Wie ist es, mit Schmerzen zu leben?

Der heutige Beitrag im »Blick« war auf maximal 3000 Anschläge beschränkt. Hier lesen Sie die Rohfassung mit 4679 Anschlägen. Ich habe diese für die Printausgabe gekürzt. Mehr erfahren Sie in meinem autobiographischen Roman »Script Avenue«, 640 Seiten.


Ich kann mich nicht erinnern, wann ich in den letzten 13 Jahren vierundzwanzig schmerzfreie Stunden erlebt habe. Ich bin hauptberuflich krank und Dauerpatient im Zellersatzambulatorium der Hämatologie, in der Pneumologie, in der Neurologie, in der Urologie, in der Dermatologie, in der Kardiologie und im Augenspital. Meine tägliche Medikamentenliste umfasst 14 Positionen. Einige Pillen lösen plötzliche Muskelkrämpfe aus, tagsüber, in der Nacht, manchmal bricht dabei ein Stück Zahn ab. Die Kieferkrämpfe beim Essen und Zähneputzen nehmen meine Frau Dina und ich mit Humor. Sieht zu komisch aus. Das ist mein Leben, ein anderes gibt es nicht.

Selbstmitleid ist Zeitverschwendung und verstärkt lediglich die Schmerzen. Ich kann meine Krankheiten nicht heilen, aber ich kann meine Einstellung dazu ändern. Ich hatte stets eine sehr sportliche Einstellung zum Leben und habe längst akzeptiert, dass ich in der Nachspielzeit lebe. Ich fokussiere auf das, was mir Freude macht: Familie, Arbeit, Natur.

Wenn die Schmerzen stark sind, singe ich oft aus Trotz die Hits der 1970er-Jahre. Man kann nicht singen und sich gleichzeitig sorgen. Die Hits aus Teenager-Tagen bringen die Zeit zurück, als das Leben noch unbeschwert war. Singen ist auch gut für die Psyche und hilfreich für meine Lunge, die nach der leukämiebedingten Knochenmarktransplantation bis auf 37% abgestossen wurde. Man sagte mir damals, das sei irreversibel. Nichts hat mich in meinem Leben mehr motiviert, als wenn man mir sagte, etwas sei unmöglich. Nach jahrelangem Training zu Hause und optimaler Betreuung durch das Basler Universitätsspital, erreichte ich im April erstmals wieder 50%.

Ich fragte letztes Jahr meinen Arzt, wieso ich noch am Leben sei. Gemäss Statistik müsste ich längst tot sein. Er antwortete, mein Verlauf sei in der Tat ungewöhnlich und zeigte auf meine Frau Dina, die mich stets begleitet. Für ein Martyrium unter dem Damoklesschwert braucht es die richtige Lebenspartnerin. Dina hat nach dem Krebstod meiner ersten Ehefrau die philippinische Sonne in mein Leben gebracht. Sie leidet mit, bemitleidet mich aber nicht. In der philippinischen Kultur zählt nur der Augenblick. Sie spürt, wenn ich Schmerzen habe. Wir sprechen nicht darüber. Manchmal zwinkert sie mir zu und sagt: Spartacus. Die Larmoyanz in unseren Breitengraden ist ihr fremd. Auf den Philippinen fühlen sich die Leute nicht permanent traurig, deprimiert, überfordert und wegen jeder Lapalie unwohl.

Ich schlafe sehr selten vier Stunden ohne Unterbruch. Oft reissen mich ab zwei Uhr morgens Krämpfe aus dem Schlaf. Dina hilft mir auf die Beine, ich hake ihr unter, wir spazieren durch die Wohnung, wir sind Bonnie & Clyde, aber gewaltlos.  Wenn ich nachts online bin, melden sich manchmal Leserinnen: »Können Sie auch nicht schlafen? Haben Sie auch solche Schmerzen?« Viele Menschen tragen einen wesentlich schwereren Rucksack. Jeder Mensch hat einen Rucksack, aber nicht jeder Rucksack ist gleich schwer.

Ich habe mich als Autor historischer Romane ein Leben lang mit dem Alltag in anderen Epochen beschäftigt. Leid und Schmerzen gehören zum Leben. Der Mensch ist stärker als er glaubt, sonst hätte unsere Spezies gar nicht überlebt. Man kann Schmerzen medikamentös unterdrücken, aber bei der Dosis, die ich bräuchte, würde ich nur noch vor dem PC dösen. Für einen Roman würde es nicht mehr reichen, höchstens für einen Einkaufszettel.

Ernährung und Bewegung können im Einzelfall Schmerzen lindern, aber den Schmerzen kann man nicht davonlaufen.

Man sagt oft, hinter einem erfolgreichen Mann steht eine kaputte Frau. Bei uns ist es umgekehrt: Neben einem kaputten Mann steht eine starke Frau.

Mittlerweile bin ich an einem weiteren Krebs erkrankt und die fortschreitende Polyneuropathie hat die Nerven in Füssen und Händen geschädigt. Das ist ein ganz neuer Schmerzlevel, eine Spätfolge der erfolgreichen Chemos und Bestrahlungen, das ist der »Nachteil«, wenn man so lange überlebt

In meinem autobiographischen Roman »Script Avenue« schrieb ich: Solange ich schreibe, werde ich nicht sterben und ich schrieb seitdem jedes Jahr ein neues Buch, als könne ich damit den Tod überlisten. Zurzeit arbeite ich an einem neuen historischen Roman, der Verlag hat für Frühling 2024 bereits den Publikationstermin reserviert, aber das Buch wird weder 2024 noch 2025 beendet sein. Vielleicht später, vielleicht auch nicht.

