©weltwoche »Faust Gottes will Präsident werden«

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Manny Pacquiao, philippinischer Boxweltmeister in acht Gewichtsklassen, zieht es in die Politik. Es ist der Fight seines Lebens. Die erste Runde lief schlecht.


Claude Cueni ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er ist mit einer Filipina verheiratet und Autor des Philippinen-Romans «Pacific Avenue». Zuletzt erschienen von ihm bei Nagel & Kimche «Genesis» (2020) und «Hotel California» (2021).


Ich habe mein Bestes gegeben, aber mein Bestes war nicht gut genug», gestand der 1,66 Meter kleine philippinische Boxer Manny Pacquiao, 42, nach seiner klaren Niederlage gegen das kubanische Kraftpaket Yordenis Ugás, 35. In jener Augustnacht in Las Vegas stand der Weltmeister in acht Gewichtsklassen wohl zum letzten Mal im Ring. Nach dem Kampf wurde er gefragt, ob er nun für das Amt des Staatspräsidenten kandidiere. Seine Antwort: «Ich weiss es nicht. Es ist sehr viel komplizierter als Boxen.»

Einen ersten Vorgeschmack hatte er bereits 2010 erhalten, nachdem er in den Kongress gewählt worden war. Abgeordnete kritisierten, er habe null Ahnung, interessiere sich nicht für die Dossiers, sondern nur für seine Karrieren als Boxer, Sänger, Model, Schauspieler, Prediger und Markenbotschafter. Als Pacquiao 2016 gar in den Senat gewählt wurde, spotteten einige, das sei weiter nicht schlimm, als Abgeordneter sei er lediglich an vier von 179 Sitzungen erschienen.

Tausend Häuser für die Ärmsten

2016 war auch das Jahr, in dem der bekennende Sozialist Rodrigo Duterte zum Staatspräsidenten gewählt wurde. «Dirty Harry» (Financial Times) überredete Pacquiao zu einem Parteiwechsel und machte ihn später zum Vorsitzenden seiner PDP-Laban-Partei. Die beiden wurden Freunde. Bis zu jenem 5. September, als Pacquiao in einem Live-Interview mit dem Nachrichtenportal Rappler seine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten ankündigte und seinem einstigen Mentor vorwarf, er schütze die korrupten Politiker, die Milliarden von Pesos aus dem Corona-Fonds verschwinden liessen. Für viele Zuschauer war der Auftritt ihres Nationalhelden, der erneut die Partei gewechselt hatte, irritierend. Pacquiao konnte sich weder differenziert noch pointiert ausdrücken. Man hatte den Eindruck, er verstünde nur mit den Fäusten zu sprechen.

Wer ist dieser Jahrhundertboxer, der dem Staat 2,2 Milliarden Pesos (rund 40 Millionen Schweizer Franken) Nachsteuern schuldet und den Ärmsten in seiner Heimatstadt tausend Häuser schenkte? Die Doku «Manny» von 2014 zeichnet seinen Aufstieg aus den Slums von General Santos City nach und schildert, wie er als Teenager in den Ring stieg, um seine Familie zu ernähren. Für seinen ersten Fight erhielt er zwei Dollar. Mittlerweile hat er im Ring eine halbe Milliarde verdient.

Seinen kometenhaften Aufstieg feierte das Energiebündel früher mit Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll. Bis ihm eines Nachts zwei Engel erschienen, «weiss, mit grossen Flügeln». Pacquiao wurde ein strammer Evangelikaler, ein Fundamentalist, der die Bibel wörtlich nimmt. Als er in einem Interview behauptete, Homosexuelle seien «schlimmer als Tiere», verlor er in Umfragen (vorübergehend) nicht nur 12 Prozentpunkte, sondern auch seinen Hauptsponsor Nike. Pacquiao entschuldigte sich und legte gleich nach: Homosexuelle verdienten gemäss der Bibel den Tod. Punkt. Und ja, er ist auch für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Kann er dennoch Präsident werden in einem Land, in dem selbst ein Rambo wie Duterte sich für die gleichgeschlechtliche Ehe und den Schutz der LGTB-Community aussprach?

Über ein Dutzend Celebrities, Senatoren und Bürgermeister haben ihre Kandidatur angemeldet. Darunter auch Ferdinand Marcos, 64, der Sohn des gleichnamigen Diktators (1917–1989), der rund 30 000 Kritiker in Militärlagern internieren liess. Die Frist für die Registrierung läuft am 8. Oktober aus. Bei der letzten Umfrage lag Dutertes Tochter, die Rechtsanwältin Sara Duterte-Carpio, 43, in Führung, doch vor ein paar Tagen hat sie sich überraschend um eine dritte Amtszeit als Bürgermeisterin von Davao City beworben. Taktik?

Duterte verzichtet

Last-Minute-Pirouetten sind im Inselstaat nicht ungewöhnlich. Wer für das Amt des Staatspräsidenten kandidiert, ernennt jeweils seinen Vize, obwohl beide nicht als Duo, sondern separat gewählt werden. So kann es sein, dass ein gewählter Präsident den Vize des Gegners kriegt.

Ein amtierender Präsident darf nicht zu einer zweiten Amtszeit antreten. Deshalb bewarb sich Duterte als Vize, doch Pacquiao wollte ihn auch nicht und ernannte Lito Atienza, den achtzigjährigen Sprecher des Abgeordnetenhauses, zu seinem Vize. Dieser war von 1998 bis 2007 Bürgermeister von Manila und ist wie Pacquiao ein radikaler Gegner von Familienplanung und Sexualaufklärung. Letzte Woche hat Duterte überraschend seinen Verzicht erklärt. Taktik?

Bis zum Wahltag am 9. Mai 2022 wird sich das Bewerberfeld nochmals lichten: Schmutzkampagnen, gefakte Lebensläufe und Bestechungsskandale werden einige ausknocken. Manny Pacquiao wird wie üblich sein Bestes geben, aber sein Bestes könnte ausserhalb des Rings nicht genug sein.


 

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