloss auf Algerien?

«Ich rufe die Polizei», entgegnete der Besitzer.

«Les flics?», brüllte Onkel Arthur. «Ich war 57 unter dem Kommando von General Massu in der Schlacht von Algier. Ich war einer der Fallschirmjäger der 10. Division. Wir waren die Brutalsten. Und du willst mich verhaften lassen?»

Onkel Arthur donnerte seine Faust in die Glasfront des Kassahäuschen und zerrte den Besitzer über den Tresen. Die folgende Schlagstafette war furchtbar. Nur Mike Tyson hat später noch so geboxt.

Onkel Arthur verbrachte einige Zeit wegen schwerer Körperverletzung im Gefängnis. Er wohnte dann in der Stadt, in Basel, und besuchte meine Familie jeden Tag. Er hatte ja keine: «Die Legion war meine Familie. Nationalität, Religion, Rasse, das spielte alles keine Rolle. Wir waren Waffenbrüder, Elitesoldaten. Ehre, Stärke, Mut und Gehorsam, das waren unsere Tugenden. Wir waren Legionäre.»

Am 30. April, dem höchsten Feiertag der Legion, kam er jeweils mit einem Replikat der hölzernen Handprothese von Capitaine Danjou, um in unserer Küche Camerone 1863 zu gedenken; das ist der Erinnerungstag an ein legendäres Gefecht französischer Legionäre in Mexiko. Mein Onkel trank dazu Beaujolais. Wenn er betrunken war, erzählte er mehr. «Weisst du, bei unseren Veteranentreffen reden wir über Indochina, aber keiner verliert ein Wort über Algerien. Es ist vielleicht das Grausamste was Menschen jemals getan haben.»

Es war kurz nach dem Fest Camerone 1863, als ich Onkel Arthur als minderjähriger Dolmetscher zum Personalchef eines Basler Chemiekonzerns begleiten musste.

«Es gibt da ein paar Lücken in Ihrem Lebenslauf», sagte der Personalchef. «Hier zum Beispiel, fünf Jahre …»

«Da war ich in der Legion», sagte Onkel Arthur ohne zu zögern, obwohl ich ihm doch eindringlich davon abgeraten hatte. Und als der Personalchef ihn fragte, mit welchen Fahrzeugen er Erfahrung habe, erwähnte er tatsächlich den AMX-13- Panzer.

«Sie waren also in der Legion», murmelte der Personalchef.

Onkel Arthur riss sein Hemd auf und zeigte seine Wunden: «Sehen Sie, so haben die mich damals in Algerien zusammengeflickt. Heute lassen sich die Weiber neue Titten und Ärsche machen, und man sieht nicht die kleinste Operationsnarbe. Mich haben sie wie ein Schwein zusammengeflickt. Wann kann ich anfangen?»

«Sie hören von uns», sagte der Personalchef knapp und erhob sich.

«Arthur, nennen Sie mich Arthur. Oder Captain. In Algier nannten sie mich Captain.»

«In Ordnung, Captain», sagte der Personalchef und unterdrückte ein Schmunzeln.

Als wir über den Parkplatz zum Auto liefen, strahlte Onkel Arthur über das ganze Gesicht. «Ich war saugut», lachte er, «das mit der Legion hat ihn mächtig beeindruckt. Am Schluss hat er mich sogar Captain genannt. Das ist Respekt unter Männern. Verstehst du, Claude, Respekt unter Männern.»

Im Auto begann er euphorisiert «Tiens, voilà du Boudin» zu grölen und hielt plötzlich in einem nahen Waldstück an. Er riss seinen Hosenschlitz auf und nahm sein erigiertes Glied heraus. Er wollte sich auf mich stürzen, aber ich konnte gerade noch rechtzeitig die Beifahrertür öffnen und davonrennen. Ich war ein guter Sprinter. Ich höre noch das Lachen von Onkel Arthur. Die Welt sei schlecht, rief er mir nach, in Algerien sei er auf den Geschmack gekommen. So hätten sie Väter gebrochen, wenn sie zuschauen mussten. Ich verstand nicht, was plötzlich in diesen Kerl gefahren war. Ich erzählte die Geschichte meiner Lieblingstante, aber sie meinte, sie wolle diesen Schweinekram nicht hören. Die gesamte Verwandtschaft wollte ihn nicht hören. Ich habe dieses Dorf nie mehr besucht. Im Gegensatz zu Onkel Arthur. Das Wegschauen seiner Geschwister hatte ihn animiert, es nun mit meinen wesentlich jüngeren Cousins zu versuchen. Zwei von ihnen hat er vergewaltigt, jahrelang. Einer brachte sich schliesslich um. Niemand ging zur Polizei. Onkel Arthur wurde verbannt, ausgeschlossen.