Jeder hat seine rote Linie. Es ist ausgerechnet die oft kritisierte Sterbehilfe, die einem die Kraft gibt, Schmerzen zu ertragen. Weil man es jederzeit beenden könnte. Weil das Leben trotz allem grossartig ist, verschiebt man die rote Linie immer wieder. Sei es auch nur für Dinas Pancit, ein philippinisches Nudelgericht.


Im Verlag »Nagel & Kimche« erschien 2021 der Lebensratgeber »Hotel California« für meine Enkelin.


 

 

 

 

139 Blick »Der Neid der Langschläfer«

Disclaimer: Es geht um »Langschläfer« im erwerbsfähigen Alter und NICHT um Pensionierte, die den verdienten Ruhestand angetreten haben.


 

«Die Jagd nach dem Sündenbock ist die einfachste», soll US-Präsident Dwight D. Eisenhower (1890–1969) einmal gesagt haben. Auch im Jahr 1540 suchte man die Schuldigen für die Wetterkapriolen. Elf Monate lang gab es praktisch keinen Regen – Elf Monate lang lagen die Temperaturen nie unter 40 Grad. In über 300 Chroniken wurde Europas grösste Naturkatastrophe detailliert geschildert. Ohne Zweifel hatte jemand die Natur verhext. Die 50-jährige Magierin Prista Frühbottin wurde beschuldigt und am 29. Juni 1540 «geschmäucht und abgedörrt».

Wenn etwas schiefgeht, schlägt die Stunde der Neider. Digitale Treibjagden hetzten vermeintliche Sündenböcke. Vor Kurzem war es noch der alte, weisse Mann, der das Klima versaut. Da die vorwiegend weiblichen Megaphons der Klimareligion auch liebe Papis und Opis haben, wurde modifiziert und neu der «reiche» alte weisse Mann als Übeltäter identifiziert. Nachdem es sich aber herumgesprochen hat, dass Greta & Co. in Millionärshaushalten aufgewachsen sind und eines Tages Millionen erben werden, wurde die Hetze erneut anpasst und der «superreiche» alte weisse Mann zum Abschuss freigegeben. Es spielt dabei keine Rolle, ob jemand durch Geburt, Heirat, Erbe oder Leistung superreich geworden ist. Diese populistische Unschärfe unterscheidet sich kaum von der Hysterie der Hexenverbrenner.

Neider sehen stets die Blumenbeete, aber nie den Spaten. Mir ist es völlig egal, ob andere Menschen Millionäre oder Milliardäre sind, ob sie Privatjets bunkern wie andere Bierkisten, ob sie in Villen mit 18 Badezimmern leben. Aus einem einfachen Grund: Es hat weder Einfluss auf mein Wohlbefinden noch Einfluss auf meine Darmtätigkeit. Und zum Pinkeln genügt mir ein einziges Klo.

Für Leute (wie z.B. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth), die um neun Uhr morgens erstmals aufrecht im Bett sitzen, sind erfolgreiche Grossverdiener nicht wie in Asien motivierend, sondern Auslöser für Neid und Missgunst. Sie möchten den Frühaufsteher am liebsten verbieten, vor neun Uhr aufzustehen. Damit alle gleich wenig haben. Wohin das führt, sehen wir in den Schulen: Man senkt die Anforderungen, bis alle gleich schlecht sind.

Wer nicht gerne Steuern bezahlt, sollte um jeden Superreichen froh sein. Wer bloss neidet, schafft keinen Mehrwert und schadet sich selbst am meisten.

138 Blick »Als Schuhe weder links noch rechts waren

Manchmal steckt eine Idee noch in den Kinderschuhen oder ist schlicht «eine Nummer zu gross». Probiert man es dennoch, «steht man schon bald neben den Schuhen». Mit zunehmendem Alter «drückt der Schuh überall», und man ist nicht mehr «fit wie ein Turnschuh», sondern bewegt sich so langsam, dass «man einem im Gehen die Schuhe besohlen» könnte, bis man schliesslich «aus den Schuhen kippt».

 

Die ältesten Hinweise auf Schuhe sind über 40 000 Jahre alt. Unsere Vorfahren wickelten sich Felle um Füsse und Waden – ein Vorläufer des Stiefels –, aber dort, wo die Hitze den Boden zum Glühen brachte, band man sich Sohlen aus Palmblättern unter die Füsse, ein Vorläufer der Sandale. In der Schweiz entdeckte man den ersten Fetzen Lederschuh am Schnidejoch in den Berner Alpen. Er wird auf ca. 4300 v. Chr. datiert. Ötzi, die Gletschermumie mit Schuhgrösse 38, war etwas älter und hatte seine Bärenfellsohlen mit «Schnürsenkeln» festgezurrt.

 

Obwohl man bereits in der Antike wusste, dass der linke und der rechte Fuss unterschiedliche Schuhformen brauchen, ging dieses Wissen, wie vieles andere auch, im Mittelalter verloren. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts erschienen Streitschriften von Ärzten und Anatomen, die bei der Herstellung von Schuhen eine Unterscheidung zwischen links und rechts forderten, um Skelettschäden zu verhindern.

