03-2024 Weltwoche »Sie nannten ihn Silverfinger«

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Sie nannten ihn Silverfinger


Die Hunts waren einmal die reichste Familie der USA. Heute gehören ihnen die Kansas City Chiefs. Stammvater Haroldson Lafayette Hunt gilt als Vorbild für J. R. Ewing in der Kultserie «Dallas».1980 wollte der exzentrische Klan alles Silber der Welt kaufen – bis die Börsenaufsicht einschritt. Das ist die Geschichte einer verrückten Spekulation. Und wie ich mir dabei die Finger verbrannte.


Das Unglück begann an einem Mittwoch, genauer gesagt am Mittwoch, dem 26. März 1980. Seit Monaten redeten alle vom steigenden Silberpreis, vom Taxichauffeur bis zum berühmten «Dienstmädchen». Wenn kaum informierte Kleinanleger das Börsenparkett betreten, ist das Ende der Blase nah. Auch ich mit meinen 24 Jahren hatte, wie die meisten in meinem Alter, von Tuten und Blasen keine Ahnung und unterlag der madness of the crowds . Ich beschloss, Silber zu kaufen. Der Haken dabei: Ich hatte kein Geld. Aber ich hatte eine Freundin, die welches hatte.

Kaufen!

Sie war Krankenschwester wie auffallend viele Freundinnen von schreibenden Hypochondern, die von der Fantasie leben und sich in der Realität behaupten müssen. Wir waren leidenschaftlich ineinander vernarrt, und obwohl wir uns damals noch kaum kannten, vertraute sie mir ihre bescheidenen Ersparnisse an. Weil Liebe tatsächlich blind macht.

Am nächsten Tag betrat ich pünktlich um 8 Uhr die Filiale des damaligen Bankvereins. Der Schalterbeamte wies mich darauf hin, dass Silber heute Morgen gerade den historischen Höchststand von fünfzig Dollar pro Unze erreicht habe. Ich lächelte vielsagend, denn ich wusste, morgen war ich reich und er würde immer noch hinter dem Schalter stehen. Im Stil eines abgebrühten Profis sagte ich: Kaufen!

Am nächsten Tag realisierte ich, dass ich die Silberunzen am Vortag gleich zum historischen Höchstkurs gekauft hatte und dass das Edelmetall seit einigen Stunden im freien Fall war. Nun kannte mich meine Freundin schon etwas besser, denn ich hatte möglicherweise über Nacht vier ihrer Monatslöhne verbrannt. Sie nahm es mir nicht wirklich übel, da einige Zeitungen schrieben, das sei bloss eine Verschnaufpause, und so heirateten wir trotzdem. Dreissig Jahre später hätte sie mich wohl geteert und gefedert.

Dank meinem misslungenen Start als Möchtegern-Trader begann ich, täglich mit Aktien zu handeln. Aber bloss auf dem Papier. Das mag rückblickend clever erscheinen, aber das war lediglich dem Umstand geschuldet, dass ich weiterhin kein Geld hatte. Von meinem ersten Roman hatte ich gerade mal 457 Exemplare verkauft, obwohl die NZZ diese pubertäre Peinlichkeit grosszügig gelobt hatte.

Ich begriff, dass erfolgreiches Trading interdisziplinäres Wissen voraussetzt. Das schien mir aufwendig, aber machbar und interessant und motivierte mich entsprechend, und das bis zum heutigen Tag. Und jetzt, wo sich die grösste Silberspekulation aller Zeiten zum 44. Mal jährt, gedenke ich Nelson Bunker Hunts (1926–2014) und seiner Brüder William (geb. 1929) und Lamar (1932–2006), die in sieben Jahren den Preis der Silberunze von $ 1.50 auf $ 50 trieben und damit die grösste Silberspekulation der Geschichte auslösten.

Öl statt nur Schlamm

Im Gegensatz zu den legendären John D. Rockefeller, Henry Ford oder J. Paul Getty gingen die Hunts nicht als Wirtschafts-Tycoons oder Spekulanten in die Geschichte ein, sondern als einflussreichste Sportdynastie der USA. Lamar Hunt war einer der Gründer der American Football League (AFL) und Besitzer zahlreicher Sportklubs. Sein Sohn Clark ist heute Besitzer der Kansas City Chiefs, die soeben zum dritten Mal innert fünf Jahren den Super Bowl gewonnen haben. Fast alle Kinder der drei Hunt-Brüder sind heute im Sportbusiness erfolgreich.

