Rezension »Dirty Talking«

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Von Stefan Millius / 23.11.2022


Es sei der erste «anti-woke Roman der Schweiz», sagt der Autor Claude Cueni über seinen neuesten Thriller. Daran lässt er von Beginn an keinen Zweifel. Dort liefert ein unbekannter Erzähler eine Ode an das Fluchen, eine Absage an diplomatische Höflichkeit und beschönigende Beschreibungen. Eine perfekte Grundlage für das, was danach kommt.

«Dirty Talking» ist die Geschichte von Bobby Wilson aus Basel, gezeugt und aufgezogen von Alt-Hippies, die selbst im hohen Alter nicht aus ihrer Haut können. Er ist die Sorte ewiger Verlierer, die man gleich ins Herz schliesst. Der Halbtags-Journalist träumt von einer Karriere als Comedian. In dieser Rolle erleben wir ihn mehrfach, weil er seine Einkommensquellen verliert und sich ein Kleintheater seiner erbarmt.

Die Einschübe von der Bühne sind lustvolle Publikumsbeschimpfungen, prallgefüllt mit all dem, was man heute «nicht mehr sagen darf». Der Autor lässt seinen Helden über Blondinen herziehen, von «Indianern» sprechen oder einen Ausflug in die Religion wagen. «Okay, okay, was sagte der liebe Gott, als er Eva schuf: ‹Hirn ist alle, jetzt gibt’s Titten!›» Das Publikum schwankt zwischen Empörung und Faszination. Nach dem ersten Lachimpuls kommt die Frage: Darf ich denn?

Eher als ein klassischer Thriller ist der Roman ein abgedrehter Roadtrip, auch wenn sich die Story grösstenteils in der Stadt Basel abspielt. Der kleine Schauplatz ist Bobby Wilsons Welt, seine einzige Konstante. Er braucht Geld und konstruiert selbst aus dem flüchtigsten Zufall eine scheinbare Verdienstmöglichkeit. Weil er weder mit einem kriminellen noch wenigstens mit einem unternehmerischen Gen gesegnet ist, geht das meistens schief. Mehr noch, er ruft damit Leute auf den Plan, die nicht besonders viel Skrupel haben und ihm auf den Fersen sind. Mit jedem Schritt reitet sich Wilson noch tiefer ins Elend – oder in die Scheisse, um in der Sprache des Romans zu bleiben.

Wellness auf Papier

«Dirty Talking» lebt von den Figuren, die Wilsons Wege kreuzen. Da tummeln sich unter anderem der Bischof von Basel, dessen zwei gewaltbereite mexikanische Handlanger, ein Ex-Fussballprofi, der heute Occasionsfahrzeuge verkauft, eine vorbestrafte Tankstellenverkäuferin, ein betagter Nachbar mit einem wertvollen Gemälde und ein schmieriger Anwalt mit politischen Ambitionen. Es ist spürbar, wie viel Spass es dem Autor gemacht hat, immer haarscharf an der Überzeichnung vorbei Charaktere zu zeichnen, welche die Story in eine neue Richtung lenken.

Bobby Wilson ist der festen Überzeugung, bald aus eigener Kraft aus der Misere herauszufinden. Er passt seine Pläne laufend der Situation an, ohne wirklich einen Plan zu haben. Aber wir werden nicht mühsam durch seine inneren Zweifel gepeitscht oder mit bedeutungsschweren Monologen eines Versagers gequält. Es ist eine rasante Erzählung mit Dialogen, wie sie wirklich geführt werden und die nicht zuerst auf ihre politische Korrektheit geprüft wurden. «Dirty Talking» ist eine Art Wellness auf Papier. Eine Heilkur für alle, die es satthaben, bei jedem Gespräch wie auf Eiern zu laufen, weil heute so viel Fettnäpfchen warten.

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