 

Dass dies Sinn macht, bewiesen die Soldaten der Nordstaatenarmee. Während des amerikanischen Bürgerkriegs marschierten sie mit anatomisch angepasstem Schuhwerk weiter als die Südstaatler mit ihren konventionellen Schuhen.

 

Mit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert begann die Fliessbandproduktion von Schuhen. Die Preise sanken und machten gutes Schuhwerk für die breite Masse erschwinglich. Die abstumpfende Fliessbandarbeit in schlecht durchlüfteten Hallen war jedoch gesundheitsschädigend.

 

War der Markt gesättigt, folgte eine Vielfalt von Modellen mit unverwechselbarem Design, mit denen sich die Käuferschaft abgrenzen und Individualität und Gesinnung zum Ausdruck bringen konnte.

 

Der CEO eines Dax-Unternehmens sagte mir einst: «Wenn jemand mein Büro betritt, achte ich auf die Zähne und dann auf die Schuhe.» Ist beides ungepflegt, gibt er ihm den Schuh.

137 Blick »Claude Cueni ist tot. Quelle: ChatGPT«

ChatGPT wiederholte, ich sei definitiv am 7. August 2010 gestorben

Gemäss ChatGPT bin ich 2016 gestorben. Da ich wider Erwarten noch am Leben bin, bat ich den Chatbot seine Antwort zu überprüfen (regenerate response). Drei Sekunden später kam die Entschuldigung, ich sei erst 2018 gestorben. Ich klickte erneut auf regenerate response, insgesamt zwölf Mal. ChatGPT sagte zwölf Mal Sorry und schrieb dann, ich sei im Jahre 2010 gestorben. Aber immer noch tot. Ich antwortete, dass es nicht möglich sei, dass Claude Cueni verstorben sei, ich hätte ihn kürzlich am Flughafen gesehen. ChatGPT wiederholte, ich sei definitiv am 7. August 2010 gestorben. Der Chatbot mutmasste, ich hätte am Flughafen eine Person gesehen, die Claude Cueni ähnelt.

 

Ich bat um Quellenangaben. Prompt kam eine Liste mit den Links zu einigen Medien, die über meinen Tod berichtet haben sollen, darunter «Tages-Anzeiger», Diogenes Verlag, Swissinfo («Author Cueni dies aged, 58»), «NZZ» («Der Schweizer Autor Claude Cueni ist tot»). Ich klickte alle Links an und erhielt nur leere Error-Seiten. Fakes über Fakes.

 

Der Chatbot verblüffte aber auch im positiven Sinne: Er konnte längere Texte schreiben, die inhaltlich und sprachlich nicht als KI-Produkt erkennbar waren. Ich bat um ein Liebesgedicht für meine Frau Dina und postete es auf Facebook. Einige fanden es «mitfühlend» und «wunderschön», andere beängstigend gut.

 

Werden wir in Zukunft noch Wahres von Unwahrem unterscheiden können? Wohl kaum. Egal, ob wir das gut oder schlecht finden: Die Weiterentwicklung ist nicht zu stoppen.

 

Stephen Hawking befürchtete bereits 2014, KI werde eines Tages fähig sein, sich selbst zu verbessern. Eine superintelligente künstliche Intelligenz würde den Menschen verdrängen, weil sie keine Ethik kennt.

 

Ist ChatGPT lernfähig? Und wie! Ich tippte nach einer Woche nochmals meinen Namen ein. Die Antwort: «Da mein Wissen im September 2021 endet, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob Claude Cueni noch lebt. Bis zu diesem Zeitpunkt war er am Leben. Es wäre am besten, aktuelle Informationen aus einer verlässlichen Quelle, wie einer Nachrichtenagentur oder einer offiziellen Biografie, zu überprüfen.»

 

Gestern bin ich gemäss ChatGPT wieder 2010 gestorben. Offenbar lernt der Chatbot auch die Verbreitung von Fakes.

136 Blick »Sitzungsgelder für Asphaltkleber«

Kurz bevor meine Frau 2008 starb, musste ich sie mehrmals notfallmässig ins Spital bringen. Wäre ich in einen von Asphaltklebern verursachten Stau geraten, wäre mir mindestens der Kragen geplatzt.

Gut, dass die Klimakleber nun «Fachkräfte» suchen, insbesondere Psychologen, wobei fraglich ist, ob diese Fachkräfte Ewigpubertierende von ihren Angstpsychosen heilen können, zumal Gläubige in Scientology-ähnlichen Sektenblasen kaum ansprechbar sind. Hilfreich wäre auch Nachhilfe in Geografie, denn Asien besteht nicht nur aus weissen Sandstränden, wo vom Sitzen Erschöpfte Erholung finden, sondern auch aus Ländern, die die Luft verpesten, um den Lebensstandard zu erreichen, den auch die Asphalt-Potatoes genossen haben.

Klimaproteste wären in China eigentlich angebrachter, aber leider ist dort keine Medienpartnerschaft möglich und örtliche Polizeikräfte benehmen sich nicht wie deutsche Polizeibeamte, die ausrücken, um Demonstranten vor aufgebrachte Autofahrer zu schützen.

Eine Fachkraft sollte auch den Unterschied zwischen Moral und Gesetz erläutern. Während Gesetze scharfe Konturen haben und für alle gelten, ist Moral dehnbar und kann wie auch das Geschlecht täglich gewechselt werden. Übrigens: Stammt die Idee des Gesellschaftsrates eigentlich von Ravensburger?