Jahrzehntelang lebte Onkel Arthur als Untermieter in der kleinen Wohnung einer verwitweten Seniorin. Etliche Jahre später, es war ein 30. April, wollte ich ihn besuchen und ihm eine reinhauen. Doch seine betagte Vermieterin sagte, er sei am letzten Weihnachtsabend verstorben. Er habe nur eine hölzerne Handprothese hinterlassen.


Die Shortstory erscheint mit anderen Kurzgeschichten in meinem »Lesebuch 1974 – 2024« zusammen mit Essays, Kolumnen und Interviews Ende 2024 (?).

ca. 500 Seiten.


 

143 Blick »Schweizer Söldner auf Reisen«

Schweizer Söldner auf Reisen

 

Vor rund 600 Jahren exportierte die Schweiz weder Flugabwehrsysteme nach Katar noch gepanzerte Fahrzeuge nach Botswana, sondern Zeitsoldaten aus Fleisch und Blut. Man nannte sie «Reisläufer», weil diese Söldner «reisten». Bei ausländischen Herrschern war die Kriegskunst der Schweizer gefragt. Mit ihren sechs Meter langen Spiessen stachen sie Ross und Reiter nieder und waren manchem Ritterheer überlegen. Man hielt diese «Gewalthaufen» deshalb für unbesiegbar. Für junge Männer war der Anreiz, im Ausland Kriegsdienst zu leisten, gross, zumal Überbevölkerung und die damit verbundene Arbeitslosigkeit immer mehr Menschen in die Armut trieb.

Auf Söldner spezialisierte «Jobcenter» vermittelten zwischen Herrscherfamilien und jungen Schweizern, die einem trostlosen Dorfleben entfliehen wollten. Später übernahmen Kantone dieses lukrative Business. Sie setzten durch, dass sich vermittelte Söldner bei Verfehlungen keinem fremden Richter stellen mussten. Als die Inflation die Kaufkraft des Soldes schmälerte und das Recht auf Plünderung eingeschränkt wurde, verlor die Reisläuferei an Attraktivität. Es war schliesslich das Schiesspulver, das den Mythos der Unbesiegbarkeit zerstörte.

Während den französischen Kolonialkriegen in Indochina (1946–1954) und Algerien (1954–1962) traten rund 7500 Schweizer der französischen Fremdenlegion bei. Diese Eliteeinheit für Auslandeinsätze war bereits 1831 gegründet worden.

Seit der Revision des Militärstrafgesetzes im Jahre 1927 ist Schweizern der Dienst in fremden Armeen verboten. Einige schliessen sich trotzdem der Legion an. Wer jedoch nach den obligaten fünf Dienstjahren zurückkehrt, muss (theoretisch) mit einer Haftstrafe rechnen. Das gilt auch für die wenigen Schweizer, die sich in der Ukraine der «Internationalen Territorialverteidigungs-legion» angeschlossen haben.

Vom Söldnerverbot ausgenommen ist die 1506 gegründete päpstliche Schweizergarde. Ihre Tätigkeit wird als Polizei- und nicht als Militärdienst eingestuft. Die Motivation, in einer Renaissance-Uniform in der brütenden Hitze Wache zu schieben, gleicht in einem Punkt den Beweggründen der Reisläufer: Es ist der jugendliche Drang, der Eintönigkeit zu entfliehen.

142 Blick »Sture Koryphäe auf Verbrecherjagd«

Der Franzose Alphonse Bertillon (1853– 1914) war ein verschrobener Kauz, der zu cholerischen Anfällen neigte und wegen seiner chronischen Migräne zum Eigenbrötler wurde. Er begann seine Karriere mit 26 in der Pariser Polizeipräfektur. Sein Job bestand darin, Beschreibungen von Kriminellen auf Karteikarten zu übertragen.

Da er seine Kindheit unter Statistikern, Mathematikern und Anthropologen verbracht hatte, war ihm bekannt, dass es keine zwei Menschen mit den exakt gleichen Massen gibt. Er entwickelte ein System zur Identifizierung von Personen und begann Untersuchungshäftlinge zu vermessen, was ihm den Spott seiner Kollegen einbrachte.

Vier Jahre später gelang ihm aufgrund elf körperlicher Merkmale die Identifizierung eines rückfälligen Straftäters. Die Gefahr einer Verwechslung lag bei eins zu circa vier Millionen. Bertillon wurde zum Leiter des polizeilichen Erkennungsdienstes befördert. Sein System der «Bertillonage» wurde nun mit Fotografien erweitert. Bertillon setzte die inhaftierte Person auf einen Drehsessel und entwickelte einen Apparat, der es erlaubte, hintereinander und auf derselben Platte, ein Front- und ein Profilbild («mug shots») herzustellen, ohne dass sich der Verhaftete bewegen musste. Er weigerte sich jedoch, Fingerabdrücke in seine Kartei aufzunehmen, weil er diese für unzuverlässig hielt.