Den Grundstein für diese ausserordentliche Dynastie legte der Öl- und Rinderbaron Haroldson Lafayette Hunt Jr. (1889—1974). Er war Vorlage für eine der erfolgreichsten TV-Serien: «Dallas». In 357 Folgen liessen die Drehbuchautoren ihren bad guy J. R. Ewing seine Intrigen schmieden. William Gaddis hatte zwar die Romanvorlage geliefert, aber in den ausgestrahlten Episoden war J. R. Ewing eher ein Mix aus einem Dutzend larger-than-life oil tycoons of Texas .

Als Sechzehnjähriger hatte Haroldson die Farm seiner Familie verlassen, war durch die USA getrampt und hatte sich mit Gelegenheitsjobs als Holzfäller und Cowboy durchgeschlagen. Später verdiente er an den Pokertischen der umliegenden Saloons nicht nur Geld, sondern auch den Spitznamen «Arizona Slim». In einer Nacht, die so trostlos war wie die vorherigen, setzte ein Mitspieler seinen letzten Dollar und ein unscheinbares Ölfeld im Niemandsland. Beides verlor er an den stets risikofreudigen Haroldson Hunt, der umgehend zu einer wild cat der Ölbranche wurde, also zu einem Mann, der überall munter drauflosbohrt und darauf spekuliert, dass eines Tages nicht Schlamm, sondern Öl aus dem Boden schiesst.

Der Selfmademan hatte wider Erwarten Erfolg und wurde der erste Ölmilliardär der Vereinigten Staaten. Wie die meisten Ausnahmeerscheinungen entsprach auch Haroldson nicht der Norm seiner Zeit. Er war dreimal verheiratet, mit zwei Frauen gleichzeitig, und hatte fünfzehn Kinder. Wer einen solchen Vater hat, kämpft ein Leben lang um Anerkennung. Gibt es eine grössere Motivation?

In sexueller Hinsicht stand auch Nelson, der Leithammel der Brüder, dem Senior in nichts nach: Er setzte vierzehn Kinder mit drei verschiedenen Frauen in die Welt, wobei auch er mit zwei von ihnen gleichzeitig verheiratet war. Er trank und rauchte nicht, seine Obsession galt seinem Gestüt mit über tausend Rennpferden. Er gewann mit einigen historische Rennen, er selbst wurde mehrfach als Züchter ausgezeichnet. Wenn er von etwas angefressen war, begehrte er nicht ein Stück des Kuchens, sondern gleich die ganze Bäckerei. Auch das Lebensmotto von «Silverfinger», wie ihn das Magazin Playboy später nannte, könnte einem James-Bond-Film entnommen worden sein: «The World Is Not Enough».

Masslos war der Feinschmecker auch im Kulinarischen, was sich in einem Kampfgewicht von 125 Kilo niederschlug. Er sammelte luxuriöse Limousinen wie damals die Gebrüder Schlumpf im Elsass, liebte das weibliche Geschlecht und vor allem das Risiko. All in war stets seine Devise. Für feines Tuch und blue suede shoes hatte er hingegen nichts übrig. Er flog stets Economy in abgetragenen Anzügen, doch für seine antiken Silbermünzen war kein Preis zu hoch. Irgendwann schmiedete er den tollkühnen Plan, gleich das gesamte Silber des Planeten aufzukaufen. Der exzentrische Milliardär fand im arabischen Raum Verbündete. Die Silberunze schlummerte noch bei schäbigen $ 1.50.

Silberschatz bei der Credit Suisse

Sein Kaufwahn war nicht nur seiner Sammelwut geschuldet, sondern vor allem der US-Regierung, die unter Richard Nixon am 15. August 1971 die Goldbindung des Dollars aufgehoben hatte, um den Vietnamkrieg zu finanzieren. Jetzt konnte man Geld drucken wie Konfetti, Geld aus dem Nichts erschaffen, sogenanntes Fiat-Geld, das es den Regierungen bis heute erlaubt, die Schuldenspirale weiterzudrehen, bis am Ende nur noch eine Weginflationierung der Staatsschulden, eine Währungsreform oder eine Teilenteignung der Bevölkerung nach zypriotischem Muster möglich ist.

Nelson teilte die Meinung von Voltaire, wonach Papiergeld früher oder später zu seinem inneren Wert zurückkehrt, nämlich null. Mit Sachwerten wie Silber wollten die Hunt-Brüder deshalb auch ihr Milliardenvermögen absichern. Sie kauften Tonnen von Silberbarren, physisch, und da die USA 1933 den Besitz von Gold mit einem Wert von über hundert Dollar verboten hatten, flogen die Hunts ihren Silberschatz sicherheitshalber ins Ausland und bunkerten ihre Barren in den Tresoren der Credit Suisse.