Die Welt wird auch in 100 Jahren nicht untergehen. Europa mag seinen Niedergang fortsetzen, aber Europa ist nicht die Welt. Untergehen werden jene, die für einen Monatslohn von 1280 Schweizer Franken ihre Zeit in Märtyrerpose auf dem Asphalt vertrödeln und zu spät erkennen, dass sie nichts, aber auch gar nichts für das Klima getan haben. Ganz im Gegensatz zu all den Hochmotivierten, die mit Freude und Leidenschaft erfolgreich in Labors geforscht haben.

Aber wie Stuart Basden, einer der Gründer von Extinction Rebellion, bereits am 10. Januar 2019 schrieb: Es geht gar nicht um das Klima, es geht um einen Systemwechsel, eine Gesellschaft ohne Demokratie. So wie es auch Multimillionärin Greta Thunberg in ihrem neuen Buch fordert: Öko-Diktatur statt Kapitalismus. Sie wollen ausgerechnet Multimilliardäre wie Aileen Getty bodigen, die Erbin des Öl-Tycoons J. Paul Getty, die ihre Religion mitfinanziert.

135 Blick »Bonnie & Clyde«

Kaum hatte die Texanerin Bonnie Parker (1910–1934) ihren Schulfreund geheiratet, sass der wegen Mordes für fünf Jahre im Gefängnis. Bonnie war 19 und glaubte, sie hätte Besseres verdient: zum Beispiel Clyde Barrow. Es war erneut Liebe auf den ersten Blick. Doch auch Clyde landete hinter Gittern. Es war die Zeit der grossen Depression, ausgelöst durch den Börsencrash von 1929. Die Leute verloren ihre Jobs, verarmten, die Inflation stieg und so auch die Kriminalität. Bonnie verhalf ihrem Lover mit einer ins Gefängnis geschmuggelten Waffe zur Flucht.

Fortan flohen sie in gestohlenen Autos durch den Mittleren Westen der USA, überfielen Lebensmittelgeschäfte, Tankstellen und raubten die verhassten Banken aus, die viele für die Wirtschaftskrise verantwortlich machten.

Da das Paar in verschiedenen US-Bundesstaaten Straftaten beging, wurden sie ein Fall für das FBI, aber auch ein Fall für die Medien. Wie so oft, wenn Kriminelle die Polizei narren und dies mit ironischen Kommentaren den Medien stecken, entsteht so was wie eine «Medienpartnerschaft», die den Narzissmus der einen und den Wunsch der anderen nach mehr Auflage befriedigt.

Als Bonnie und Clyde auf einer ihrer überhasteten Fluchten ihren Fotoapparat vergassen, gingen die Bilder durch die Presse und machten die mit Waffen posierenden Outlaws über Nacht zu Celebritys. Sie fanden Gefallen an ihrem plötzlichen Ruhm als «Robin Hood». Bonnie schickte Gedichte an die Presse («Wir müssen stehlen, um zu essen»), Clyde bedankte sich bei Henry Ford für den gestohlenen Achtzylinder Fordor, weil er damit jedes Polizeiauto abhängte. Am 23. Mai 1934 geriet das Paar in einen Hinterhalt und wurde von 167 Kugeln durchsiebt. Über 20’000 nahmen an der Beerdigung teil. Den grössten Kranz spendeten die Zeitungsverkäufer.

Obwohl Bonnie und Clyde 14 Menschen ermordet hatten, erhielt ihre Popularität erst einen Dämpfer, als eine Zeitung eine trauernde Polizistenwitwe am Grab ihres erschossenen Mannes zeigte. Vielen wurde erst jetzt klar, dass ein Robin Hood der 1930er-Jahre keinem Tankwart in den Kopf geschossen hätte wegen einer Tankfüllung von vier Dollar.

Überlebt haben «Bonnie & Clyde» als Synonym für ein verschworenes Liebespaar.

134 Blick »Die WHO probt den Great Reset«

Bisher rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fünfmal den internationalen Gesundheitsnotstand aus: 2009 drohte die Schweinegrippe, 2014 Ebola, 2018 Zika, 2020 Corona.

2022 schlug die WHO erneut Alarm und Generaldirektor Tedros Ghebreyesus erklärte den Ausbruch der Affenpocken zum internationalen Gesundheitsnotstand. Kaum jemand nahm ihn noch ernst. Zu krass waren die Unwahrheiten, mit denen während der Pandemie die Bevölkerung eingeschüchtert worden war.

Bei der WHO entscheidet ein kleines Gremium, ob ein internationaler Notstand ausgerufen wird. Beim Affenvirus waren sechs Experten dafür, neun dagegen. Der Generaldirektor entschied sich gegen das Votum seiner Experten. Das darf er.

Dass er lediglich Empfehlungen aussprechen kann, soll sich nun ändern. Den 194 Mitgliedstaaten der WHO wurde ein Vertragsentwurf vorgelegt, der bei Ausrufung einer Pandemie nationale Sololäufe unterbindet. Auf den ersten Blick macht das Sinn, da Viren sich nicht an nationale Grenzen halten.

Neu könnte der Generaldirektor im Alleingang entscheiden, ob in der Schweiz ein Lockdown angezeigt ist, ob Geschäfte geschlossen und ob Masken und Impfungen Pflicht werden. Theoretisch könnte also der Generaldirektor, der nicht demokratisch legitimiert ist, den Rechtsstaat der Mitglieder ausser Kraft setzen. Er und seine privaten Geldgeber, die 80 Prozent der WHO finanzieren. Grösster Spender ist gemäss den Faktencheckern des Bayrischen Rundfunks die Bill- und-Melinda-Gates-Stiftung mit 2,5 Milliarden Dollar.

