081 Blick »Entscheidet Twitter ob Gott existiert?«

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Wenn Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.» Das Zitat von George Orwell (1903–1950) wird gerne bemüht, aber im Alltag kaum noch gelebt.

Mark Zuckerberg (35) ist stolz, dass seine Algorithmen mittlerweile über 90 Prozent der Hass- und Hetzkommentare seiner 2,2 Milliarden Nutzer identifizieren. Hass und Hetze, das ist stets das, was der politische Gegner verbreitet. Für Fake News sind externe Faktenchecker zuständig. Entscheidet morgen ein 18-jähriger Student aus Santa Rosa, ob der Asteroid Oumuamua ein ausserirdisches Taxi und ob Christi Himmelfahrt «falsch», «teilweise falsch», «Satire» oder «Meinung» ist?

In der Praxis gilt die Weltanschauung von Zuckerberg und Twitter-Chef Jack Dorsey (43), der gemäss BBC innerhalb weniger Tage über 70 000 Accounts von Verschwörungstheoretikern gelöscht hat. Wer Einfluss nimmt auf den Inhalt und selektiv löscht oder die Reichweite minimiert, handelt nicht mehr als Gastgeber einer Plattform, sondern als Verleger, der die politische Ausrichtung definiert. Würde Twitter als Verlag klassifiziert, wäre er für jeden einzelnen der 6 Millionen Tweets verantwortlich, die pro Sekunde gepostet werden.

Je mehr gelöscht und gesperrt wird, desto mehr Leute wechseln auf neue Plattformen, bis dann der Werbeslogan von Procter & Gamble gilt: «Meister Proper putzt so sauber, dass man sich drin spiegeln kann.» Dorsey und Zuckerberg sehen dann nur noch Dorsey und Zuckerberg. Keine Plattform kommuniziert mehr mit der andern. Kein Wettbewerb der Ideen mehr. Niemand weiss, was ihm vorenthalten wurde.

Der ausbleibende Widerspruch fördert zwar den gegenseitigen Applaus, aber man sollte sich nicht zu früh freuen, denn irgendwann frisst der Wahn seine Schöpfer.

Robespierre war ein linker Anwalt aus der französischen Provinz, der sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzte. Kaum an der Macht, wurde er ihr eifrigster Benutzer. Nach über 16 000 Hingerichteten war er selbst an der Reihe. Er versuchte, sich durch Suizid der Guillotine zu entziehen, und schoss sich dabei den Kiefer weg. Intellektuelle sind manchmal auch in praktischen Dingen furchtbar ungeschickt.


Claude Cueni (65) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK. Am 15. März erscheint bei Nagel & Kimche sein neuer Roman Hotel California.


 

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