Der Silberpreis kannte jetzt nur noch eine Richtung: nach oben. Als alle verfügbaren Tresore rappelvoll waren, kauften sie kein physisches Silber mehr, sondern begannen an den Warenterminbörsen mit Calls auf steigende Kurse zu wetten. Dafür liehen sie sich von verschiedenen Banken Millionenkredite und hinterlegten als Sicherheit ihr physisches Silber. Stieg der Kurs um einen einzigen Dollar, stieg der Wert ihres Silbers um einen dreistelligen Millionenbetrag. Selbst nachdem sich der Preis verdreissigfacht hatte, schien der Hype kein Ende zu nehmen.

Stunde der «Dienstmädchen»

«Only the sky is the limit» schallte es von überallher, auch Medienleute waren investiert und pushten, Finanzexperten schrieben, jetzt würden völlig neue Bewertungsmassstäbe gelten, kleine Privatanleger brachten ihr Silbergeschirr zum Einschmelzen, einige schmolzen ihre Münzen ein, weil der Silberpreis nun höher war als der Silberanteil in den Gebrauchsmünzen. The madness of the crowds erfasste die ganze Welt und erinnerte an vergangene Hypes wie die holländische Tulpenmanie oder die Spekulation des John Law of Lauriston. Doch die Silverbrothers, die mittlerweile auf dem Papier zu Multimilliardären geworden und vorübergehend die reichsten Männer Amerikas waren, wollten mehr. Noch mehr Silber.

Nun beklagte sogar der Juwelier Tiffany’s in Zeitungsanzeigen den exorbitanten Preisanstieg, der Woche für Woche seine Silberwaren verteuerte. Die CFTC, die Terminmarkt-Aufsichtsbehörde, kontaktierte Nelson und bat, die Spekulation zu beenden. Er lehnte ab. Als das Edelmetall die Frontseiten der Boulevardpresse eroberte, war für erfahrene Spekulanten der Zeitpunkt zum Ausstieg gekommen. Doch jetzt sprangen noch mehr Kleinanleger ohne jegliche Börsenerfahrung auf den Zug auf. Und dann kam der Tag, an dem auch das berühmte «Dienstmädchen» Silberunzen kaufte.

Am 21. Januar 1980 zog die Börsenaufsicht entnervt den Stecker und verbot Wetten auf steigende Silberpreise. Der Kurs sackte ab. Da die Bankkredite bald einmal ungenügend mit physischem Silber gedeckt waren, begann eine Bank nach der andern, die Kredite zu stornieren.

Don’t panic, but panic first . Die Hunts mussten physisches Silber verkaufen, was den Kurs noch schneller in den Keller trieb. Die Leute realisierten, dass sich die Party dem Ende näherte und dass es für sie kein Happy End geben würde. Nun wollten alle ihr Silber loswerden. Die grösste Silberspekulation der Geschichte platzte wie alle Blasen. Der 27. März 1980 ging als «Silver Thursday» in die Geschichte ein.

Ich habe nie mehr Silber gekauft, sondern nach jedem eingegangenen Drehbuchhonorar eine Unze Gold. Wer klug ist, lernt auch aus den Fehlern der andern: G ambeln mit geliehenem Geld ist für Privatanleger ein No-Go. Man sollte nur Geld einsetzen, das man auch verlieren kann, ohne dass der bisherige Lebensstil tangiert wird, und man sollte nie vergessen, dass Psychologie, Hochfrequenzhandel, neue Technologien und unvorhersehbare Ereignisse wie Skandale, Naturkatastrophen, Kriege und staatliche Eingriffe auch solide Weltmarktführer vorübergehend oder dauerhaft durchschütteln können.

Tipp von der künstlichen Intelligenz

And one more thing: Auch Experten irren. Ein Anlageberater riet mir in den 1980er Jahren: Kaufen Sie Swissair, da können Sie garantiert nichts falsch machen. Gestern fragte ich die künstliche Intelligenz Pi AI zum Spass nach ihrem Schweizer Topfavoriten für 2024: « Buy Credit Suisse.»


Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. Für seine Enkelin schrieb er einen Lebensberater in Romanform («Hotel California», Nagel & Kimche). Ein Kapitel ist dem Umgang mit Geld gewidmet.

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