Bundespräsident Berset beruhigt, das Ziel des globalen Pandemievertrages sei lediglich eine bessere Koordination. In Afrika sagt man: «Mit einer Lüge kannst du einmal essen, aber nicht zweimal.»

Auch Klaus Schwab, der die chinesische Diktatur «ein Vorbild für viele Länder» nennt, erklärt in seinem «Great Reset» den Notstand, um eine totalitäre Kommandowirtschaft zu rechtfertigen, ein «Komitee zur Rettung der Welt». Auf den Seiten 133 bis 136 bemüht er gleich siebenmal den Begriff «globale Ordnungspolitik».

Die Aushebelung des Rechtsstaates durch Ausrufung des Notrechts wird populär. Selbst die Klima-Straftäter halluzinieren das bevorstehende Ende der Welt, um ihre Gesetzesbrüche zu legitimieren.

Dirty Talking, Textprobe 2

Bischof Miguel Mateo Degollado empfing Wilson mit offenen Armen. Er war ein grossgewachsener Mann mit hängen- den Hamsterbacken und kurzen, graumelierten Haaren. Hoch- würden waren bester Laune, wie schon beim morgendlichen Telefonat. Er breitete gönnerhaft die Arme aus, als wolle er ein imaginäres Meer teilen und schaute demütig und dankbar zu seinem unsichtbaren Freund an der Decke: »Gott meint es gut mit uns.«

»Mit Ihnen ganz bestimmt, Hochwürden.«

»Nehmen Sie doch Platz«, bat der Bischof freundlich und wies Wilson den Stuhl vor seinem massiven Schreibtisch zu. Wilson hatte ihm am Telefon erzählt, dass es der Wunsch sei- ner verstorbenen Eltern gewesen sei, ihr Vermögen dem Bis- tum zu vermachen, und dass Wilson als Testamentsvoll- strecker alles Notwendige in die Wege leiten sollte. Die Story gehörte bestimmt nicht zu Wilsons Highlights, aber ent- scheidend ist nie, ob eine Story wahr ist, sondern ob sie glaub- würdig ist. Der Bischof gestand ihm mit einem Leidens- gesicht, das selbst das Antlitz Jesu am Kreuz toppte, dass ihn der Tod seiner Eltern tief berührt und dass er nach dem Tele- fongespräch gleich für ihre Seelen gebetet habe. Als Wilson nicht reagierte, schnitt Hochwürden eine noch herzzerreissen- dere Grimasse, als leide er unter Koliken und sprach Wilson in einer Oscar-würdigen Rede das herzliche Beileid des gesamten Bistums Basel aus.

»Das war sicher nett gemeint, Hochwürden«, sagte Wilson mit bedrückter Stimme, »aber, ich glaube, meine Eltern selig schmoren bereits in der Hölle, und wenn sie jetzt ihr Vermögen der Kirche vermachen, wird der Teufel höchstens ein Holz- scheit weniger ins Feuer werfen.«

Der Bischof hob erstaunt die Brauen, reagierte aber nicht darauf, denn er wollte die Verhandlung nicht gefährden. Er drückte auf eine Taste seines Tischtelefons und flüsterte: »Schwester Bernadette, zwei Kaffee mit Gebäck und eine Fla- sche Mineralwasser.«

Nun strahlte er Wilson an und erzählte ihm mit grosser Begeisterung, dass sie hier im Bistum alles hätten, was sie bräuchten, er habe eine Haushälterin, einen Chauffeur, nur den Kaffee müsse er am Morgen selber machen, weil er bereits um sieben Uhr aufstehe.«

»Oh, bereits um sieben, das ist sehr beeindruckend«, heu- chelte Wilson und kam zur Sache: »Ich habe gelesen, dass Sie gute Nerven haben und das Leben nehmen, wie es ist. Das wird bei unserem heutigen Gespräch von Vorteil sein.«

Der Bischof verstand nicht ganz, nickte aber freundlich und sagte, er lehne prinzipiell jede Anfrage für Homestorys ab, die meisten auf jeden Fall, aber wenn es um den Glauben ginge, sei es seine Aufgabe, das Wort Gottes zu verbreiten und das Wohl der Kirche zu mehren. Zurzeit sei die katholische Kirche stark unter Druck. Zu Recht. Mit jedem neuen Miss- brauchsfall verliere die Kirche Gläubige, das stimme ihn sehr traurig. Das sei auch in finanzieller Hinsicht sehr unschön, weil es die Pflicht der Kirche sei, die Opfer wenigstens finan- ziell zu entschädigen.

»Ich habe davon gehört«, sagte Wilson, »ihr bezahlt jedem Opfer fünftausend Euro. Aber das ist nicht gerade viel für die Vergewaltigung eines Minderjährigen.«

»Das sind jährlich Millionen, Herr Wilson, Millionen. Wir wollen Zeichen setzen!«

Hochwürden sagte, es bräuchte nun eine ehrliche Auf- arbeitung, absolute Transparenz und Nulltoleranz. Damit werde ein erster Schritt getan, damit die Menschen wieder Ver- trauen in die Kirche schöpfen. Er ballte energisch die Faust und sagte, die Täter müssten gerecht bestraft werden. Den Op- fern müsse Gerechtigkeit widerfahren …«

»Damit wären wir fast schon beim Thema«, unterbrach ihn Wilson.