Als 1911 im Louvre die «Mona Lisa» gestohlen wurde, hinterliess der Straftäter Vincenzo Peruggia auf der Türklinke Fingerabdrücke. Diese waren zwar registriert, aber eben nicht in der Kartei. Bertillon hielt stur an seiner Meinung fest und widmete sich zusätzlich der Grafologie. Im Prozess gegen den jüdischen Offizier Alfred Dreyfus war er Gutachter und behauptete absurderweise, dass das belastende Dokument gerade deshalb von Dreyfus sein müsse, weil nicht zu beweisen sei, dass es von ihm sei. Selbst nach der Rehabilitierung von Dreyfus wollte Bertillon seinen Fehler nicht eingestehen. Es wäre die Bedingung gewesen für die Verleihung eines Verdienstordens. Bertillon blieb erneut stur und verzichtete auf die Ehrung. Es ist nicht gerade selten, dass Menschen, die auf einem Gebiet Grossartiges geleistet haben, charakterlich weniger grossartig waren.

Von Facebook gelöschter Textauszug.

(Redaktionssitzung:)

»Ist ja schon gut Malika, slow down, als meine Mutter in deinem Alter war, galt der Zigeunerlook als Synonym der Freiheit. Nur Spiesser hatten einen festen Wohnsitz. On the road again and fuck around the world and Sex & Drugs and Rock ’n’Roll.«

»Bobby«, unterbrach Malika unwirsch, »Woodstock, das ist schon eine Weile her, heute sind die Menschen sensibler, die meisten jedenfalls.«

»Okay, Malika, wie kann ich das wieder gutmachen?«

»Lass dir was einfallen.«

»Ich könnte mir ein Büssergewand ausleihen und in den Roma-Camps im Elsass den Müll wegräumen, den unsere Mitmenschen ohne festen Wohnsitz hinterlassen haben.«

Mehr über das Buch

Die ersten 14 Seiten


141 Blick »Die vermeintlich letzte Generation«

Fast jeder kennt sie, die zirka 1500 Jahre alten Moai, die kolossalen Steinskulpturen der polynesischen Osterinsel im Pazifischen Ozean, aber nur wenige erkennen in ihrem Niedergang eine Metapher für den ökologischen Suizid einer Gesellschaft, die sich durch hemmungslosen Raubbau die eigene Existenzgrundlage vernichtet hat und schliesslich an einer Klimaveränderung zugrunde ging. Dies geschah lange bevor die ersten europäischen Seefahrer ihren Fuss auf die isolierteste Insel der Welt setzten, isoliert wie unser Planet zwischen Merkur und Venus.

Die monumentalen Moai-Statuen gehören seit 1995 zum Weltkulturerbe. 683 Figuren wurden einst katalogisiert, Experten zählten später über 1000 Skulpturen, einige sind noch am Zählen.

Erich von Däniken spekulierte, Aliens könnten die Statuen aus dem Vulkangestein geschnitten und die roboterhaften Gesichtszüge der «Astronauten» erschaffen haben. Die Insulaner selbst halten die Statuen für einen religiösen Totenkult, Denkmäler für berühmte Häuptlinge und Angehörige. Zwölf Sippen, die «Grossmächte» jener Zeit, lieferten sich über Jahrhunderte ein «Wettrüsten». Sie zerstörten einander die Moai gegenseitig und errichteten neue, grössere. Dafür brauchte es noch mehr Holz und Seile.

Die bis zu drei Meter hohen Palmen, die um 900 n. Chr. noch die ganze Insel bedeckt hatten, fielen in den folgenden Jahrhunderten den Rodungen zum Opfer. Eine starke Bodenerosion durch Regen und Wind war die Folge. Die Erträge aus der Landwirtschaft gingen zurück, die Nahrung wurde knapp. Nach 1650 fehlte sogar das Brennholz, um die kalten, regnerischen und stürmischen Wintermonate zu überstehen. Die Zivilisation brach zusammen, es herrschte Anarchie und Kannibalismus, man verkroch sich in Höhlen, Warlords verdrängten die Priesterkaste.

Als Jakob Roggeveen (1659–1729), ein niederländischer Seefahrer und Forschungsreisender, 1722 an einem Ostersonntag (deshalb der spätere Name der Insel) das Eiland betrat, war die Gegend bereits kahl geschoren. Captain Cook notierte 50 Jahre später, die Inselbewohner seien «klein, mager, ängstlich und elend».

Doch die vermeintlich letzte Generation war nicht die letzte. Heute leben rund 8000 Menschen auf der kleinen Insel. Und rund 3000 ausgewilderte Pferde.

Einige meiner Dioramen finden Sie jeweils hier