»Wie meinen Sie das?«, fragte der Bischof irritiert, »soll das Geld etwa Missbrauchsopfern zugutekommen?«

»Hier liegt ein Missverständnis vor, Hochwürden. Es geht zwar um eine Schenkung, aber mein Mandant wird der Be- schenkte sein und Sie werden der grosszügige Gönner sein.«

Bischof Miguel Mateo Degollado verrutschte das Gesicht: »Ich verstehe nicht, wie war Ihr Name?«

»Sagt Ihnen der Namen Juan Pérez etwas?«

»Nein«, antwortete der Bischof wie aus der Pistole ge- schossen.

»Überlegen Sie, lassen Sie sich Zeit, ich gebe Ihnen ein paar Anhaltspunkte. Sie waren als Priester Vorsteher des bischöf- lichen Priesterseminars Nikolaus von Myra. Keine Er- innerung?«

»Natürlich erinnere ich mich.«

»Sie waren für die Lebens- und Ausbildungsgemeinschaft der Seminaristen verantwortlich.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

 

»Einer Ihrer damaligen Seminaristen hat sich gegen das Zölibat entschieden.«

»Das kommt vor.«
»Nachdem Sie ihn jahrelang vergewaltigt haben.«
»Oh« machte der Bischof und wusste nicht mehr, in welche

Richtung er schauen sollte.
»Auch das kommt vor, nicht wahr?«
»Haben Sie Beweise?«, fragte der Bischof leise und starrte

Wilson an, als wolle er gleich über ihn herfallen. In diesem Augenblick betrat Schwester Bernadette das Arbeitszimmer, was ihn sichtlich nervös machte. Sie schenkte beiden Kaffee ein, stellte das Gebäck in die Mitte des Tisches und verliess nach einer kleinen Verbeugung den Raum.

»Soll ich für den Mittagstisch ein weiteres Gedeck auf- legen?«, fragte sie.

Der Bischof machte eine abwehrende Handbewegung. Wilson schien, dass er dabei leicht zitterte, er nahm einen Schluck Kaffee, schmeckte hervorragend. Er nickte dem Bi- schof anerkennend zu und sagte, Gott meine es wirklich gut mit ihm. Dieser ging nicht darauf ein und schob den Teller mit dem Konfekt angewidert über den Tisch, als wolle er sagen, Wilson solle das ganze Zeug fressen und dann verschwinden. Als Schwester Bernadette die Tür hinter sich geschlossen hatte, fragte er erneut, ob er Beweise habe.

Wilson nahm das schwarze iPhone 14 aus seiner Tasche und spielte ein Audiofile ab. Das Audiofile. Man hörte, wie der junge Juan Pérez während der Probefahrt seine Erlebnisse schil- dert. Der junge Mexikaner beschrieb auch das markante Geschlechtsteil des Bischofs.

»Vor Gericht«, sagte Wilson mit gespieltem Bedauern, »müssten Sie natürlich Ihren kleinen Mann entblössen. Ihr

Leberfleck ist so einmalig wie eine Tätowierung. Falls die Rän- der nicht scharf abgegrenzt sind, sollten Sie allerdings einen Dermatologen aufsuchen. Da helfen keine Gebete mehr. Aber dem Richter ist die Farbe Ihres Schwanzes egal. Er soll auf- fallend hässlich sein und gekrümmt wie ein Bischofsstab. Dafür hat er beinahe die Masse eines Eselspenis. Für ein derart monströses Ding bräuchten Sie eigentlich einen Waffenschein. Sie sollten sich schämen. Und mit diesem Monstrum haben Sie den damals minderjährigen Juan Pérez vergewaltigt? Er war noch ein Kind, Hochwürden! Was sagt der liebe Gott dazu? Hat er zugeschaut und sich dabei einen runtergeholt? Oder war er gerade in Urlaub?«

»Pendejo!«, schrie der Bischof und sprang von seinem Stuhl auf, »Sie wissen nicht, mit wem Sie sich anlegen!«

»Pendejo?«, fragte Wilson, »ohne Untertitel kann ich Sie schlecht verstehen.«

»El cabrón! Sie mieser kleiner Erpresser!«

»Was für ein hässliches Wort, Hochwürden, ich bin ein einfacher Geschäftsmann und versuche als Anwalt einem armen Jungen zu helfen.«

»Okay, 5000 Euro? Das ist der weltweite Standard.«
»Wir dachten eher an 250 000 Euro.«
»Vor ein paar Tagen waren es noch 100 000.«
»Die Inflation kennt kein Erbarmen, Hochwürden, mor-

gen ist es bestimmt mehr.«
Degollado verwarf die Hände und gluckste hysterisch:

»Woher soll ich eine Viertelmillion nehmen?«
»Sie verdienen im Jahr 245000, um Dinge zu verkaufen,

die es gar nicht gibt. Stellen Sie sich vor, BMW verkauft Autos, die es gar nicht gibt und die Lufthansa verkauft Flüge zu Des- tinationen, die auf keiner Landkarte vermerkt sind. Wer für solche Fakenews 245000 im Jahr verdient, bezieht einen fürst- lichen Lohn.«

»Damit bestreite ich meinen Lebensunterhalt«.

»Die Frau von der Tankstelle verdient diese Summe in zehn Jahren, obwohl sie im Gegensatz zu Ihnen reale Dinge verkauft, Hüttenkäse, Chips und Dosenbier.«

»Ich habe Unkosten, Miete, Köchin, Sekretär, Chauf- feur …«

»Das alles bezahlt der Staat beziehungsweise die Verkäuferin an der Kasse mit ihren Kirchensteuern.«

Degollado schwieg eine Weile.

»Wahrscheinlich bitten Sie gerade den Heiligen Geist um Erleuchtung, aber wenn ich kurz unterbrechen darf …«

Plötzlich wirkte er furchtlos und entschlossen: »Ich werde zur Polizei gehen …«

»Das ist eine gute Idee, denn bei einer Selbstanzeige erhält man Rabatt. Statt 12 Jahre nur noch zehn. Aber zuvor geht Ihr Pimmel auf Tournee, Fotoshooting bei der Untersuchungs- behörde, Demos vor dem Gerichtssaal …«

»Wurde Kardinal Georgette Pell in Australien etwa ver- urteilt?«, stiess er hervor.

»Ja, er wurde zu sechs Jahren verurteilt.«

»Davon hat er dreizehn Monate abgesessen, darauf wurde er vom obersten Gericht in Brisbane freigesprochen. Also, pa- cken Sie ihr Handy ein und machen Sie, dass Sie von hier ver- schwinden.«

Wilson blieb sitzen: »In Brisbane gab es kein Beweisvideo, in Ihrem Fall ist die Beweislage eine ganz andere. Wir haben ein Video. Wir haben sogar zwei Videos. Aufnahmen aus Me- xiko und eine Aufnahme von jetzt eben.«

Wilson zeigte auf die Brusttasche seines Hemdes. Darin steckte sein iPhone 13 mit dem Hofnarren auf dem Case, nur gerade das Kameraauge lugte hervor.

»Die Aufnahme läuft, seit ich Ihr Büro betreten habe.«

Der Bischof dachte fieberhaft nach. Wilson wollte behilf- lich sein: »Wurde der Kardinal Pell nach dem Freispruch wie- der überall mit offenen Armen empfangen?«

Der Bischof schlug die Faust auf den Tisch. Er hyper- ventilierte, schaute erneut wild in alle Himmelsrichtungen und schüttelte unaufhörlich den Kopf, als könne er es nicht fassen, dass er mit dieser alten Geschichte erpresst wurde.

»Na? Wieder online mit Ihrem unsichtbaren Freund da oben?«

Hochwürden schwieg und presste die Lippen zusammen. Es hatte ihm die Sprache verschlagen.

»Herr Degollado, im Grunde genommen geht es um Ma- thematik. Wenn Sie verurteilt werden, verlieren Sie jährlich einen Lohn von 245000 Schweizer Franken. Unser kleiner Juan Pérez verliert gar nichts. Wenn Sie bezahlen, haben wir eine klassische Win-Win-Situation: Der kleine Juan erhält eine Viertelmillion und Sie erhalten weiterhin jedes Jahr eine Viertelmillion Lohn. Lehrt man auf dem Priesterseminar auch Mathematik oder nur Science-Fiction? Sie entscheiden jetzt, ob Sie weiterhin wie ein mittelalterlicher Fürst hier oben auf dem Felsen residieren oder ob Sie sich bis ans Ende Ihrer Tage in Somaliland verkriechen. Das ist durchaus eine Alternative. Die Alten dort unten sprechen noch Italienisch, die Warlords und islamistischen Terrorgruppen verstehen ein paar Brocken Englisch. Vielleicht können Sie bei den Piraten als Seelsorger an- heuern. Aber wahrscheinlich werden diese Sie ausstopfen und als Galionsfigur an den Bug binden. Eine maritime Version von Jesus am Kreuz.«

Wilson erhob sich und verbeugte sich knapp: »Es ist Zeit, Busse zu tun, sprach der Herr. Also, setzen Sie Ihren Arsch in Bewegung und schicken Sie eine SMS, wenn das Geld bereit ist.«

Er nahm ein kleines Heft mit dem Titel Spe Salvi von einem Stapel, der auf dem Schreibtisch lag und notierte seine Telefonnummer auf das Cover. Der Bischof nahm das Büchlein und warf es demonstrativ in den Papierkorb. Drohend schaute er zu Wilson hoch und sagte leise, ein Mann müsse wissen, wann er zu weit gehe. Sagt Ihnen der Name Marcial Maciel Degollado etwas?«

»War Delgado nicht ein argentinischer Fussbalspieler?«

»Marcial Maciel Degollado! Er war mein Onkel. In mei- nen Adern fliesst sein Blut, das Blut der Degollados. Nehmen Sie sich in Acht. Was mein Onkel einst gesät hat, ist zu einem kräftigen Baum herangewachsen. Schon mancher ist von seinen Ästen erschlagen worden. Sie werden in der Hölle schmoren.«

»Dann freue ich mich auf das Wiedersehen. Spe Salvi, das ist unser Codewort, Hochwürden. Wenn Sie die SMS Spe Salvischicken, weiss ich, dass das Geld in Hundertfrankenscheinen bereitliegt. Ich hole es persönlich ab oder lasse es abholen. Sie erhalten das belastende Material und damit ist die Angelegenheit auch schon beendet. Deal or No Deal?«


Textprobe 1: Die ersten 14 Seiten


DIRTY TALKING. Die ersten 14 Seiten

133 Blick »Der Hosenteufel«

 

Im Jahr 2016 strich Mondelez drei der zwölf Berggipfel der Toblerone und reduzierte so das Gewicht von 400 auf 360 Gramm. Der Preis blieb unverändert. Bei Haribo verschwanden 25 Gramm Goldbärchen aus der Tüte. Bei gleichem Preis und unveränderter Verpackungsgrösse. In der Wirtschaft nennt man diese Schummelei «Shrinkflation», eine Kombination der englischen Worte «schrumpfen» und «Inflation».

 

Dass man etwas Kleines gross verpackt, um es imposanter erscheinen zu lassen, ist keine Erfindung der Nahrungsmittelindustrie in Zeiten der Inflation.

 

Im Mittelalter ging der «Hosenteufel» um, die sogenannte Schamkapsel, ein modischer Hosenlatz, der hinter dem handtellergrossen Stoffpolster ein Monstergehänge vermuten liess. Der Anblick versetzte den evangelischen Theologen und Reformator Andreas Musculus (1514– 1581) in Rage. Bei jungen Männern war dieser «Hosenteufel» sehr beliebt. Einige wählten gar eine Ausbuchtung in Bananen- oder Gurkenform und signalisierten damit Potenz und «allzeit bereit». Musculus verfasste eine Streitschrift gegen den «Hosenteufel». Das Buch wurde im entstehenden Buchmarkt zum Bestseller, bewirkt hat es nichts.

 

Eine verstärkte Schamkapsel wurde später auch bei der Herstellung von Rüstungen angebracht. Sie sollte die Genitalien schützen, da Pikeniere diesen Körperteil beim Stechen (frz. piquer) bevorzugten. Die metallischen Push-ups hatten einen weiteren Vorteil: Da auch Rüstungen rosten, konnte man die ovalförmig aufgesetzte Metallplatte zum Urinieren abnehmen.

 

Für das weibliche Geschlecht entwickelte der New Yorker Designer Israel Pilot während des Zweiten Weltkrieges einen Büstenhalter, der vergrösserte, was in diesem Umfang nicht vorhanden war. Er nannte diesen ersten Push-up-Büstenhalter «Wonderbra» und liess ihn 1941 patentieren. Nach mehreren Besitzerwechseln war es schliesslich die Designerin Louise Poirier, die 1961 den Wonderbra entwarf, wie wir ihn heute kennen. Je nach Anlass und gewünschtem Décolleté stehen verschiedene halbmondförmige Polsterungen zur Verfügung.

 

Push-ups gibt es heute für alle Geschlechter. Sie trösten über das hinweg, was man nicht hat – und der Humor (falls vorhanden) über das, was man wirklich hat. Frei nach Albert Camus.


© Blick, 17.3.2023

132 Blick »Wieso ich Tintin immer noch mag«

Heute vor 40 Jahren verstarb der belgische Zeichner Georges Remi (1907–1983) 76-jährig an Leukämie. Sein Künstlername: Hergé. Seine Figuren: Tim und Struppi. Mittlerweile wurden über eine Viertelmilliarde Alben in 133 Sprachen und Dialekten publiziert.

 

1957 scheinen Hergés ruhmreiche Tage gezählt. Der Journalist Pol Vandromme plant die erste Biografie. Hergé hat Angst, dass seine «schwarzen Jahre» (1940–1944) thematisiert werden. Denn während für die meisten Belgier die Jahre unter deutscher Besatzung zum Albtraum wurden, begannen für Hergé die «goldenen Jahre». Viele Künstler verweigerten sich den Nazis, «ils cassent leur plumes» (sie brechen ihre Federn). Hergé ersetzt sie alle und verdient viel Geld.

 

Nach dem Krieg steht Hergé wegen Kollaboration mit den Nazis vor Gericht. Man entzieht ihm die Bürgerrechte, er wird mit einem Berufsverbot belegt, doch er verbringt nur wenige Tage hinter Gittern: «too big to fail».

 

1959 kommt die Biografie «Le monde de Tintin» in die Buchläden. Pol Vandromme schreibt, Hergé habe den «Olymp der Literatur» betreten und vergleicht die Alben mit Werken von Hemingway, Hitchcock und Jules Verne. Er legt den Grundstein für die Errichtung eines belgischen Nationaldenkmals.

 

Vier Jahre nach Hergés Tod schliesst seine zweite Ehefrau Fanny Vlaminck die Hergé-Studios und gründet eine Stiftung. Sie pusht das Merchandising und treibt die Preise für Memorabilien. 2021 erzielt das Original-Titelbild des Bandes «Der Blaue Lotos» im Pariser Auktionshaus Artcurial einen Preis von 3,2 Millionen Euro.

 

Hergé hat Grossartiges geleistet, war aber als Mensch alles andere als grossartig. Für mich sind die Comic-Alben jedoch Erinnerungen an meine jurassischen Cousins. Als Kinder interessierten wir uns nicht für den Autor und als Erwachsene lieben wir vor allem jene Abenteuer, die wir damals verschlungen haben. Weil nur sie die Erinnerung wiederbeleben.

 

Wer die Tintin-Alben in seiner Kindle-Bibliothek hat, erhält laufend «Updates»: Anpassungen an den ständig wechselnden Zeitgeist, bis Kinder schliesslich glauben, Kapitän Haddock hätte politisch korrekt geflucht und die Zeit nach Kriegsende sei genauso humorlos, intolerant und spiessig gewesen wie die Gegenwart.